„Schauen Sie doch mal kritisch in den Spiegel“
– dies und anderes rät einer der Nordseepassagen-Betriebe seinen künftigen Mitarbeiterinnen
(noa) Im September wird die Nordseepassage am Bahnhof eröffnet. Die Betriebe suchen schon seit einiger Zeit ihr Personal aus. Sie lassen dabei die erforderliche Sorgfalt walten. Wer sich z.B. bei der Firma Hunkemöller bewirbt, bekommt eine Broschüre in die Hand gedrückt, in der die Geschäftsleitung die künftige Mitarbeiterin wissen läßt, wie sie zur „Visitenkarte“ von Hunkemöller wird.
Obwohl es nur die künftigen „Visitenkarten“ etwas angeht, haben wir es nicht übers Herz gebracht, unseren Lesern und insbesondere unseren Leserinnen dieses „Beauty & Style Notizbuch“ vorzuenthalten. Illustriert wie eine Erstausgabe von Jo Hanns Rösler, enthält es zahllose Tips, die auch gewöhnliche Frauen sich zu Herzen nehmen sollten: „Richtig angezogen sind Sie, wenn Ihre Kleidung zu Ihrer Figur paßt, zu Ihrer Persönlichkeit paßt, modisch ist…“ (S. 4), ggfs., nämlich „unter Bedingungen“ dürfen es Jeans sein, aber nur „Wenn Ihre Figur es zuläßt, schön und gebügelt, keine hellen oder dünnen Stellen, keine Fransen oder Risse…“; auf jeden Fall „tragen Sie einen Ledergürtel und kombinieren Sie die Jeanshosen mit einer Bluse mit z.B. (Strick-) Jacke, Weste, Lederschuhen“ und, ganz wichtig: „auch mit Jeans sollten Sie angezogen aussehen“! (S. 19)
Frau Jennifer Griffith, die Farb- und Stilberaterin, die der werdenden Hunkemöller-Verkaufsmitarbeiterin die Tips und Richtlinien zusammengestellt hat, versäumt es auch nicht, Elementares zur Körperpflege mitzuteilen: Das Haar sei „schön, gepflegt und gut geschnitten“. Es gilt die dringende Empfehlung: „Machen Sie, wenn Sie beim Friseur sind, schon einen Termin aus für Ihren nächsten Besuch (seien Sie auf der Hut vor Haarauswuchs)“! (S. 11) Was die Haut angeht, so beachte frau: „Duschen/baden Sie täglich, benutzen Sie pflegende Cremes, keine Haare auf den Beinen und unter den Armen.“ (ebenda)
Um Körpergeruch zu vermeiden, sollte frau beachten: „Tragen Sie Kleidung nicht zu lange hintereinander“, und bitte „täglich frische Unterwäsche, täglich frische Bluse/ T-Shirt, Jacken/ Pullover/ Strickjacken/ Röcke nach dem Tragen erst minimal 1 Tag lüften lassen (am besten beim offenen Fenster oder auf dem Balkon)“ (S. 13) Frau Griffith weiß auch mit der Zahnpflege Bescheid: „Putzen Sie nach jeder Mahlzeit Ihre Zähne, auch während der Arbeit – Es ist nicht empfehlenswert, einen Mundspray zu benutzen. Dieser tötet zwar die Bakterien im Mund, jedoch auch die Bakterien, die Sie brauchen. Hierdurch laufen Sie Gefahr, schlechtes Zahnfleisch und also einen schlechteren Atem zu bekommen.“ (ebenda)
Trotzdem gehört zur „Basisausrüstung“ („Das sollte am Arbeitsplatz immer vorhanden sein!“) neben Zahnbürste mit Zahnpasta, Aspirin, einer Monatsbinde und allerlei anderen wichtigen Dingen auch – „Mundspray“! (S. 14)
Das Schärfste ist der Test auf S. 9 – keine Frau kommt ohne mindestens einen Test pro Frauenzeitschrift aus, und da darf er auch im „Beauty & Style Notizbuch“ nicht fehlen. Ihn präsentieren wir in voller Länge:
„5. Sind Sie zu eintönig oder zu bunt gekleidet?
Zählen Sie pro Aspekt die Punkte:
1 Punkt für jede Farbe, die Sie tragen
1 Punkt für jede Schleife/ Rüsche
1 Punkt für jede(n) Schal (Korsage)
1 Punkt für Knöpfe in kontrastierenden Farben
1 Punkt wenn Sie einen Gürtel tragen
1 Punkt pro Schmuckteil
1 Punkt wenn Sie farbigen Nagellack tragen
1 Punkt für farbige Nylon-(knie)strümpfe
1 Punkt für Accessoires an den Schuhen (z.B. Schleife/ Schnalle)
1 Punkt für Schuhe mit offenem Zeh
1 Punkt wenn Sie sichtbar Nagellack auf den Zehnägeln haben
„Über 16 Punkte heißt zu bunt, unter 8 heißt zu eintönig“
Obwohl dieses Heftchen kein Erscheinungsdatum enthält, verbürgen wir uns dafür, daß es – entgegen dem Eindruck, den Sprachgebrauch und Illustration vermitteln – nicht aus der Nierentisch-Epoche stammt. Ganz hinten, ab S. 18, wo die Bekleidungstips noch einmal zusammengefaßt werden und z.B. ein „Sonnentop (vorausgesetzt nicht ausgeschnitten, auch nichts zu sehen wenn Sie sich bücken)“ erlaubt wird, stehen unter „Was nicht sein darf“ nicht nur Hotpants und Pfennigabsätze, sondern auch Leggings, und die gab es dunnemals noch nicht.
Die Firma Hunkemöller rief uns am 20.11.2000 an, um uns mitzuteilen, dass schon kurz nach der Eröffnung des Betriebes in der Nordseepassage das „Beauty&Style-Notizbuch“ zu den Akten gelegt wurde. Heute wird nach normalen Grundsätzen eingestellt. Der Bitte der Firma Hunkemöller, den Artikel aus dem Archiv zu entfernen, konnten wir nicht Folge leisten. Doch dieser Hinweis dürfte auch genügen. (red)
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