Wie jetzt?
Verwirrspiel des Sozialdezernenten
(noa) „Stadt ändert Maßstab für Mietzuschüsse“, konnte man am 30. Mai auf der Titelseite der WZ lesen. Und: „Hunderte von Wilhelmshavener Hartz IV-Empfängern können hoffen. Möglicherweise müssen sie künftig weniger oder nichts mehr zu ihren Mieten zuzahlen.“
Wilhelmshavens Sozialdezernent Jens Stoffers hatte zuvor schon den Sozialausschuss des Rates damit überrascht, dass er ankündigte, auf der Grundlage neuen Datenmaterials werden sich veränderte Mietobergrenzen ergeben. Dort hat (verblüfft?) niemand nachgefragt, obwohl es doch reichlich seltsam ist: Jens Stoffers war derjenige, der schon vor den Sitzungen der zuständigen Gremien von einem Revisionsantrag gegen das Urteil des Landessozialgerichts vom 11.12.08 gesprochen hat, der in der WZ das Urteil so umdeutete, als habe das Gericht der Stadt größtenteils Recht gegeben und nur in einer klitzekleinen Kleinigkeit die Berechnungen der Stadt gerügt. Und nun sagt derselbe Sozialdezernent: „Hätte der VA nein gesagt, hätten wir die Revision wieder zurückziehen können.“ (WZ, 30.05.08, S. 8) „Können“, das klingt so, als hätte er das gerne getan, als bedaure er die Entscheidung des Verwaltungsausschusses, seinem Rat folgend Revision einzulegen.
Auch in Kreisen der Betroffenen gibt es Überraschung, Rätselraten, Spekulationen. Will Stoffers, will die Stadt sich nun doch an das LSG-Urteil halten?
Nein. Gegenüber der WZ erklärt Stoffers immer noch beharrlich, das bewusste Urteil betreffe nur einen Einzelfall. Dass das LSG eine Abschrift des Urteils schon ganz von selber an das Bundessozialgericht gegeben hat, geschah wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils, und deswegen hat es die Revision auch zugelassen. Wäre es kein Grundsatzverfahren gewesen, hätte das LSG sich auch nicht die Mühe gemacht, monatelang in über einem Dutzend städtischer Aktenordner zu wühlen und eine Tabelle über für Wilhelmshaven angemessene Miethöhen nicht nur für die dreiköpfige Klägerfamilie, sondern für alle denkbaren Haushaltgrößen aufzustellen.
Auch der Sprachgebrauch des Sozialdezernenten in dieser Frage lässt Rückschlüsse zu: „Mietzuschüsse“ für HilfeempfängerInnern sind im Sozialgesetzbuch II nicht vorgesehen. Dieses Wort klingt, als müssten Arbeitslosengeld II-Berechtigte im Prinzip ihre Miete selber zahlen und bekämen dazu lediglich einen Zuschuss. Tatsächlich bestimmt das Gesetz, dass das Arbeitslosengeld II aus dem Regelsatz und den Kosten der Unterkunft besteht, und der Zusatz, „sofern diese angemessen sind“ bedeutet, dass ein Zuzahlen nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellt.
Dafür, dass grundsätzlich die vollen Unterkunftskosten vom Amt zu tragen sind, gibt es einen prominenten Kronzeugen: Wolfgang Clement, damals Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, ließ 2004 – als Hartz IV in Vorbereitung war – erklären:: „Nach der Wohngeldstatistik 2002 liegt die durchschnittliche tatsächliche Miete arbeitsloser Wohngeldempfänger (Arbeitslosenhilfe- bzw. Arbeitslosengeld-Bezieher) in den alten und neuen Bundesländern nicht über der durchschnittlichen tatsächlichen Miete für Haushalte von Sozialhilfeempfängern. Daraus ergibt sich, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Haushalte, die ab dem 1.1.2005 Arbeitslosengeld II beziehen werden, bereits in Wohnungen lebt, der als angemessen im Sinne der Sozialhilfe anzusehen ist, so dass die Unterkunftskosten auch im Rahmen des Arbeitslosengeldes II erbracht werden können.“
Gerichtliche Auseinandersetzungen über die Kosten der Unterkunft gibt es fast in allen Städten. Das Besondere an Wilhelmshavens Haltung dazu ist: Die hier noch geltenden Obergrenzen für die Mieten von Alg II-Berechtigten liegen sogar noch unterhalb der Werte aus der Wohngeldtabelle. Andernorts klagen die Hartz IV-Opfer dagegen, dass ihre Kommune diese Werte zur Höchstgrenze erklärt hat; in Wilhelmshaven haben die Betroffenen über jedes Urteil, das ihnen wenigstens diese Summe zugestand, gejubelt.
Wer weiß – hätte Wilhelmshaven wenigstens Mieten in dieser Höhe getragen, vielleicht wäre es dann zu der Klage, die mit den LSG-Urteilen am 11.12.08 abgeschlossen wurde, gar nicht erst gekommen.
Möglicherweise liegt ja der Ankündigung von Herrn Stoffers so eine ähnliche Überlegung zugrunde. Dass er nicht vorhat, das LSG-Urteil zu befolgen, zeigt sich auch an der in der WZ genannten Angabe „Hunderte von Wilhelmshavener Hartz IV-Empfängern“ – bei Zahlung der Mieten, wie sie das LSG für angemessen hält, wären mindestens 1500 Bedarfsgemeinschaften betroffen.
Vielleicht bringt ja die nächste Ratssitzung am 17. Juni etwas Licht ins Dunkel. LAW-Ratsherr Johann Janssen, der den Rat schon lange mit diesem Thema nervt, hat jedenfalls rechtzeitig eine kleine Anfrage abgeschickt, in der er zu wissen begehrt:
„Warum hat die Stadt nicht abgewartet, bis über die Revision entschieden wurde, sondern hat jetzt eine neue Rechnungsmethode erfunden?
Wie ist die Stadt auf die neue Rechnungsmethode gekommen, was ist dafür die Grundlage?
Inwieweit folgt die Stadt mit ihrem veränderten Maßstab der Berechnung angemessener Mietkosten (das Dreisäulenmodell) dem Gerichtsurteil des LSG vom 11.12.08?“
Übrigens: Wie uns eine „Kundin“ des Job-Centers mitteilt, war die Absicht der Stadt, die Miethöhen neu zu berechnen und wenigstens ein bisschen nach oben zu korrigieren, bis 8. Juni in der Leistungsabteilung des Job-Centers nicht bekannt. Die Mitarbeiterin, mit der sie über ihre Nöte bei der Wohnungssuche sprach, hat sich aber gerne die beiden WZ-Artikel vom 30. Mai kopiert.
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