Entscheidung mit den Füßen
Über die Zukunft des „Apollo“ bestimmen letztlich die Besucher/innen – Ein Blick hinter den Vorhang
(ft / iz) Seit September hat Wilhelmshaven nur noch 2 Kinos. Wie Fachleute seit Eröffnung des „Kinopolis“ vermuteten, musste sich das „kleine“ Filmzentrum am Rathaus als erstes dem übermächtigen Konkurrenzdruck des Konzernfilialisten beugen . Das „Apollo“ steckt die Monopolstrategien des „Kinopolis“ jedoch auch nicht locker weg. Der GEGENWIND sprach mit Michael Kundy, der seit 13 Jahren Wilhelmshavens ältestes und einziges Filmkunstkino betreibt.
Vor 10 Jahren haben wir letztmals mit „Storky“, wie ihn FreundInnen nennen, die Konkurrenzmechanismen der Kinolandschaft analysiert (GEGENWIND Nr. 97 v. Dezember 1990). Im Prinzip hat sich seitdem nichts geändert. Nur: Der Markt hat sich zwischenzeitlich noch verschärft; Angebot und Marketing haben den Publikumsgeschmack weiter von Kunst nach Kommerz verschoben. Die bundesweit wie international herrschenden Strukturen greifen in der Provinz wie z. B. Wilhelmshaven noch im Besonderen. Konkret hat hier ein Multiplex-Kino mit 9 Sälen die cineastische Landschaft drastisch verändert.
Der Trend geht zu internationalen Konzernen als Betreibern der Kinozentren. Monopolstellungen werden durch Fusionen von Verleihern und Betreiberkonzernen ausgebaut, mittlerweile auch weitergehend zur Allianz Produzent-Verleiher-Betreiberkette.
Michael Kundy braucht mittlerweile ein 2. Standbein, d. h. er geht einem zweiten Job nach, um sich, seine Familie und das Apollo finanziell abzusichern.
Im Extremfall kommt zur Vorstellung nur ein Besucher. Und der bekommt den Film zu sehen, damit er den unter Umständen weiten Weg nicht umsonst gemacht hat.
Die nackten Zahlen: Tag für Tag müssen etwa 400 DM Fixkosten eingespielt werden. Nur um diese zu decken, müssten bei einem Eintrittspreis von durchschnittlich 9 DM je 15 Besucher (bei 125 Plätzen) die täglich 3 Vorstellungen besuchen. Von jeder verkauften Eintrittskarte erhält der Verleih etwa die Hälfte. Erst dann beginnt die Gewinnspanne, mit der Kundy seine Lebenshaltungskosten decken kann.
Auch wenn Kundy aktuell nicht vom Konkurs bedroht ist, aus betriebswirtschaftlicher Sicht (und ohne die „warme Dusche“, die er jährlich durch den Bundesfilmpreis erhält) hätte er bereits schließen müssen. Jedoch: „Das Apollo ist mein Baby.“ Der Idealismus lässt ihn weitermachen. Weniger für ihn selbst, als für die Wilhelmshavener Kulturlandschaft, für sein Stammpublikum.
Schon vor Eröffnung des Kinopolis sprach Kundy mit dem Geschäftsführer der Kinopolis-Kette in Sulzbach (bei Frankfurt), um im beiderseitigen Interesse das lokale Publikumsinteresse thematisch zu sortieren. Die dort gemachten Zusagen sind jedoch zur hiesigen Geschäftsführung nicht durchgedrungen. Kundy: „Für die gilt auch fürs Apollo: Hauptsache, die Konkurrenz an die Wand drücken.“ Erschwerend kommt hinzu, dass die Kinoketten von den Verleihern bevorzugt werden. Zum Beispiel hatte Kundy „Grasgeflüster“ lange vorbestellt und gute Einnahmen zugesichert. Trotzdem tauchte der Film unversehens zwei Wochen vorm Apollo-Start im Kinopolis auf – „ein Versehen“ räumte der Verleiher ein.
