Rabenschwarz ist Trend
6. Maritime Filmtage: Ein Erfolg mit Überraschungen
(iz) Trotz Unkenrufen und Drahtseilakten zur Finanzierung der diesjährigen Filmtage wurde das mittlerweile international renommierte Filmfestival an der Jade aus Sicht aller Beteiligten wieder ein Erfolg. Schwarzer Humor und Satire standen diesmal hoch im Kurs. Nur das Publikum ließ auf sich warten.
In wochenlanger Arbeit hatte die Vorjury aus 318 eingesandten Filme die 57 besten herausgesucht, die in 7 thematischen Blocks der Hauptjury und dem Publikum präsentiert wurden. Weitere sehenswerte Blocks gab es, außerhalb des Wettwerbs, im Rahmenprogramm, wie die „Dark Tales“, schwarze Kurzfilme aus Neuseeland. Ebenfalls für FreundInnen schwarzen Humors war der Block mit bösen kleinen Krimis. „Die subjektive Kamera“ präsentierte der Kulturkanal arte in 15 Kurzfilmen.
Zu Gast war diesmal die Filmakademie Baden Württemberg – Ludwigsburg mit 2 Programmblocks und einem Montageworkshop für Liebesszenen von Prof. Hans Beller. Eine weitere Werkstatt vermittelte „Neues von der Filmförderung“, in Zeiten knapper Kassen elementares Grundwissen für Filmemacher.
Wem zwischendurch mal nach Standbildern zumute war, konnte sich themenbegleitend die Ausstellung von Professor Franz Winzentsen in der Kunstschule „Die Werft“ angucken oder in der Torpedohalle am Südstrand die „tausendmeister“, eine junge und vielversprechende Künstlergruppe aus Düsseldorf.
Wie schon in den vergangenen Jahren gab es neben dem von der Fachjury vergebenen „Eisenstein“ auch einen SchülerInnenpreis von einer Jury der Cäcilienschule, und einen Publikumspreis, gesponsort vom Reiseladen „unterwegs“ und dem Magazin „Diabolo“.
Einen weiteren Preis vergab in diesem Jahr die Nationalparkverwaltung „Niedersächsisches Wattenmeer“ anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Großschutzgebietes vor der niedersächsischen Nordseeküste. Die Jury setzte sich zusammen aus ökologischen und/oder Medienfachleuten aus der Nationalparkverwaltung und anderen mit Naturschutz befaßten Institutionen. Unter dem Motto „(was) braucht der mensch meer?“ wurden die eingereichten Filme auf ihre Aussagekraft zum Verhältnis von Mensch, Natur und Umwelt geprüft.
Ziel des Wettbewerbs ist es nicht, möglichst publikumsträchtige und leichtverdauliche Filme bzw. deren Autoren zu fördern. Vielmehr soll ein Gegenpol zum inhaltlichen wie handwerklichen Einheitsbrei der Fernsehsender und Kinocenter gesetzt werden. Umso überraschender fiel die Entscheidung der Hauptjury aus: Den mit 5.000 DM dotierten „Eisenstein“ erhielt der Ire Damien O’Don-nell für seine schwarze Schülerkomödie „Thirty Five Aside“. Ein wirklich guter Film, saukomisch und tiefgründig, aber leicht durchschaubar und eher Aspirant für den Publikumspreis. Bislang hatten gerade die Filme Preischance, die für den Hausmannskost gewohnten Laien an der Grenze der Zumutbarkeit lagen.
Umgekehrt war auch die Publikumsentscheidung erstaunlich: „Solo Talent – Trilogie der beabsichtigten Todesfälle“ des Berliners Andreas Fischer war der Favorit, der gleichfalls Anerkennungen der übrigen Jurys erhielt. Ein Film, der, so die Fachjury, „Alltäglichkeiten entstellt bis zur Kenntlichkeit“ und deswegen eigentlich unerträglich ist für den Durchschnittsdeutschen, der sich des Mißbrauchs von Papiertaschentüchern, elektrischen Heizdecken und Ziervögeln überführt sieht. Die Autoren könnte man ebenso gut in der „Titanic“-Redaktion vermuten. Ein Hoch aufs Publikum für diese Entscheidung
– der Film wird bei jedem Hinsehen besser, hat Chancen auf das Prädikat „Kultfilm“ – und ist alles in allem besser, individueller und innovativer als der irische Hauptpreisträger. Es sei jedoch erwähnt, daß viele Sahnestücke des diesjährigen Programms aus Irland stammen, wie „Shades“, der einen Anerkennungspreis der Fachjury erhielt.
