Deicherhöhung
Sep 271996
 

Ganz Friesland auf den Beinen

Mehr als zehntausend Bürger und Bürgerinnen demonstrieren gegen den BUND für Umwelt und Naturschutz

(hk) Das war schon eine beeindruckende Demonstration, als Tausende Fackeln das Oval um den Jadebusen in ein gespenstisches Licht tauchten. Aber wußten die 13.000 wirklich, wofür oder wogegen sie demonstrierten? Wir haben die Geschichte der Demonstration recherchiert.

Obwohl die Einspruchsfristen noch nicht abgelaufen sind, gibt die Bezirksregierung grünes Licht für den Beginn der Baumaßnahme zur Erhöhung des Deiches zwischen Cäciliengroden und Dangast. Dagegen klagt der BUND, der die Meinung vertritt, daß die Interessen des Naturschutzes in der Planfeststellung nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Das Verwaltungsgericht Oldenburg stellt mit seinem Beschluß vom 21. Juni 1996 fest, daß die Klage des BUND zu Recht bestehe. Der Antrag des BUND ist u.a. deswegen erfolgreich, weil das Gericht erhebliche Bedenken hat, daß der Planfeststellungsbeschluß rechtswidrig ist, “daß er gerade Vorschriften des Naturschutzrechtes (…) verletzt.” (Aus dem Gerichtsbeschluß)
In einem weiteren Beschluß präzisiert das Verwaltungsgericht am 11. Juli die Gründe für den Baustopp und schreibt fest, wie die Deichsicherheit zu gewährleisten ist. “Daß der Beigeladene (III. Oldenburgischer Deichband, -hk-) diesen Beschränkungen nunmehr unterliegt und aus den im Beschluß vom 21. Juni 1996 genannten Gründen den Deich voraussichtlich im nächsten Jahr insgesamt zurückbauen muß, um eine Wiederherstellung der Salzwiesen zu gewährleisten, hat er seinem eigenen Verhalten zuzuschreiben, mit den Baumaßnahmen zu beginnen, obwohl das Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch nicht ab- geschlossen war. Es ist daher auch Sache des Beigeladenen, die sich aus dieser Vorgehensweise ergebenden erhöhten Baukosten zu tragen.” (Aus dem Beschluß vom 11.7.96)

Widerstand regt sich

Nordwest-Zeitung 17.7.96: Unter der Überschrift ‘Siedler holen Transparente wieder heraus’ formiert sich der Widerstand gegen den Gerichtsbeschluß. ‘Wir sind zu Demonstrationen bereit.’ ‘Wir sollten uns nicht länger gefallen lassen, daß der Mensch hinter den Salzwiesen steht.’ – Stimmung bei den Siedlern in Cäciliengroden. Inzwischen wurde Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingereicht. ‘Wird die Klage zurückgewiesen, können wir so nicht in den Winter gehen.” (Hans-Heinrich Schrievers vom Deichband, nach NWZ).
Anfang August geben der Siedlerbund Cäciliengroden, die ev.-luth. Kirchengemeinde Sande II, der Kreis-Landvolk-Verband Friesland, die Ammerländer Landbevölkerung e.V., und die Gemeinden Sande, Zetel, Bockhorn und Varel ein Infoblatt heraus, in dem eine ‘Menschenkette um den Jadebusen’ für den 30. August angekündigt wird. Der BUND wird zur Zurücknahme seiner Klage aufgefordert wird. ‘Wir fürchten uns, hinter einer Deichruine zu leben’ heißt es weiter in dem Infoblatt.

