(iz) Das Land Niedersachsen richtet in den ehemaligen Kasernen in der Ebkeriege eine Notunterkunft für bis zu 750 Flüchtlinge ein. Die von der Johanniter-Unfall-Hilfe geführte Einrichtung soll im April den Betrieb aufnehmen. Um die Öffentlichkeit aus erster Hand über die Einrichtung zu informieren, lud die Stadt Wilhelmshaven zu einer Bürgerinformation ein, um Anwohnern und interessierten Bürgern Gelegenheit zu geben, in den Dialog mit den beteiligten Institutionen zu treten und ihre Fragen direkt an die Akteure zu stellen. Leider wurde der Termin ausgerechnet auf den Internationalen Frauentag (8. März) parallel zu mehreren anderen Veranstaltungen gelegt. Wir fassen hier die wesentlichen Aussagen zusammen.
Etwa 300 Interessierte fanden sich in der Stadthalle ein, darunter auch eine Gruppe von „Besorgtbürgern“, die schon vorher ihr Urteil abgaben: „Nicht vergessen. Heute Abend ist die große Bürgerversammlung in der Wilhelmshavener Stadthalle. Dort werden der Oberbürgermeister Andreas Wagner und eventuell sein Kumpel Carsten Feist wieder Grimms Märchen zum besten geben zum Thema Flüchtlingsheim in Ebkeriege. Von 750 Ankömmlingen wird gesprochen doch wir wissen aus 100% Quelle das 1500 geplant sind. Es gab mittlerweile diverse Vorkommnisse in Wilhelmshaven. Wie soll es erst werden wenn 1500 weitere nicht registrierte Flüchtlinge in dieses Erstaufnahmelager kommen ? Wir können nur jedem interessierten ans Herz legen, diese Veranstaltung zu besuchen. Die Aussagen der verantwortlichen auf den Bürgerversammlungen in Voslapp und Fedderwardergroden waren schon von Unwahrheiten geprägt, wir sind gespannt was die Obrigkeit sich heute Abend einfallen lassen wird, um die Wilhelmshavener Bürger ruhig zu stellen.“ (Facebook-Post „Wilhelmshaven passt auf“ vom 8.3.2016)
Auf dem Podium saßen Vertreter des niedersächsischen Innenministeriums, der Johanniter-Unfall-Hilfe und der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland sowie Vertreter der Stadt Wilhelmshaven.
Marcel Colter ist Verantwortlicher der Johanniter Unfall-Hilfe (JUH) für die Einrichtung der Flüchtlingsunterkunft Ebkeriege. Neben Unterkunft, Verpflegung, Kleidung (zusammen mit der Flüchtlingshilfe Wilhelmshaven) und ärztliche Versorgung kümmert sich die JUH auch um Deutschkurse und bietet Beschäftigungsmöglichkeiten an wie eine Nähwerkstatt und eine Fahrradwerkstatt plus Verkehrssicherheitstraining. Eine Dame aus dem Publikum kritisierte, die schwer traumatisierten Flüchtlinge bräuchten wohl eher einen Psychiater als einen „Häkelclub“. Markus Wedemeyer vom ehrenamtlichen Regionalvorstand der JUH erläuterte, es ginge darum, den Flüchtlingen wieder Normalität zu geben nach einer langen Phase, in der alles zerrissen wurde, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hat. „Nichtstun geht nicht, sie wollen ihren Teil beitragen mit dem, was sie können.“ Sie reparieren nicht nur Fahrräder, mit denen die Kinder auf dem sicheren Gelände einfach mal wieder Kind sein können, sie agieren auch als Dolmetscher oder beteiligen sich an der Organisation, z. B. beim Wäscheservice. „Den Tag zu strukturieren, einen Alltag herzustellen ist die beste Prophylaxe gegen Lagerkoller“. Nichtsdestotrotz bemühe man sich auch um Therapeuten, doch die seien in der erforderlichen Anzahl nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Carsten Feist, Referatsleiter für Migration bei der Stadt Wilhelmshaven, ergänzte, im Einzelfall seien bereits Traumabehandlungen in der Psychiatrie erfolgt. Auch werde die Notfallseelsorge, unabhängig von der Religionszugehörigkeit, dankbar angenommen.