Ein Lob auch der Schülerjury. Während ihre Vorgänger sich noch für einen vordergründigen Liebesfilm entschieden, dessen Story stark nach „Bravo“-Zeitung schmeckte, fiel die Wahl diesmal auf „Force spéciale“, nach Einschätzung der Jury ein Antikriegsfilm, der die traumatischen seelischen Kriegswirren eines Soldaten am Weihnachtsabend schildert.
Die Nationalpark-Jury hatte neben 13 themenbezogenen Filmen des Wettbewerbs weitere 18 zu beurteilen, die in 3 gesonderten Blocks auch dem interessierten Publikum präsentiert wurden. Am Ende zeigte sich, daß die Preisträger allesamt Wettbewerbsfilme waren, die also nicht nur inhaltlich, sondern auch künstlerisch herausragend waren. Je 1.000 DM (aus Fördermitteln der niedersächsischen Wattenmeerstiftung) erhielten die Regisseure von „Quest“ (Kategorie Animationsfilme), „Machination“ (Kurz/Spielfilme) und „Heimatgefühle“ (Dokumentation). „Quest“ zeichnet die hoffnungslosen Bemühungen einer Sandfigur, in unterschiedlichen, feindlichen Lebenswelten zurechtzukommen. „Machination“ spielt ebenfalls in einer lebensfeindlichen Umgebung, einer Hochhaussiedlung. Ein junger Mann will eine Spinne daraus befreien und geht dabei selbst zugrunde. Die konkreteste Antwort auf die Fragestellung des Sonderwettbewerbs gibt „Heimatgefühle“. Jenseits herkömmlicher Naturdokumentationen wird auf romantische Überzeichnung oder apokalyptische Visionen von Natur verzichtet. Kein Naturschützer, kein Politiker kommt zu Wort. Im Mittelpunkt stehen verschiedene Menschen, die in und um Hamburg leben und ihr Verständnis von Natur, Wohlgefühl und Heimat vermitteln. Keine/r von ihnen benutzt Floskeln, die in den Mund gelegt wurden. Da sind der Elbfischer und der Halligbauer, für die Natur selbstverständliche Lebensgrundlage ist. Da sind die Laubenpieper, die aus der Großstadtwohnung in den Garten streben, um sich gemeinsam mit Gleichgesinnten die Kante zu geben. Da ist die Volkstanzgruppe, denen Musik und Tanz in der Gemeinschaft die gleiche Geborgenheit gibt wie dem Technofreak seine Disco. Und auch für den Internetsurfer ist die intakte Heimat nicht die grüne Wiese an der sauberen Elbe, sondern der Moment, wenn er sich in das Netz einschaltet und mit vertrauten Leuten kommuniziert, die er nie im Leben kennenlernen wird.
Eine bittere Erkenntnis für den Naturschutz? Vielleicht, aber vor allem eine wichtige Basisinformation für die tägliche Arbeit. Das sind die Menschen, für die und auch mit denen unsere Lebensgrundlagen erhalten werden sollen.
Insgesamt auffällig war die Einigkeit zwischen den Juroren. Die meisten der ausgezeichneten oder gelobten Filme einer Jury wurden auch von mindestens einer anderen Jury mit Preisen oder Anerkennungen versehen. Hoch im Rennen lagen „Machination“, „Quest“ und vor allem „Solo Talent“, dessen bescheiden gebliebener Regisseur vor Rührung fast ein Paket der gleichnamigen Taschentücher verbrauchte.
Am Ende, wenn viele Mühen hinter dem Filmtageteam und den Juroren liegen, wird ein Resumée gezogen. Das Programm, so die renommierte Fachjury, war von höchster Qualität. Sie fand es erfreulich, daß das Wilhelmshavener Festival sich durch ein offenes Reglement wohltuend von anderen abhebt und der gesamte Rahmen einen angenehmen und familiären Charakter behalten hat.
Hingegen war der Publikumszuspruch geringer denn je – eine ebenso bittere wie realistische Erkenntnis wie die „Heimatgefühle“.
Und was sagt die Politik? Herr Coldewey vom Kultusministerium machte wieder eine spontane Förderungszusage für das nächste Festival. Herr Menzel sprach sich auch für eine Fortsetzung der Veranstaltung aus, nur Geld konnte er nicht anbieten, da müsse man halt noch mehr Sponsoren anzapfen (die schon dieses Mal bis zum Anschlag in die Bresche springen mußten.) Aber die Stadt, so Menzel, hätte natürlich großes Interesse an den Filmtagen. Wie groß dieses Interesse ist, zeigte die Tatsache, daß die reine Kommerzveranstaltung „Citymarkt“ ausgerechnet auf das gleiche Wochenende gelegt wurde, für das seit langem das Festival anstand. Da fanden sich dann wohl auch die potentiellen Filmtagebesucher wieder, Bier und Pommes statt Kultur. Rabenschwarze Aussichten für die 7. Filmtage 1997?
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