Ratssplitter
Jun 162009
 

Logo Ratssplitter

vom 19. Mai 2009
aufgepickt von Imke Zwoch

Im Mittelpunkt der Diskussion stand wieder einmal das Überleben der Geschäfte in der Innenstadt. Kaum waren Warnungen vor leichtfertigen Konkurrenzansiedlungen auf der grünen Wiese mehrheitlich vom Tisch gewischt, als die Nachricht vom Tod des traditionellen Kaufhauses in der City wie eine Bombe einschlug und überlegenes Lächeln langen Gesichtern wich.

Umbenennung: Geht doch einfach!

Seit 1962 hieß das Gebäude Virchowstr. 29 Volkshochschule oder Stadtbücherei, jetzt heißt es Hans-Beutz-Haus. Beutz war von 1945 bis 1960 Wilhelmshavener Kulturdezernent (danach Regierungspräsident in Aurich) und hat maßgeblich an der Neugründung und Wiederbelebung vieler kultureller Einrichtungen unserer Stadt mitgewirkt. 1989 gründete er mit seiner Frau Edith die „Hans-Beutz-Stiftung für Verdienste um Erziehung und Bildung“. Dahinter steht ihre Forderung nach einer kontinuierlichen Bildungsgerechtigkeit als Voraussetzung für eine gleichwertige Lebensqualität und einen gleichwertigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensstandard.
In diesem Jahr wäre der 1997 verstorbene Hans Beutz 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass beschloss der Rat einstimmig, das Zentrum der außerschulischen Bildung an der Virchowstraße nach ihm zu benennen.
„Wichtige Jahre seines Lebens verbrachte er im Ausland und nicht zuletzt im demokratischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, heißt es in der Begründung zum Ratsbeschluss („Widerstand gegen alles Radikale“, sagte Wilfrid Adam). Beutz wurde 1909 als Sohn eines Werftarbeiters und aktiven SPD- und Gewerkschaftsmitgliedes in Bant geboren. 1933 verlor er seinen Job bei der Angestelltengewerkschaft und brach sein Politikstudium ab. Bis 1936 studierte und arbeitete er in England und Dänemark, kehrte dann aber nach Deutschland zurück und arbeitete von 1939 bis 1945 als Hilfsarbeiter in der Auslandsaufklärung des Reichsluftfahrtministeriums.
Wie auch immer, der Rat hat bewiesen, dass ein Gebäude von no-name ruckzuck umbenannt werden kann. Wieso tut er sich dann so schwer, die Agnes-Miegel-Schule vom bad-name (der faschistenfreundlichen Dichterin) nach einer politisch korrekten Vorbildperson umzubenennen?

Homo oeconimicus

80 neue Betreuungsplätze, darunter 45 Krippenplätze, sollen in einer neuen Kindertagesstätte an der Fachhochschule entstehen. Gute Sache das, gibt’s eigentlich nix zu diskutieren.  Ratsherr Felbier (CDU) nutzte das Thema dennoch für eine Wahlkampfrede (zu welcher Wahl eigentlich?), in der er den Sinn von Kindergärten volkswirtschaftlich begründete: Durch gute Bildung und Betreuung könne man „die Kaufkraft sichern“ und „der Wirtschaft helfen“ – so würden sich Kindergärten „volkswirtschaftlich amortisieren“. Geht’s noch? Haben junge Menschen nur deshalb ein Recht auf Bildung, damit sie später eine perfekte Ressource im kapitalistischen System sind? Diese argumentative Unsitte, die Bedeutung des Menschen nach dem Grad seiner wirtschaftlichen Nutzbarkeit zu bemessen, bzw. „Investitionen“ in Menschen damit zu rechtfertigen, ist leider weit verbreitet, und nicht nur Felbier sollte mal reflektieren, was er da nachplappert. Was gleiche Bildungschancen eventuell mit Lebensqualität und Menschenwürde zu tun haben, könnte er auch Hans Beutz fragen, wenn der nicht schon tot wäre. Die Retourkutsche kam von OB Menzel, der Felbier aufforderte, mal seine politischen Verbindungen zur Landesregierung zu nutzen, damit die Stadt nicht allein auf den Betriebskosten für den Kindergarten sitzenbleibt.
Falsch lag Felbier übrigens auch mit seinem Tipp, Werder Bremen würde mit 2:1 den UEFA-Cup holen.
Fragwürdig bleibt, warum das Bauvorhaben im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung durchgeführt werden soll – immerhin wird hier ja wieder ein Stück Freifläche zugebaut, und da sollten, auch im Interesse der Kinder, Naturschutzbelange angemessen berücksichtigt werden.

