Was bin ich?
DGB diskutierte mit OberbürgermeisterkandidatInnen
(iz) Die Blütezeit lokaler Streitkultur in Form von öffentlichen Podiumsdiskussionen ist lang vorbei. In den letzten Monaten wurde sie durch die Bürgerinitiative gegen den JadeWeserPort wiederbelebt. Anlässlich der bevorstehenden Kommunalwahl trommelte jetzt auch der DBG Wilhelmshaven Vertreter der Parteien und interessierte BürgerInnen zusammen, um sich einen Abend lang mit stadtpolitischen Problemen auseinanderzusetzen.
Ausgangspunkt war die „Kommunalpolitische Forderung“ des DGB zu den Themen Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Frauenförderung und Gleichstellungspolitik sowie „Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“.
Das erste Thema war insofern unglücklich gewählt, als es alle fünf geladenen OberbürgermeisterkandidatInnen für ihr Lieblingsthema JadeWeserPort vereinnahmten. Dieses ausführlich zu diskutieren, bestand am darauf folgenden Abend in gleicher Runde Gelegenheit bei einer Veranstaltung der Antiport-Bürgerinitiative (s. Artikel auf S. 3). Für den DGB sprach Hartmut Tammen-Henke zwar an, , dass „Wilhelmshaven sich nicht nur auf diesen Hafen als allein seligmachende Entscheidung konzentrieren“ darf, sondern „an den strukturellen Defiziten der Region arbeiten“ muss, „um eine nachhaltige positive wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen“. Doch abgesehen von WALLI-Kandidat Joachim Tjaden beschränkten sich seine Kontrahenten auf die hinlänglich bekannte Lobhudelei des Mammutprojekts und blieben Antworten auf Alternativen schuldig.
So verstrich ein Großteil der Zeit, die insgesamt angesetzt war, ehe Moderatorin Monika Schwarz zu den anderen Themen überleiten konnte – Themen, die mindestens ebenso wichtig sind, aber (von einer Ausnahme abgesehen) im Kommunalwahlkampf arg vernachlässigt wurden.
Der DGB fordert u. a. kostenlose Betreuung (Kindergärten, Horte, Tagesstätten) für sozialhilfeberechtigte Kinder, ein verbessertes Angebot für Ganztagsbetreuung der Kinder von Alleinerziehenden, die Einführung eines Sozialpasses für Arbeitslose zur verbilligten Nutzung öffentlicher Einrichtungen und die finanzielle Absicherung der Arbeitsloseninitiative (ALI) und anderer Initiativen im Bereich Selbsthilfe, Beratung, Qualifizierung, Weiterbildung.
Marianne Fröhling (Bündnis90/Grüne) pflichtete dem bei, zudem sichere die ALI auch zwei Arbeitsplätze. Sie bedauerte, dass „für EXPO-Gutachter Geld da war – für Soziales nicht.“ OB Menzel (SPD) erklärte, dass freiwillige soziale Leistungen der Stadt zur Konsolidierung des städtischen Haushalts gestrichen werden mussten. Die Missstände an der Schule Bremer Straße (s. Meldung auf S. … „Prostitution an Wilhelmshavener Schulen?“). sind für ihn „ein Fall für die Polizei“. Joachim Tjaden bezweifelte, dass bei immer noch 170 Mio DM Schulden der Haushalt konsolidiert sei. Bei der ALI ginge es um mehr als die 2 Arbeitsplätze der hauptamtlichen Organisatoren. Plätze für die Ganztagsbetreuung von Kindern sollten bevorzugt an die sozial Schwächsten wie Alleinerziehende vergeben werden. Hans van Weelden (parteiloser CDU-Kandidat) sprach sich für die Stärkung von Frauengruppen aus, die im Wechsel die Kinder betreuen, während andere Frauen der Gruppe arbeiten oder studieren. Seiner Meinung nach muss die Gesellschaft „gezielt und organisiert“ Opfer bringen, um sozial Schwachen zu helfen. Michael von Teichmann (FDP) sprach sich gegen den Sozialpass aus, da Arbeitslose dadurch „weiter in Abhängigkeit“ gehalten würden; nur wer sich selbst „durchschlagen“ könne, könne ein „selbstverantwortliches, freies Leben“ führen.
