Wahnsinniger Flächenverbrauch
Gabriele Iwersen benennt Fehler, die (nicht nur, aber auch) in Wilhelmshaven gemacht werden
(noa) Die SPD-Bundestagsabgeordnete unseres Wahlkreises, Gabriele Iwersen, hielt im Februar eine Rede im Bundestag, die unserer Meinung nach nicht unbedingt wörtlich, aber sinngemäß gleich auch im Rat der Stadt Wilhelmshaven gehalten werden sollte. Thema war die erschreckende Zunahme an Siedlungsflächen „allen raumordnerischen Bemühungen zum Trotz“. Wir fassen zusammen und beziehen die Kernpunkte auf Wilhelmshaven.
Die Siedlungsflächen wachsen „sehr viel schneller als die Bevölkerung, oder sogar umgekehrt: Die Bevölkerung ist rückläufig, das Siedlungsflächenwachstum aber immer weiter positiv. Und sie wachsen stärker an als die Zahl der Erwerbstätigen.“
Von 15 auf 38 Quadratmeter pro Einwohner wuchs in den letzten 40 Jahren im Westen die Wohnfläche, und im Zeitraffertempo zieht der Osten nach. Zur Versiegelung von Flächen durch Wohnbebauung kam der Bau von Straßen und Parkplätzen: „Das Auto braucht zu Hause einen Stellplatz oder eine Garage, es braucht einen Stellplatz vor dem Arbeitsplatz, einen vor dem Einkaufszentrum, einen vor dem Theater. Überall werden Flächen gebraucht, nur um dieses verdammte Auto unterzubringen, bis hin zum Waldesrand, und alles muss natürlich maschinenreinigungsfähig sein.“
Allein in den letzten zehn, zwanzig Jahren entstanden in Wilhelmshaven (bei sinkender Einwohnerzahl) mehrere völlig neue Stadtteile auf vordem unbebautem Land. Dies sind Flächen, die der Natur weggenommen wurden.
Zu den immer breiter werdenden Straßen kamen Standspuren und Parkbuchten, Flugplätze bekamen zusätzliche Startbahnen. Das verlief in den verschiedenen Teilen Deutschlands unterschiedlich schnell, aber: „Die Tendenzen sind überall gleich und das Ergebnis ist ein geradezu wahnsinniger Flächenverbrauch, der so einfach nicht weitergehen kann.“ 1997 betrug die Siedlungsfläche (damit ist die insgesamt zugebaute Fläche für Wohnen, Arbeiten, Mobilität und Freizeit gemeint) pro Einwohner schon 500 Quadratmeter (gegenüber 350 im Jahre 1950), und auch hier ist die Tendenz steigend.
Zu den neuen Stadtteilen führen neue Straßen, breite, schnelle Straßen.
„Als die Städte aus den Nähten platzten, setzte die Suburbanisierung ein. Die Umlandgemeinden wuchsen und wuchsen und wuchsen. Entstanden in den 60er und 70er-Jahren die Schlafstädte im Umland der Kernstädte…, so hat in den 80er-Jahren ein überproportionales Wachstum der Verkehrsflächen stattgefunden.
Man zog nach Grafschaft und Sillenstede.
In den 90er-Jahren dagegen hat sich der Prozess der Suburbanisierung grundlegend geändert. … Trotz umfangreicher Potenziale an baureifen Flächen in den Städten, also an innerstädtischen Gewerbebrachen, Konversionsflächen, Baulücken und dergleichen, wachsen in den Umlandgemeinden die Flächen für Arbeitsstätten, für Handel, für Dienstleistungen, für Industrie bis hin zur öffentlichen Verwaltung auf der bis dahin noch grünen Wiese.“
Auf einige der in Wilhelmshaven brachliegenden potenziellen Gewerbeflächen weisen wir in unserem Artikel über die „Soziale Stadt“ hin.
„Die niedrigen Baulandpreise, die gute Erreichbarkeit des Umlandes und zum Teil auch einfachere und schnellere Baugenehmigungen haben zu der für die Kernstädte geradezu bedrohlichen Entwicklung geführt. Jetzt ist es nicht mehr nur das Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, das die Kaufkraft aus der Innenstadt abzieht, sondern ein vielfältiges Angebot an Arbeitsplätzen sowie an Wohn- und Freizeitparks. Die ganze gewerbliche Infrastruktur der Innenstädte droht dabei wegzubrechen.“
Die Markstraße ist so ziemlich leergefegt, in der Innenstadt steht dem nur die Nordseepasssage entgegen. Einige Betriebe haben Wilhelmshavens Innenstadt bis Ende der 90er-Jahre verlassen (Elektronik-Reichelt, Eisen-Müller…) und sich auf bis dahin grünen Flächen angesiedelt.
„Kultur, Bildung und Tourismus allein können die Innenstädte nicht retten. Die Aufgaben der Städte, die ihnen zum Beispiel im System der zentralen Orte als Ober- oder Mittelzentrum zugewiesen sind, nämlich gegenüber dem Umland bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, sind so nicht mehr zu erfüllen. Denn diese Kommunen, die Kernstädte, brauchen natürlich auch Bürger, die sich mit ihrem Wohnumfeld identifizieren und Handel, Wandel sowie … ausreichend Steuerkraft am Leben erhalten. Das System der Suburbanisierung bewirkt natürlich auch, dass Steuerkraft abwandert.“
Zur Abwanderung aus Wilhelmshaven verweisen wir u.a. auf den Beitrag „Geisterstadt am Meer?“ in Gegenwind 166.
„Das klassische Instrument der Raumordnung, nämlich die Festlegung des städtischen Siedlungssystems durch die Landesentwicklungspläne, droht wirkungslos zu werden. … Wenn diese Pläne nicht eingehalten werden, dann nützt das alles überhaupt nichts.
Zu viele Abweichungen – natürlich immer wirtschaftlich begrünet – torpedieren die Aufgabenverteilung zwischen den zentralen Orten und ihren Verflechtungsbereichen. Jede Gemeinde schöpft ihre Planungshoheit aus, wägt sorgfältig ab, vergibt Baurechte über Baurechte, um steuerpflichtige Neubürger, Gewerbesteuerzahler und dergleichen zu gewinnen. Im benachbarten zentralen Ort sieht sie nur den Konkurrenten.“
Die „WZ“ schrieb im Zusammenhang mit der Planung und dem Bau der Nordseepassage sinngemäß: „Oldenburg zittert vor Wilhelmshaven“. Die Gemeinde Schortens lässt jetzt schon Wohnungen für die eventuell zuwandernden Arbeitskräfte für den vielleicht hier entstehenden Containerhafen bauen. Die Wilhelmshavener Grünen stimmten der Hornbach-Ansiedlung auf einer zu Wilhelmshaven gehörenden grünen Wiese zu, damit nicht die Gemeinde Schortens diesen Fisch an Land ziehen konnte.
Mit Sicherheit wird uns dieses Thema weiterhin beschäftigen.
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