Das Spiel mit der Angst der Menschen

Wilhelmshavener Zeitung, 21.8.96: ‘Auch die Kirchengemeinde Bant ruft dazu auf, sich an der Menschenkette rund um den Jadebusen (…) zu beteiligen. ‘Wenn in Cäciliengroden der Deich bricht, ist auch Wilhelmshaven gefährdet’, heißt es im Banter Aufruf.
Ebenfalls Wilhelmshavener Zeitung, 21.8.96: Unter der Überschrift ‘Eine Fackel ist leichter als ein Sandsack’ wird weiter für die Großdemonstration mobilisiert: ‘Deichbau ohne Verzögerung, darum geht es.’ (Varels Stadtdirektor August Osterloh). ‘Pastor Klimmeck erteilte jeder Art von Naturideologie eine Absage.’ Am 21.8. steht auch der ‘Aufmarschplan.’
Wilhelmshavener Zeitung, 24.8.96: ‘Oberbürgermeister Menzel ruft die Wilhelmshavener Bevölkerung zur Teilnahme an der Menschenkette um den Jadebusen. (…) Der CDU- Kreisverband Wilhelmshaven hat bereits beschlossen, sich an der Aktion zu beteiligen.’ Für OB Menzel ist es eine Frage der Solidarität, auf die Gefährdung der Menschen hinter dem Deich aufmerksam zu machen. Die Organisation in Wilhelmshaven wird vom Hauptamt der Stadtverwaltung übernommen.
Jeversches Wochenblatt, 27.8.96: “Walter Hirche erkannte sofort: ‘Der Mensch muß im Zentrum der Probleme stehen.’ Früsmer Ortgies vom III. Deichband weiß die Situation für seine Interessen auszunutzen. Er fordert eine Sonderstellung für den Deichbau.
Leserbrief Wilhelmshavener Zeitung, 28.8.96: ‘Mir ist unbegreiflich, daß es Fanatiker gibt, die das Wohlergehen der letzten Salzkröte des Landkreises über die Deichsicherheit stellen.’ Das ökologische Gleichgewicht wird ‘ von maßlos übersteigerten Natur- und Umweltideologen zum Ungleichgewicht und antimenschlichen Dogma pervertiert.’
Nordwest-Zeitung 29.8.96: ‘Die Sicherheit der Menschen dürfe nicht durch überzogene Forderungen des Naturschutzes gefährdet werden.’ (CDU-Kreistagsfraktion). ‘Deiche schützen vor Katastrophen und Umweltverseuchungen bis weit ins Hinterland.’ (CDU Schortens). Erste Stimmen gegen das Verbandsklagerecht werden laut.
Presseinformation des Umweltministeriums, 29.8.96: ‘Es besteht keine Gefahr für die Menschen an der Küste. Die Deichsicherheit ist und wird gewährleistet. Dafür steht die Landesregierung mit ihrem Wort.’

Sturmflut droht!

Wilhelmshavener Zeitung 29.8.96: Am Tag vor der Demonstration legt sich die WZ noch einmal ordentlich ins Zeug. Die ganze Seite 3 steht im Zeichen der Lichterkette. Laut einer WZ-Umfrage erklärten alle von ihr Befragten, ‘daß die Deichsicherheit unbedingten Vorrang haben müsse.’ Neben der CDU-Spitzenkandidatin Petra Gottschalk, meint auch der Spitzenkandidat der Grünen, Werner Biehl, ‘daß der Deich jetzt schnell gebaut werden müsse.’ Arnold Preuß, Interims-Intendant der Landesbühne, erinnert sich an die Sturmflut 1954 und fordert ‘Der Deich muß schnell erhöht werden.’ Helmut Harms erinnert sich , wie er bei der Sturmflut 1962 als Soldat unter Lebensgefahr in Rüstersiel mit Sandsäcken den Hauptdeich flickte.’ In einem extra Artikel erinnert die WZ an die Ausmaße der Sturmflut 1962.
Am 30.8. findet dann die Großdemonstration statt. Ca. 13.000 Menschen beteiligen sich daran. Die Aktion findet weit über die Region hinaus Resonanz. Meppener Tageblatt, 31.8.96: ‘Drei Stunden vor Mitternacht ließ Pfarrer Frank Klimmeck die Sturmglocke der Christuskirche von Cäciliengroden läuten. Das war das vereinbarte Signal.’
Schon während der Demonstration wurden die Stimmen versöhnlicher. Das hochgepeitschte Spiel mit der Angst, war den Initiatoren wohl etwas aus dem Ruder gelaufen. So erklärten die ‘Anstifter’ in einer Presseerklärung vom 30.8.96, daß sie ‘nicht um die gewährleistete Deichsicherheit gegen die kommenden Winterstürme’ fürchten. ‘Dazu haben wir keine Ängste geschürt.’
Mit einem ‘Dankgottesdienst der Deichbauer’ beendete die Kirche die Aktion.