Dr. Alexander Götz, Abteilungsleiter im Innenministerium, stellte die derzeitige Flüchtlingssituation im Vergleich zum letzten Oktober als „deutlich entspannt“ dar. 2015 kamen insgesamt etwa 1 Mio Flüchtlinge nach Deutschland, davon etwa 10% nach Niedersachsen (etwa 400 pro Tag). „Die Barrieren haben gegriffen“ umschrieb er die Abschottung gegenüber Flüchtlingen aus den westlichen Balkanländern. Anfangs kamen 30% der Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten, jetzt seien es nur noch 10% (Anm.: Die Liste der von der Bundesregierung als sicher definierten Herkunftsstaaten[1] wird schrittweise verlängert. In Deutschland gelten derzeit Albanien, Montenegro, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sicher[2] sowie die afrikanischen Länder Ghana, Senegal und nach Koalitionsbeschluss vom Januar auch Marokko, Algerien und Tunesien.)
Die Vorhersage der weiteren Entwicklung sei schwierig, so Götz, deshalb wolle man weiterhin großzügig kalkulierte Kapazitäten vorhalten. Ziel sei, „Menschen nicht auf der Straße stranden zu lassen“. Leerstehende Kasernen seine ideal, um vorübergehend Notunterkünfte einzurichten, so auch in Hameln oder Schwanewede. Oder Fallingbostel: Dort können zwei Camps bis zu 7500 Flüchtlinge aufnehmen – soviel wie Fallingbostel Einwohner hat. Götz betonte, die Notunterkunft sei nur eine Zwischenstation bis zur Zuweisung an eine Kommune – oder „Rückführung“ (=Ausweisung nach abgelehntem Asylantrag). Das Camp Ebkeriege wird vermutlich ein Jahr lang genutzt, vielleicht aber auch länger.
Die Sicherheit sei „begreiflicherweise für die Anwohner ein zentrales Thema“ und die Ängste „vollkommen nachvollziehbar“. Dem würde durch den Einsatz von Sicherheitsdiensten und eine zusätzliche „Bestreifung“ durch die Polizei entsprochen. Nach bisherigen Erfahrungen gäbe es allerdings in Niedersachsen keine erhöhte Anzahl von Straftaten von Flüchtlingen oder gegen Flüchtlinge.
Eine Anwohnerin der Kaserne Ebkeriege wollte wissen, wo denn genau der Eingang sei und welche Kasernengebäude zur Flüchtlingsunterkunft gehörten. Sie äußerte, sie sei „relativ betroffen“, ihr Mann sei häufig für mehrere Tage unterwegs und angesichts der Flüchtlinge habe sie Bedenken, abends mit dem Hund rauszugehen.
Andreas Kreye von der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland erläuterte, es gäbe ein subjektives und ein objektives Sicherheitsgefühl. Es sei naheliegend, dass eine ungewohnt große Zahl fremder Menschen in der Nachbarschaft subjektiv Sorge bereite – „so lange, bis man sie kennen lernt.“ Er selbst sei auf der Straße auf Flüchtlinge zugegangen, habe sich auf Englisch mit ihnen unterhalten, ihre Geschichte gehört, die Menschen dahinter gesehen. Mittlerweile hat er in einer Wohnung in seinem Haus eine Flüchtlingsfamilie einquartiert, beim Tee und bei Familienfeiern kommt man sich näher. „Der Umgang mit diesen Menschen stimmt mich demütig und nachdenklich – wie sicher wir hier leben, ohne Heckenschützen und all die anderen Bedrohungen, denen sie entkommen sind“.
Wedemeyer pflichtete ihm bei: „Machen sie sich die Mühe, die Flüchtlinge und ihre Geschichte kennen zu lernen.“ Allein in der Stadt Aleppo seien 1,4 Mio Einwohner betroffen, „da steht kein Stein mehr auf dem anderen“. Er lud dazu ein, den Integrationsprozess ehrenamtlich zu unterstützen: „Werden Sie Teil des Ganzen. Erklären Sie den neuen Mitbürgern, wie Deutschland funktioniert“.
Hinsichtlich des objektiven Sicherheitsgefühls hat Kreye sämtliche Straftaten im Zusammenhang mit Flüchtlingen analysiert. Seit November waren es im Bereich Wilhelmshaven, Varel und Jever 60 Delikte, darunter „Beförderungserschleichung“ (=Schwarzfahren mit dem Zug) oder gefälschte Ausweise sowie Körperverletzungen (26 Fälle) innerhalb der Unterkünfte durch „Lagerkoller“. Angesichts von etwa 9000 Straftaten, die insgesamt pro Jahr in Wilhelmshaven begangen werden, kann Kreye „objektiv keinen signifikanten Anstieg“ erkennen. Auf der anderen Seite wurden neun Straftaten von Deutschen gegen Flüchtlinge verzeichnet. „Wir sind da für den Schutz der Flüchtlinge, aber mindestens ebenso für den Schutz der Anwohner“.
