"Das Prinzip der Nazis ist erreicht!"
Nochmals kommt ein „Kampfhund“-Halter zu Wort
(iz) Seit einem halbseitigen WZ-Bericht mit Foto sind sie wohl das bekannteste „Kampfhund“-Gespann der Stadt: André Deckena und seine Hündin „Frolein“. Deckena wandte sich auch an den GEGENWIND. Gern entsprachen wir seinem Wunsch nach einem Gespräch, um in einem Straßencafé hinter den Kulissen des Kampfhund-Sommertheaters dessen Vielschichtigkeit zu beleuchten.
Gegenwind: Am Telefon hast du dich ziemlich sauer über den Kommentar im letzten Gegenwind geäußert.
André Deckena: Ich fühle mich als Betroffener angegriffen. Erstens sehe ich schon die Nähe zur Nazi-Mentalität, wie momentan mit bestimmten Hundebesitzern umgegangen wird. Zweitens kann ich nicht begreifen, dass der Kommentator diesen Schnellschuss der Politiker (die Gefahrtierverordnung -iz-) befürwortet.
Als „Linker“ – und so habe ich dich in der Vergangenheit erlebt – sollte man mit dem dunkelsten Teil deutscher Geschichte sehr sensibel umgehen. Der Holocaust ist mit nichts zu vergleichen. Es ging um 6 Millionen Menschen, die als „Rasse“ abgestempelt und aus politischem Kalkül von einem Wahnsinnigen systematisch ermordet wurden.
Wir stellen das nicht auf eine Stufe, sondern ich sage: Das Prinzip der Nazis ist erreicht, wir sind wieder dicht dran.
Bei aller Sympathie für dich und deinen Hund, da kommen wir politisch nicht auf einen Nenner. Du lässt genau solche Schnellschüsse los wie jene, die du kritisierst. Auch gegen den Kommentator. Hättest du bis zum letzten Absatz ordentlich gelesen, wäre dir aufgefallen, dass er nicht für oder gegen eine der gegensätzlichen Kampfhunde-Meinungen plädiert, sondern gegen extrem verzerrte und verdrehte „Argumente“ und gesellschaftliche Umgangsweisen.
Auch die Haltung der Frau, die ihr interviewt habt, kann ich nicht nachvollziehen. Ich hab den Gegenwind immer gelesen, jetzt wohl nicht mehr.
Macht ja nix. Wir wollen bewusst provozieren, um was in Bewegung zu bringen, kommt aber immer mal vor, dass sich Leute persönlich angegriffen fühlen. – Wie hast du denn die hochgekochte Stimmung in den letzten Wochen so erlebt?
Ich bin schon mehrfach von der Polizei angesprochen worden, weil mein Hund immer noch keinen Maulkorb trägt. Die erste Anzeige gegen mich läuft, als erster Wilhelmshavener Präzedenzfall. Einmal kam ein Beamter mit gezogener Waffe auf mich zu, das fand ich gar nicht witzig, zumal ich meine Tochter im Kinderwagen bei mir hatte. Sogar ein Zoohändler hat mich vor seinem Laden angemacht wegen fehlendem Maulkorb…
…der neulich inseriert hatte „Maulkörbe auch in großen Größen vorrätig“?
…und in der Marktstraße bin ich schon angespuckt worden. Zum Glück hab ich das in dem Moment nicht gemerkt, sonst hätte ich selbst dem Typen…
Wenn ihr der überzogenen Aggressivität der Hundegegner auf gleichem, unterstem Niveau begegnet, macht ihr euch keine Freunde, das schafft das Problem nicht aus der Welt. Der WZ-Artikel war da eine klügere Strategie.
Stimmt. Wir haben soviel positive Resonanz gekriegt, alle sind heute freundlich auf uns zugegangen.
Weißt du, wie andere betroffene Hundebesitzer hier reagiert haben?
Ich weiß von einigen, die ihren Hund weggegeben haben, ins Tierheim, und einige wenige Fälle, wo das Tier ausgesetzt wurde.
Und wie bist du jetzt mit dem Ordnungsamt verblieben?
Für die Begleithundeprüfung, die Frolein als zuverlässig qualifizieren würde, ist sie schon zu alt. Aber ich habe mich heute bei der Rettungshundestaffel angemeldet; wenn ich dort den Kurs absolviere, bekomme ich eine Bescheinigung, dass Frolein weiterhin ohne Maulkorb spazieren gehen darf.
Ist doch prima, vielleicht schaffst du damit einen Präzedenzfall als Alternative zum finanziell und zeitlich aufwendigen Wesens- test.