Für Kundy ist die Konsequenz aus dieser Ungleichbehandlung, im Allgemeinen keine Filme mehr zu zeigen, die im Kinopolis laufen. Theoretisch würde dadurch das Apollo-Programm (das übrigens seit 10 Jahren in Folge mit dem Bundesfilmpreis honoriert wird!) noch anspruchsvoller werden. In der Praxis gilt: „Je höher der Anspruch, desto weniger Besucher“, so der Apollo-Chef.
Der Erfahrungsaustausch mit anderen Filmkunstkinos („art houses“) belegt, dass dort das Publikum (im Gegensatz zu Wilhelmshaven) größere Treue beweist. In Essen konnten nach Abschluss der Monopolschlacht die neben dem Multiplex verbleibenden Programmkinos weitere Standorte eröffnen und sichern.
Was die Besucherzahlen betrifft, geht es dem Kinopolis nicht deutlich besser. Auch dort kann man häufig einen Film in kleiner trauter Runde genießen. Die Kinokette kann das jedoch durch andere Filialen und garantierten Zugriff auf Kassenknüller ausgleichen.
Vor einigen Jahren bewarb sich Kundy um eine Immobilie, die neben einem ansprechenden Kinosaal auch open-air-Kino und die heutzutage überlebenswichtige Gastronomie sowie Alternativveranstaltungen ermöglicht hätte. Nach langer Wartezeit bekam letztlich eine Computerfirma den Zuschlag.
Am jetzigen Standort gibt es keine Erweiterungsmöglichkeiten, z. B. für einen gastronomischen Betrieb. Die anderweitige Nutzung bzw. Vermietung für Vorträge, Konzerte o. ä. (ein Notnagel, zu dem auch das Kinopolis greift), ist wegen der Raumaufteilung, Rauchverbot u. a. begrenzt.
Relativ neu ist die Änderung vom flexiblen zum festen Programm, was den Bedürfnissen der Zuschauer ebenso entgegen kommt wie die Verschiebung der Anfangszeiten zu Gunsten berufstätiger bzw. im Schichtdienst tätiger BesucherInnen.
Eintritts- und Getränkepreise liegen nach wie vor unter denen der Konkurrenz. Trotzdem ist manchen Besuchern nicht abzugewöhnen, dass sie in unangebrachter Sparwut eigene Getränke mitbringen und damit selbst am Stuhl ihres Lieblingskinos sägen.
Kinos wie das Apollo betreiben eine Gratwanderung quer zur Kulturlandschaft, die sich im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage drastisch verändert hat. Wer heutzutage die Nase vorn haben will, muss das „event-management“ beherrschen, mit allen inflationär- selbstzerstörerischen Folgen. Schnell, leicht verdaulich und vorzeigbar muss der Genuss sein, und der nächste gleich eine Stufe weiter, wodurch ein Abdriften in die Oberflächlichkeit unvermeidbar ist. Vorbei die Zeiten, da ein Kino monate- bis jahrelang von „Casablanca“, der „Rocky Horror Picture Show“, „Diva“ oder anderen unsterblichen Kultspektakeln leben konnte. Diese Kultfilme hat das Privatfernsehen ebenso vereinnahmt wie die Wiederholungen der Kinospielfilme. Das Publikum bleibt lieber im eigenen Sessel hocken. Von dort aus betrachtet, galoppieren die Pferde statt 10 m von links nach rechts nur noch 70 cm in der Diagonale, auf dem 16:9 Flatscreen für 8000 Mark. Das wären 800 Apollo- Besuche – 15 Jahre lang jede Woche einmal, oder 10 Jahre inkl. Popcorn und Getränk und echtem Filmerlebnis.
Ob wir in 10 Jahren noch ins Apollo gehen können, darüber entscheiden, so Kundy, die Besucher – „mit den Füßen“ – indem sie weiterhin kommen – oder wegbleiben.
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