Darüber hinaus hat Kreye mit den Leitern von Geschäften gesprochen, die sich in unmittelbarer Nähe von Flüchtlingsunterkünften befinden. Auf einschlägigen Hetzseiten im Internet wird immer wieder von angeblichen Häufungen von Ladendiebstählen berichtet. Der Leiter von Famila zeigte sich im Gespräch mit Kreye „maßlos überrascht, wie gut es lief“. Wenn es mal zu einem Diebstahl kam, ging es um Unterwäsche oder ähnliches. Der Leiter der Kaufland-Filiale neben dem KKG erlebte die Flüchtlinge als „freundliche, sympathische Mitbürger“, es gab keinen einzigen Fall von Ladendiebstahl. Im Übrigen könnten auch die Anwohner der Notunterkünfte im KKG und in der ehemaligen Schule Albrechtstraße bestätigen, dass es keine unangenehmen Vorfälle gab.
Die Polizeiinspektion bekommt eigene Büroräume auf dem Kasernengelände, außerhalb des Zaunes wird Tag und Nacht ein privater Sicherheitsdienst auf Patrouille gehen. Zudem wird der städtische Ordnungsdienst mit personeller Verstärkung „verstärkt im Stadtbild zu sehen sein“.
Angesichts der Ressentiments und Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge ist es der richtige Weg, im Rahmen von öffentlichen Informationsveranstaltungen Zahlen und Fakten zu benennen und die Rechtslage zu erläutern. Das Interesse ist offensichtlich groß, nur ob man damit auch den Bodensatz rechtsgerichteter Gruppierungen erreicht, die nicht bereit sind, differenziert zu denken und zu urteilen, bleibt dahingestellt: „Wir ersparen uns einfach mal jegliche Analyse des am heutigen Abend stattgefunden Info Abend zum Thema Flüchtlingsheim in Ebkeriege. Es war einfach nur eine pure Pinocchio Veranstaltung des Oberbürgermeisters, der Polizei und des verschwitzten Herrn Feist. Wilhelmshaven kann sich glücklich schätzen solche Menschen in der Führungsriege zu haben, denn wir bekommen nur die Edelflüchtlinge mit denen keinerlei Probleme zu erwarten sein dürften da sie ja mit nähen und basteln bei Laune gehalten werden. Rette sich wer kann !“ (Facebook-Post „Wilhelmshaven passt auf“)
Im Vergleich zu anderen Kommunen läuft die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Wilhelmshaven einigermaßen zufriedenstellend. Ehrenamtliches Engagement wird hier großgeschrieben und ist der eigentliche Garant für ein menschliches, friedliches Miteinander von Alteingesessenen und Zuwanderern. Die verstärkte Überwachung durch hoheitliche und private Sicherheitskräfte ist atmosphärisch kein Gewinn und eher ein Zugeständnis an diffuse Berührungsängste.
Bisher hat in Wilhelmshaven noch keine Flüchtlingsunterkunft gebrannt. Die hiesigen Besorgtbürger toben sich vorwiegend verbal im Internet aus, einmal die Woche trifft sich eine schrumpfende Zahl (zuletzt etwa 20) auf dem abendlich verwaisten Rathausplatz. Abgesehen von einem noch nicht aufgeklärten Vorfall im Schwimmbad gibt es nichts, woran die selbsternannte „Bürgerwehr“ sich reiben könnte, außer an Aktivitäten der Flüchtlingshilfe und Veranstaltungen von AntifaschistInnen. Bei der Infoveranstaltung in der Stadthalle gaben sie sich kleinlaut, vorm heimischen PC drehten sie wieder auf und posteten wieder ihr eigenes Weltbild, das sich durch die Infoveranstaltung nicht verändert hat.
Imke Zwoch
[1] In Deutschland gilt ein Staat als sicher, wenn Menschen dort politisch nicht verfolgt werden. Sie dürfen weder unmenschlich behandelt noch erniedrigend bestraft werden, so die Definition, die sich aus Paragraph 29a im Asylgesetz und Artikel 16a im deutschen Grundgesetz ergibt.
[2] „Kommen mehr Menschen vom Balkan, flugs erfolgt die Einstufung der dortigen Staaten als sicher“, kritisierte Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl, die Entscheidung vom letzten Herbst.
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