 

Friesland brennt

Die Magazinsendung des N3-Fernsehens “extra drei” brachte einen Beitrag zur Lichterkette auf dem Deich.

Diskussion am Deich

extra drei: Der Deichgraf und seine Mannen verstehen die Welt nicht mehr.
Deichgraf: Ganz kurz. Der Reihe nach. Erst mal wie alt sind Sie? Ich bin 57. Und wie alt sind Sie!
BUND: Dreiunddreißig
Deichgraf: Dreiunddreißig. Noch nie ‘nen Deich gesehen, noch nie ‘ne Sturmflut erlebt. Das ist das erste. Wo wohnen Sie?
BUND: Ich wohne hier hinterm Deich.
Deichgraf: Sie wohnen hinterm Deich. Das ist ein Vorteil für Sie. Dann es ist im Grunde noch schlimmer, wenn Sie dann so etwas sagen.
extra drei: Der Deichgraf ist bemüht, die Diskussion zu versachlichen.
Deichgraf: Ich sage Ihnen eins: Wir waren gestern bei der Frau Ministerin und wir Deichbände haben es uns abgewöhnt, emotional Worte zu gebrauchen, die einfach nicht mehr in die Gesellschaft passen. Und wenn der BUND in unseren Heimatzeitungen formuliert ‘Hochmut kommt vor dem Fall’ – wissen Sie was Sie da losgetreten haben? Da haben Sie unsere Bürger hinter dem Deich mit Füßen getreten!
extra drei: Da schweigt der BUND und der Pastor pocht auf das alte Recht der Friesen, sich die Erde untertan zu machen.
Pastor: …wo gar keine Vögelchen mehr sind. Gerade der Mensch ist beauftragt, als Haushalter Gottes diese Schöpfung zu bewahren, zu gestalten und erneuern, damit die Vielfalt immer wieder zum Tragen kommt.
BUND: Bewahren wir denn die Schöpfung, wenn wir 12 Hektar Salzwiese zu- sätzlich vernichten?
Pastor: Entschuldigung. Ja, selbstverständlich. Erstens ist das keine Salzwiese mehr.
Bürger: Das ist doch keine Salzwiese!
Pastor (lachend): Sie kennen keine Salzwiese!
BUND: Ich habe meine Diplomarbeit über Salzwiesen geschrieben.
extra drei: Mit solchen Besserwissern sind die Friesen früher ganz anders umgesprungen.
Deichgraf: Die Formulierung, die Sie eben gemacht haben – mit Leuten, die die 62er Sturmflut erlebt haben. Oder in Hamburg oder in Holland waren – dann will ich Ihnen was sagen, was die mit Ihnen gemacht hätten. Das sage ich Ihnen natürlich nicht!
Bürger: Das kann man doch ruhig sagen.
Deichgraf: Nein, nein. Das ist der Punkt nämlich. Die jungen Leute wissen doch gar nicht was los ist.
BUND: Sie reden hier immer von Emotionen und schüren sie doch selber.
Deichgraf: Ich schüre keine Emotionen. Überhaupt nicht. Wissen Sie, was 14 Tage Deichbauzeit heißt? Zu spät sein? Soll ich Gorbatschow zitieren?
BUND: Bei 7 Jahren Bauzeit sind 14 Tage…
Deichgraf: …wissen Sie was? Es erübrigt sich mit Ihnen zu reden. (Tumultartige Reaktionen der versammelten Bürger).
extra drei: Der Naturschützer entgeht knapp der Lynchjustiz.

Stimmen während der Lichterkette auf dem Deich:

Junge Bürgerin: Ich habe einen kleinen Bruder und ich möchte nicht, daß, wenn er noch nicht schwimmen kann wenn die nächste Sintflut dann kommt, daß er dann mitgenommen wird vom Wasser.
Bürger: Wer ist mehr wert: Mensch oder Wattwurm?
Gesang der Cäciliengrodenerinnen: Dies Fleckchen Erde wurde einst dem Meere abgerungen. Durch starke, harte Männerfaust ist dieses Werk gelungen.
extra drei: Was harte Männerfaust dem Meere abgerungen, soll der BUND ihnen nicht nehmen. Die Lichterkette von Cäciliengroden ist das größte Ereignis in Friesland seit der Sturmflut von 1962.


 

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