Vor aller Augen
Feb 071995
 

Schweigen ist Lüge

Ohne einen Blick in die Vergangenheit gibt es keinen neuen Weg in die Zukunft

(hk) Das Oldenburger „Autorenteam für kritische Geschichtsschreibung – Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus in Weser-Ems“ veröffentlichte im Dezember 1994 das Buch „Die im Dreck lebten“.

Die Autoren Günter Heuzeroth und Peter Szynka dokumentieren die Situation der ausländischen ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenen, KZ-Häftlinge und des Lagersystems in den Städten Wilhelmshaven, Delmenhorst, Bremen und Bremerhaven während des Zweiten Weltkriegs. Mit dieser Dokumentation wollen die Autoren Spuren einer noch vielerorts unberücksichtigten, verdrängten, unliebsamen Geschichte sichtbar machen. Der Inhalt der Dokumentation gibt Aufschluß über die Behandlung von Ausländern unter dem Zwang der NS-Diktatur im Weser-Ems-Raum.

FaksDas Buch gewährt einen Einblick in das ausgeklügelte System, wo Frauen, Männer und Kinder ein Lagerleben im Dreck zu führen hatten und darüber hinaus gezwungen wurden, in der deutschen Rüstungsindustrie für nichts oder einen Hungerlohn zu schuften. Aus dem Inhalt der abgedruckten und dargestellten Gesetze, Regelungen und Anordnungen und der verfaßten Meldungen der Polizei und Geheimen Staatspolizei wird den LeserInnen dieses System plastisch vor Augen geführt.

Unter den Augen der Bevölkerung

„Die Versklavung der Ausländer von 1939 bis 1945 geschah weitgehend unter den Augen der deutschen Bevölkerung. Wer hinsehen wollte, konnte sie wahrnehmen; vor allem die sowjetischen Kriegsgefangenen in den Elendszügen auf den Straßen; Ostarbeiter und Polen, Männer, Frauen, Kinder. (…) Ihnen allen, aber auch der gesamten deutschen Bevö1kerung, sind bei Übertretungen von erlassenen Regeln, Gesetzen, Geboten und Verordnungen empfindliche Geld- und Freiheitsstrafen und KZ-Haft angedroht worden. (..) Um so positiver überrascht waren wir, als wir bei unseren Recherchen immer wieder auf Zeugnisse großer Zivilcourage stießen. Überall haben Menschen viel Mut bewiesen, indem sie denen, die am schlimmsten dran waren, insgeheim ein Stück Brot, ein paar Kartoffeln, Obst oder ein Ei, und zum Anziehen ein Bekleidungsstück zusteckten. Vor allem Frauen leisteten hier mutig Hilfe. (…) Wir haben uns die Aufgabe gestellt, für alle diese Opfer zu reden, von den Schmerzen, die man ihnen an Leib und Seele zufügte, deren Mund man so früh mit Gewalt verschlossen hat. (..) Wir sind uns bewußt, daß das Schreiben dieser ’schwarzen Geschichtsschreibung‘ keine einfache Sache ist, doch Schweigen ist Lüge. Nicht handeln macht schuldig. „ (Alle Zitate aus dem Vorwort)

Gute Vorarbeit

Für den Bereich Wilhelmshaven fanden die Autoren in den Veröffentlichungen des Historischen Arbeitskreises des DGB (Hartmut Büsing), von Stefan Appelius (Die Stunde Null, die keine war) und von Ellen Mosebach-Tegtmeier (in „Justiz an der Jade“) ein gut bestelltes Feld für ihre Recherchen.

40 Lager in Wilhelmshaven

Im April 1944 gab es in Wilhelmshaven 40 Lager mit 17.910 Ausländern. Die Lager waren wie ein Netz über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Ein Heer von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern vieler Nationen fristete in der Stadt ein Sklavenleben. Die für Bau und Enttrümmerungsarbeiten eingesetzten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen unterstanden der 11. SS-Baubrigade, dem Eisenbahnkommando Bremen und dem KZ Neuengamme. In den berüchtigten Lagern wie dem KZ-Lager am Alten Banter Weg – als Außenlager des KZ Neuengamme – und dem Gelbkreuzlager, Gestapo- und Polizeigefängnis in der Ostfriesenstraße, wurden Ausländer und Deutsche gefoltert, erschossen und erschlagen. Es waren Stätten der absoluten Enthumanisierung in unserer Heimatregion. Daran lassen die Schilderungen von Augenzeugen, Opfern und Tätern in den nach dem Kriege stattgefundenen Prozessen gegen einige dieser verantwortlichen Peiniger und Mörder keinerlei Zweifel. Die beiden größten Friedhöfe Wilhelmshavens sind für alle, die es wissen wollen oder auch nicht, Zeugen und Dokumente der Vernichtung von Menschen im Dritten Reich.


 

Das 381 Seiten umfassende Buch „Die im Dreck lebten – ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene und die Lager in Wilhelmshaven, Delmenhorst, Bremen und Bremerhaven“ ist bei der Druck & Verlagscooperative, Kommenderiestr. 41 in Osnabrück erschienen. Es kann dort oder über den Buchhandel zum Preise von 36.- DM bezogen werden.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top