Aus dem Publikum sprach sich Gerda Kümmel (B90/Grüne) dagegen aus, bei der Ganztagsbetreuung Alleinerziehende gegenüber Doppelverdienern zu bevorzugen. Ihrer Meinung nach müssten heutzutage Frauen grundsätzlich einem eigenen Job nachgehen, weil die Arbeitsplätze der Männer nicht mehr sicher seien.
Das Thema fiel angesichts der fortgeschrittenen Zeit unter den Tisch. Was mehr über die Haltung der Diskutanten aussagte, als wenn sie ihre emanzipatorischen Floskeln heruntergebetet hätten. Denn die Zeitnot war das Ergebnis ihrer Prioritätensetzung, trotz Kenntnis der Tagesordnung sich am Thema Containerhafen festzubeißen – auch Marianne Fröhling, die unter „Soziales“ noch zur Kenntnis gab, dass „JadeWeserPort, Bauen und Straßen“ bei Männern Vorrang genießen würden. Das traurige Ergebnis unterstreicht die Forderungen des DGB nach „Berücksichtigung von Fraueninteressen in der Wirtschafts- und Strukturpolitik durch die ausreichende Beteiligung von Frauen in den damit befassten Gremien, die Einbeziehung von Frauen in Planungsprozesse“ usf. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Themenschwerpunkt mit weiteren, wichtigen Forderungen des DGB – und den Stellungnahmen der PolitikerInnen – in einer gesonderten Veranstaltung aufgegriffen würde.
Dieses heikle Thema, laut DGB eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft, wurde in den letzten zehn Minuten noch schnell abgehakt. Der DGB fordert, jegliche öffentlichen Nazi-Aktivitäten zu unterbinden, allen daran Beteiligten die Unterstützung zu versagen, antifaschistische Initiativen und Projekte durch kommunale Mittel zu unterstützen und die Arbeit der AusländerInnenbetreuung sofort wieder aufzunehmen.
OB Menzel räumte ein, die Betreuung des Ausländerbeirats sei „ein wenig abgeglitten“. Die Republikaner gelangten zunehmend an Hausbestände und brächten dadurch auch Mieter in ihre Abhängigkeit, deren Miete von der Stadt bezahlt werde. Das alles mache ihm „ein wenig Sorge“. Fröhling fand, mit den Häusern, das sei „freie Marktwirtschaft“, und freute sich: Die zwei rechtsradikalen Ratsmitglieder „schweigen sich selber tot“. Moderatorin Monika Schwarz hielt die passive Ignoranz der übrigen Ratsmitglieder für unzureichend und forderte einen offensiven Wahlkampf gegen Rechtsradikale. Tjaden empfahl schlicht, bei der Kommunalwahl „alle Kreuze bei demokratischen Parteien“ zu machen. Ein ausländischer Mitbürger aus dem Publikum fühlte sich durch das Wort „Ausländer“ grundsätzlich diskriminiert, und wünschte sich den Begriff „Neubürger“ – der auch präziser beschreibt, dass es sich nicht um einen Touristen, sondern einen hier lebenden und arbeitenden Menschen handelt.
Der niederländische Staatsbürger van Weelden freut sich, „ein integraler Bestandteil Wilhelmshavens“ zu sein. Wichtig sei, Ausländer die deutsche Sprache und Kultur lernen zu lassen – so könne man auch das „Ghetto Südstadt“ beseitigen. Von Teichmann meinte, die Wähler, die Republikaner ins Stadtparlament befördern, seien „nicht rechtsradikal, sondern reine Protestwähler“.
Ein Schlusssatz? Gut, dass mal drüber gesprochen wurde. In spätestens fünf Jahren sprechen wir uns wieder.
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