Sehe ich auch so. Trotzdem werde ich auf alle Fälle mit Frolein so bald wie möglich die Wesensprüfung machen, obwohl die zunächst nur „echte“ Kampfhunde der Kategorie 1 machen müssen, mit dem Problem, dass es vorerst nur einen Tierarzt in Hannover gibt, der die abnimmt, ich Frolein nicht mehr in öffentlichen Verkehrsmitteln mitnehmen darf und kein Auto fahre. Für mich ist die Konsequenz aus den Vorfällen der letzten Zeit, dass jeder Hundebesitzer verpflichtend einen Hundeführerschein machen sollte, über mehrere Jahre und wenn es 5000 Mark kostet.
Damit grenzt du aber selbst eine Randgruppe aus, z. B. die Oma, die niemanden mehr zum Schmusen hat als ihren Yorkshire-Terrier.
Da müssen eben auch Ausnahmen möglich sein. Aber so was wie in Hamburg – das war keine fahrlässige Tötung, das war vorsätzlicher Mord, wenn der Typ seinen Hund auf öffentlichem Gelände gegen alles abrichtet, was nicht schnell genug laufen kann. Der Mann gehört eingeknastet, nicht der Hund. Die Gefahrtierverordnung haben die mal eben schnell zusammengebastelt, dabei steht für die Betroffenen so viel auf dem Spiel, da müsste man sich schon länger Zeit für nehmen, auch für die Entwicklung des Wesenstestes. Sexualstraftätern wird ja auch nicht per Schnellverfahren der Schwanz abgeschnitten, und die Nazis dürfen weiter an Hitlers Geburtstag marschieren.
Ein am Café vorbeikommender Passant: Ihr wart doch heute in der Zeitung? Meine Freundin hat auch einen Rottweiler und hat Angst, dass ihr der Hund fortgenommen wird. Sie hat schon an ein tierärztliches Gutachten gedacht, damit der Hund keinen Maulkorb tragen muss, erschwerte Atmung und so.
André Deckena: Lasst da bloß die Finger von. Geht das Problem direkt an, ohne Ausflüchte. Macht auf alle Fälle den Wesenstest, und meldet euch bei der Rettungshundestaffel zum Kurs an. Macht euch klar: Wir haben gefährliche Hunde. Ich würde meine kleine Tochter nie mit meinem allein lassen. Da stolpert sie mal über ihn oder zieht ihn am Ohr, und wenn dann ein Hund dieser Größe auch nur vor Schreck schnappt… Noch was: schreibt Leserbriefe, macht die Situation öffentlich! Was mich nervt, ist, dass auch die Hundebesitzer erst jetzt reagieren, wo sie selbst betroffen sind. Dabei gab es schon vor Jahren die ersten Vorfälle, da hätten sie ihrerseits die richtigen Schritte anleiern können.
Ist das nicht immer so, dass die Leute Probleme erst dann wahrnehmen, wenn es ihnen selber weh tut?
Frolein (tötet die Reporterin, die soviel fragt, mit beleidigten Blicken): Herrchen, können wir jetzt endlich gehen?
Frolein, wir danken dir für das Gespräch.
Stellvertreter-Kriege
Ich kenne Frolein (und ihr Herrchen), seit sie ein Hunde-Teenie war, und würde sie, wäre sie frisch gebadet, ohne Angst in meinem Bett schlafen lassen. Ich kannte eine andere Rottweilerhündin, die mit Kindern aufwuchs und nach Jahren eines davon so attackierte, dass Herrchen sie umgehend erschoss. Weder sie noch Frolein sind repräsentativ.
Aggressive Schnellschüsse und Extrempositionen einiger Meinungsmacher führen zu keiner Lösung, und vielleicht wollen die Verantwortlichen das auch gar nicht. Der Hundekrieg ist einer von vielen Stellvertreter-Kriegen, in denen sich politisch-gesellschaftliche Unzufriedenheit an falscher Stelle entlädt. Mal sind es die Asylanten, mal die Null-Bock-Jugend, die den allzu braven Bürger „bedrohen“. In diesem Fall eben die Hunde, mit dem Unterschied, dass sie bzw. ihre Herrchen und Frauchen den Wohlstandsbauch nicht (angeblich) materiell bedrohen, sondern körperlich.
Dieser Vergleich sei erlaubt. Von den Juden, dem Holocaust, sollten die betroffenen Hundebesitzer die Finger lassen. Von ihren Tieren mögen verantwortungsbewusste Halter folgsamer Hunde eine Menge Ahnung haben, doch statt die systematische Vernichtung eines ganzen Volkes als Symbol für ihre Interessen zu missbrauchen, sollten sie sich mal mit historischen Hintergründen beschäftigen. Damit soll eine Kernaussage eines anderen Kommentators (Gegenwind 160) nicht einfach wiederholt, sondern – hoffentlich – verdeutlicht werden.