Ring frei

Direkt gegenüber von Hornbach, an der B210 neben der Burgerschmiede, soll ein neuer Baumarkt der Billigkette TEDOX entstehen. Bislang war die Fläche für Betriebe der Kfz-Branche vorgesehen, doch der private Grundstückseigentümer kriegt die Flächen so nicht vermarktet. Dem Manne muss geholfen werden. Außerdem wurde schon in die Infrastruktur investiert, und das „Tor zur Stadt Wilhelmshaven“ soll weiter „entwickelt und vermarktet“ werden. Oha. Wer hat denn den Quatsch in die Planbegründung reinformuliert? Baumärkte und Burgerbuden als repräsentatives Eingangsportal einer Stadt?
Egal, Hauptsache die Fläche wird zugestellt. Da kommt eben noch ein Baumarkt her! Da hat die Welt drauf gewartet und Hornbach und Praktiker vermutlich auch. Über 70 Filialen hat der Renovierungs-Discounter TEDOX bundesweit, so auch in Oldenburg, Delmenhorst und Bremerhaven.

1972 gründen Karl-Heinz Rehkopf und Rainer Wunderlich auf einem Bauernhof die Teppich-Domäne Harste, wo sie mit Erfolg Teppichfliesen verkauften. Bereits Mitte der 80er Jahre war das Unternehmen auf 14 Filialen gewachsen. Auch das Sortiment wurde vielfältiger. Es wurden unter anderem Tapeten, Farben, Gardinen, Möbel und Haushaltswaren angeboten. 1986 spaltet sich das Unternehmen auf. Karl-Heinz Rehkopf führte die Teppichdomäne Harste (heute Tedox) weiter.

Die Billigheimer am Stadtrand dürfen stets einen Teil ihrer Fläche auch mit „innenstadtrelevanten“ Sortimenten wie Textilien oder Zoobedarf belegen. In diesem Fall sind es 10% der 3200 qm Verkaufsfläche, durch eine Änderung erhöhte sich dieses Zusatzsortiment noch einmal um 75 qm. In der Praxis erweist es sich als schwierig, die Märkte auf die Begrenzung dieser Zusatzsortimente festzunageln, wie es sich in der Vergangenheit schon bei Marktkauf zeigte – das gab auch Ratsvorsitzender Norbert Schmidt zu bedenken. Das Nachsehen haben dann die kleineren Fachgeschäfte in der Innenstadt.
Die CDU-Fraktion, die im Bauausschuss noch dafür gestimmt hatte, einen Bebauungsplan für TEDOX aufzustellen, hatte seitdem wohl schlaflose Nächte und beantragte jetzt, den Punkt in den Fachausschuss zurückzuverweisen. SPD-Sprecher Neumann vertrat jedoch die Ansicht, dass ja innerhalb des Planungsverfahrens alle Bedenken auf den Tisch kämen und diskutiert würden: „Ohne Einwendungen kann man nicht beraten.“ Der CDU geht es aber nicht nur um die Einwendungen von Leffers & Co, sondern um eigene grundsätzliche Bedenken. Ratsherr Hellwig wollte nicht „etwas auf die Reise bringen, was uns nachher teuer zu stehen kommt“. Sein Fraktionschef Günter Reuter unterstrich, wenn die Planung erst einmal auf den Weg käme, „ist das nachher die Macht des Faktischen“. Da hat er ausnahmsweise mal Recht . Ist so ein Plan erst einmal aufgestellt, werden zwar die eingereichten Bedenken diskutiert und abgewogen und im Detail vielleicht noch etwas verändert, aber das Vorhaben als solches nicht mehr gekippt.
OB Menzel mochte nicht glauben, dass „75 m² innenstadtrelevante Dinge der Tod der Innenstadt“ sein sollten: „Wenn die Innenstadt das nicht aushält, dann …“ (Ja, was dann? Machen wir die Innenstadt zu? Passend zum Darwin-Gedenkjahr, „survival of the fittest“, nur die Stärksten überleben?) „… dann sollten wir in anderer Form diskutieren“. Also wie immer: Vorausschauende Stadtplanung findet nicht statt, man nimmt, was kommt. Da hat sich einer verspekuliert und die Stadt ist sofort zu Diensten, egal welche Auswirkungen das in anderen Bereichen hat?
Hellwig fand es „nicht belustigend, über den Tod der Innenstadt zu fabulieren“. Wenig später fand das auch sonst keiner mehr lustig – als nämlich über den heißen Draht aus der Presseecke bekannt wurde, dass die Gläubigerversammlung das Aus für die Hertie-Kaufhäuser beschlossen hatte. Ob das was damit zu tun hat, dass (bundesweit) Ratsmitglieder den Billigmärkten am Stadtrand Tür und Tor öffnen? Im Wilhelmshavener Ratssaal jedenfalls bewirkte auch die große Betroffenheit kein Umdenken: Gegen die Stimmen der CDU wurde der TEDOX-Bebauungsplan auf den Weg gebracht. 

 

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top