Saurer Wein in neuen Schläuchen
Pünktlich zum Kriegsbeginn am 20. März 2003 erschien die „Wilhelmshavener Zeitung“, nach wochenlangen Vorankündigungen qualitativer Verbesserungen, erstmals im neuen Outfit. Ich war gespannt auf die erste Neuausgabe, die ich wie gewohnt kostenlos aus dem Altpapier eines Abonnenten fischte.
Die Premierenausgabe stellte für mich in erster Linie die inhaltliche Qualität auf den Prüfstand. Von einer guten Tageszeitung erwarte ich, dass der Titel und auch der erste Teil sich dem Weltgeschehen widmet. Bei der WZ war es bisher immer umgekehrt; im ersten Teil alles, was vor der Haustür passiert, der zweite Teil begann mit mindestens vier Seiten Sport, dann bisschen Deutschland und der Rest der Welt und schließlich bis zum bitteren Ende Klein- und Familienanzeigen.
Und so ist es auch geblieben.
Nun, rein äußerlich mag die WZ gewonnen haben. Sie sieht nicht mehr aus wie das Blatt, das schon der Kaiser in den Händen hielt, sondern hat sich dem Layout vieler regionaler Zeitungen angepasst: die Schrift leichter, vorm Untertitel ein pointierter Aufmacher usw. Bisschen veränderte Rubrikenstruktur.
Das war’s aber auch schon an Neuerungen.
Etwa zwei Drittel der Titelseite an diesem 20. März widmete sich lokalen bzw. regionalen Themen. Ganz obenan, natürlich, der Stadtsportbund. Schön, dass gut ein Drittel aller Wilhelmshavener/innen Mitglied eines Sportvereins sind, doch Brot und Spiele sollten nicht von politischem Interesse ablenken. Oder ist das gerade der Sinn? Dann: großes Foto über Verkehrsbehinderungen in Jever. Skandal! Die Freiheit des friesischen Autofahrers ist in Gefahr! Darunter ein Dreispalter über die „neue“ WZ und noch was über die Cebit und den Glauben der Deutschen an die Polizei.
Ah, da steht ja noch was: „Wilhelmshaven: Kirchen laden ein zum Beten“. Sollte es da um den Krieg gehen? Tatsächlich, irgendwie schon. Alle Welt wusste, ehe sie am Vorabend ins Bett ging, dass die USA in dieser Nacht losschlagen würden. Nur die WZ beschäftigt sich in einem Zweispalter noch damit, wann man wo in Wilhelmshaven beten kann, um den Krieg zu verhindern. Allein im letzten Absatz steht was von dem Ultimatum, das die USA dem Irak stellte – und das nun längst obsolet ist. Danach „weiter auf Seite …“? Nein. Nur der Sportbund findet seine Fortsetzung im Innenteil. Der Krieg auch, zwar, die übliche Übernahme aus dem überregionalen Mantelblatt – fast eine Seite über die Strategie der Alliierten, hurra. Keinerlei kritische Diskussion, kein Wort über die Menschen im Irak.
So leid es mir für die WZ tut: Ich muss wohl weiterhin die Frankfurter Rundschau abonnieren, um täglich über mehr als Marine und Karnickelzüchter informiert zu sein.
Imke Zwoch
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