Unser Gesprächspartner mag Recht haben, dass, im Vergleich zu noch gravierende- ren gesellschaftlichen Problemen, gegen die Hunde(besitzer) unverhältnismäßig vorgegangen wird: „Die Nazis dürfen immer noch an Hitlers Geburtstag marschieren“ – ohne dass der Staat so schnell und konsequent eine Rechtsnorm dagegen setzt. Hier gibt es schon Parallelen, denn Neonazis sind in der Tat eine körperliche, im schlimmsten Fall tödliche Bedrohung für die Schwächsten unserer Gesellschaft. Wie manche Hunde, nur dass die Faschos nicht aus angezüchtetem und –trainiertem Instinkt, sondern in kaltblütiger Überlegung handeln. Und wenn dadurch ein türkisches Kind ums Leben kommt, ist der Nachhall in der Presse viel geringer, und der „Wesenstest“ der Täter ergibt in der Regel, dass es sich nicht um Neofaschisten, sondern um ungezogene, „fehlgeleitete“ Jugendliche handelt.
Ein anderer, durchaus interessanter Aspekt des „Kampfhund-Sommertheaters“ ist, inwiefern die „Gefahrtierverordnung“ beispielsweise des Landes Niedersachsen gültigen Rechtsnormen desselben Gesetzgebers widerspricht. Hierzu liegt uns eine detaillierte Klageschrift (Normenkontrollantrag an das Oberverwaltungsgericht Lüneburg) gegen das Land vor, die eine hiesige Anwaltskanzlei im Auftrag zweier Wilhelmshavener Mandanten verfasst hat. Über das Ergebnis werden wir zu gegebener Zeit berichten.
Imke Zwoch
Normenkontrollantrag
gegen das Land Niedersachsen
wegen Gefahrtierverordnung
(iz) Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 7 des Nds. Verwaltungsgerichtsgesetzes haben Betroffene (Hundebesitzer) die Möglichkeit, die Ungültigkeit der neuen Gefahrtierverordnung gerichtlich feststellen zu lassen. Zwei Wilhelmshavener Hundehalter haben davon Gebrauch gemacht. Hier die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte aus der Klageschrift ihrer Anwaltskanzlei:
1. Das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten hat die Verordnung erlassen, ist jedoch für Haushunde nicht zuständig.
2. Verstoß gegen Art. 6b der Nds. Verfassung, Tiere als Lebewesen zu achten und zu schützen, und gegen §1 Abs. 2 des Bundestierschutzgesetzes, Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (Maulkorb, Sterilisierung).
3. Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 des Grundgesetzes, weil die Haltung bestimmter Hunderassen generell verboten wird, weitaus gefährlichere Tiere wie Grizzlybären, Krokodile, Wolf jedoch weiterhin gehalten werden dürfen, wenn ein sicheres Gehege vorhanden ist.
4. Eine besondere Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen ist statistisch nicht belegt, eine Polizeiverordnung, die 11 Hunderassen als „Kampfhunderassen“ gefahrenabwehrrechtlich verschärft behandeln wollte, ist bereits 1992/93 durch 3 Verwaltungsgerichte als unwirksam verworfen worden.
5. Verstoß gegen Art. 14 GG, da die Tötung der Tiere eine Enteignung darstellt, ohne dass eine Entschädigung geregelt ist.
6. Verstoß gegen Artikel 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsgebot) bzw. Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes. Der Halter musste beim Erwerb des Tieres nicht damit rechnen, dass ihm im Nachgang durch die neue Verordnung erhebliche Kosten für Wesenstest, Sterilisierung bzw. Tötung entstehen. Enttäuscht wird seine mit dem Erwerb des Tieres verbundene Erwartung, dieses Zeit seines Lebens halten zu können bzw. aus dem Verkauf von Welpen Erlöse zu erzielen. Die Verordnung sieht keine Übergangsfristen, keine Entschädigung und keinen Bestandsschutz vor (Verletzung des Rückwirkungsverbotes).
7. Der Verordnung mangelt es an Bestimmtheit. Zum einen sind „Kreuzungen“ mit den betroffenen 11 Hunderassen nicht genau definiert. Zum anderen gilt für diese 11 Rassen ab sofort Maulkorbzwang, woran sich jedoch auch durch die Ausnahmegenehmigung nach bestandenem Wesenstest nichts ändert.
8. Die Gefahrtierverordnung ist hinsichtlich Haltungsverbot, Zwangssterilisierung und Wesenstest bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen, da bis zur Entscheidung keine vollende- ten Tatsachen wie insbesondere Tötung des Tieres geschaffen werden dürfen.
9. Abschließend werden weitere Ungereimtheiten der Verordnung erwähnt, z.B. dass der Deutsche Schäferhund nicht darunter fällt.
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