Irak 9
Apr 032003
 

Fluch und Segen des schwarzen Goldes *)

„Kein Blut für Öl“! Mit dieser Forderung bringt eine weltweite Friedensbewegung ihren Protest gegen den Eroberungskrieg der Koalition der Willigen gegen den Irak auf den Punkt. Die Kriegsbefürworter bestreiten das dahinter steckende Kriegsmotiv. Sie versuchen alle, die mit dieser eingängigen Schlagzeile agieren, als antiamerikanische Demagogen zu diffamieren oder verächtlich als geistig etwas zurückgeblieben abzutun. Doch das amerikanische Kriegsmotiv ‚Blut für Öl’ lässt sich durch starke Indizien unterfüttern…

Am Persischen Golf liegen nicht nur die bei weitem größten Öllagerstätten der Welt. Der Lebenssaft der Industriegesellschaft lässt sich dort auch am billigsten fördern. Die Produktionskosten liegen dort bei drei Dollar pro Barrel (pro 159 Liter). Zudem sind die Förderkapazitäten in der Golfregion so hoch, dass sie die Welt mit so billigem Öl versorgen könnten, dass die Ölförderung anderer Öl produzierender Staaten (z.B. Großbritannien, Norwegen und Russland) wegen Unwirtschaftlichkeit zum Erliegen kommen würde. Wäre der Weltölmarkt ähnlich dereguliert wie andere Rohstoffmärkte, gäbe es auf dem Ölmarkt keinen Wettbewerber, der mit den Staaten am Persischen Golf preislich mithalten könnte. So kostet z.B. die Ölförderung in Sibirien 12 Dollar pro Barrel.
Wer also die Ölfelder der Golfregion kontrolliert, der kann nach Belieben durch die Mengenregulierung der Ölförderung den Marktpreis bestimmen. Er kann z.B. Russlands oder Norwegens Ölexport schaden, wenn er den Ölhahn aufdreht bzw. das ‚alte’ Europa, Japan usw., in den Schwitzkasten nehmen, wenn er die Ölproduktion drosselt. Zur Zeit schwankt der Preis zwischen 25 und 30 Dollar.
Wer in der Lage ist, die Ölförderquote im Nahen Osten festzulegen, nimmt bestimmenden Einfluss auf den Verlauf der Weltwirtschaft bzw. den Erfolg oder Misserfolg ölabhängiger Volkswirtschaften.
So stammen z.B. 38% der Ölimporte der EU und der osteuropäischen Länder, 85% der Importe Japans und 81% der Chinas und anderer ostasiatischer Staaten aus der Golfregion. Und der Öldurst wird zukünftig noch gewaltig steigen, wenn keine Alternativen zum Öl entwickelt werden: Von 2000 bis 2020 soll z.B. der Ölimport Chinas um 91% und der von Indien gar um 116% steigen.
Doch es gibt ein noch stärkeres Motiv der USA, die Kontrolle über die Ölfelder der Golfstaaten zu behalten:
Neben der energiepolitischen erhalten sie sich dadurch auch die finanzpolitische Kontrolle über die ölabhängigen Staaten. Deshalb soll der Dollar als Leitwährung auf dem Ölmarkt unbedingt erhalten bleiben. Denn nur wenn das Golföl unter amerikanischer Kontrolle und weiter in Dollar gehandelt wird, kann der „American way of life“ verteidigt werden.
Die US-Wirtschaft befindet sich in einer Schieflage, weil sie seit mehr als dreißig Jahren auf einem Schulden-finanzierten Konsum basiert. Im Jahre 2000 betrug das Handelsbilanzdefizit rund 450 Milliarden Dollar, im Jahr 2001 stieg es auf 650 Milliarden an. Die Doppelfunktion des Dollars als nationales und als Weltgeld erlaubt es den USA, sich durch ihre Geld- und Kreditschöpfung aus den Wertprodukten anderer Volkswirtschaften zu bedienen. Indem die USA zu Bezahlung ihrer Importe frische Dollarnoten drucken können, partizipieren sie direkt am Reichtum anderer Nationen.
Seit Anfang der siebziger Jahre hängt die Stärke des Dollars immer mehr vom Öl ab, weil andere Länder sich zum Öleinkauf Dollardevisen beschaffen müssen.
Doch neuerdings wird die Weltleitwährung Dollar grundsätzlich in Frage gestellt:
So verkauft der „Schurkenstaat“ Iran sein Rohöl zum Großteil in Euro und nicht mehr in Dollar. Schon Ende des Jahres 2000 hat sich der Irak entschlossen, seine tägliche Förderung von 2,4 Mio. Barrel in Euro zu berechnen. Auch China kündigte im November 2001 an, seine Devisenreserven von 200 Milliarden Dollar zu einem beträchtlichen Teil in Euro tauschen zu wollen. Nordkorea hat inzwischen seine gesamten Devisen in Euro eingewechselt.
Aus dieser Sachlage zog die US-amerikanische National Energy Policy Development Group im Cheney Report vom Mai 2001 den Schluss, dass die USA nicht nur an ihren eigenen Ölverbrauch denken dürften, weil keine andere Wirtschaft derart globalisiert sei wie die amerikanische. Darüber hinaus sollten sie sich um die weltweite Sicherung des Ölmarktes kümmern, da die heimische Wirtschaft davon am meisten profitiert. Da ein stärkeres Engagement der USA in instabilen Ölförderländern mit antiamerikanischer Stimmung auf Widerstand stoßen würde, habe dies Auswirkungen auf die Außen- und Sicherheitspolitik in Form der Ausweitung des US-Militäretats…
Zwar klingt der Cheney-Report etwas kryptisch, doch der Vorschlag, den Ölmarkt durch Ausweitung des US-Militäretats zu sichern, lässt sich als Bereitschaft, Blut für Öl zu geben, entschlüsseln.
Eine hypothetische Frage: Was mag wohl geschehen, wenn Saudi-Arabien statt Dollar nur noch Euro für sein Öl akzeptieren würde…

Jochen Martin

*) Als Grundlage dieses Artikels wurde der Aufsatz „Verteidigung des Dollar mit anderen Mitteln“ im Heft 2’03 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ benutzt.

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