Marinemuseum
Jul 011998
 

Wie man die Geschichte privatisiert und für die eigenen Zwecke nutzt

Das Deutsche Marinemuseum sorgt für eine schönere Vergangenheit und hat maritime Absichten

(Von Hartmut Peters) Das lateinische „privare“ heißt gleichzeitig „berauben“ und „befreien“. Und insofern ist das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven, das im April seine Pforten öffnete, privat genau richtig organisiert. Es zieht dem Besucher nicht nur ohne seriösen Gegenwert das Eintrittsgeld aus der Tasche, sondern befreit ihn auch von der Chance, etwas aus der Geschichte zu lernen. Das am Erfolg orientierte Quotenmuseum will vor allem unterhalten und für „maritime Optionen“ werben, und deshalb präsentiert es eine geschönte Vergangenheit.

Das Ganze wäre nicht weiter tragisch, wenn der Trägerverein ein „Deutsches Grünkohlmuseum“ an den Banter See gesetzt hätte. Aber immerhin geht es um Krieg und Frieden, um die lange höchst unappetitliche deutsche Marinegeschichte, um die Millionen Opfer deutschen Großmachtstrebens und nicht zuletzt um die Notwendigkeit, gegen den erstarkenden Rechtsradikalismus demokratisches Geschichtsbewusstsein zu setzen.

Jens Graul: Unterhalten und nicht belehren *)

Wir sind natürlich in hohem Maße eine privatorganisierte Einrichtung, das ist ganz offenkundig. Von daher auch darauf angewiesen, eine bestimmte Besuchermarge zu erreichen, aber ich denke, wir sind der Gefahr, die ich auch sehe, nämlich allzusehr auf die gängigen Erwartungen-  und die gängigen Meinungen zu setzen, entgegengetreten. Wir zeigen auch die Schattenseiten. (…) Ich gebe gerne zu, dass dieses Museum in dem Sinne erfolgsorientiert ist, dass es Wert darauflegt, dass die Menschen kommen (…) Wir wollen Besucher im Museum haben, und wir wollen sie auch im wohlverstandenen Sinne unterhalten und nicht belehren. Das ist vielleicht kein pädagogischer Ansatz, aber das ist unsere Philosophie. Wir wollen ihnen etwas mitgeben, was sie im guten Sinne unterhalten hat, aber eben auch Information mitgeben, die normalerweise in den Köpfen der Menschen so nicht vorhanden ist.

*) Am 1. Mai 1998 diskutierten in der „Montagsdebatte“ von Radio Jade Dr. Jens Graul, Vizepräsident des Deutschen Marinemuseums und Kulturdezernent der Stadt Wilhelmshaven, Dr. Waldemar Reinhardt, der ehemalige Leiter des Küstenmuseums, und Hartmut Peters, Mitarbeiter des Militärhistorischen Arbeitskreises Wilhelmshaven (MAW), über das neue Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven. Der Gegenwind dokumentiert in den eingestreuten Kästchen Auszüge aus den Ausführungen von Dr. Graul.

 

Aber was macht das schon, schließlich soll „die Reduzierung auf das Wesentliche, und nicht jedes allerkleinste Detail“ gezeigt werden. Dabei dürfen dann schon einmal die paar Opfer der Geschichte unter den Tisch fallen. Gilt es heute doch schließlich, wieder an den angeblich so friedvollen Marine-Absichten der Preußen anzuknüpfen, weil die Bundesrepublik als „Industriestaat“ eben „maritime Optionen haben sollte“. „Das ist unser Credo, und nicht die Grundüberzeugung, möglichst viel gegen die Marine oder gegen einen Krieg oder gegen bewaffnete Auseinandersetzungen zu zeigen.“ Im übrigen: „Wilhelmshaven lebt zu 40% von der Kriegsmaschinerie“ (Zitate Dr. Graul). Man müsse ja nicht wie Tirpitz gegen Engeland rüsten. Gottlob.

Vielleicht kann man von Museumsgeschäftsleuten aus Wilhelmshaven nichts anderes erwarten, als altertümlich mit Heraklit den Krieg als „Vater aller Dinge“ zu begreifen. Im Kern ist dergleichen ortstypische Folklore indes halsbrecherisch, senkt sie doch die Schwelle zum „Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (v. Clausewitz). „Will vom Krieg leben / Wird ihm wohl müssen auch was geben,“ reimte Brecht. Man hat offenbar vergessen, dass Wilhelmshaven im letzten zu 40% zerstört wurde.

Jens Graul: Zurückhaltendes Textangebot

Unser Ansatz ist nicht, das kritischste aller Marinemuseen zu schaffen. Unser Ansatz ist das Deutsche Marinemuseum. Und das bedeutet auch ein gewisses historisches Level, also kein Meinungsmuseum, sondern ein Museum, was auf einer historischen Grundlage Informationsangebote macht, aber keine Meinungen vorwegnimmt. Und die Angebote werden vom Besucher angenommen, oder sie werden nicht angenommen. (…) Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, eine zeitorientierte, eine epochenorientierte Gliederung zu verwirklichen, die ein Geschichtsverständnis, ein wissenschaftliches Verständnis voraussetzt, das unsere Besucher mit Sicherheit nur zum Teil haben. Wir bieten also eine Themenorientierung an und überlassen es auch jedem Besucher, seine persönlichen Interessen, egal ob sie technisch oder politisch oder sozial orientiert sind, im Museum zu verwirklichen, zu finden, was er sucht. Und von daher ist auch unser Textangebot sehr zurückhaltend.

„Deutsches Marinemuseum Wilhelmshaven“ – der Titel klingt so wissenschaftlich wie „Deutsches Museum München“ oder „Haus der deutschen Geschichte Berlin“. dass sich dahinter private Interessen statt eines unabhängigen Forschungsinstituts und popelige 500qm Ausstellungsfläche verbergen, welcher Besucher realisiert das schon vor dem Bezahlen angesichts des attraktiven Freigeländes?

Jens Graul: Wir heroisieren nicht die Helden

Ich habe nicht behauptet, dass wir ideologiefrei sind, wir haben schon eine Ideologie. Wir gehen z.B. davon aus, dass bewaffnete Streitkräfte, wenn sie in einem demokratischen Gemeinwesen eingebunden sind, durchaus Sinn machen. Wir sind auch der Meinung – jedenfalls gebe ich das wieder für die fast 600 Mitglieder des Fördervereins -, dass Deutschland maritime Optionen haben sollte, als Industriestaat und als Kontinentalstaat. Wir treten also nicht an mit dem Wunsch, den Menschen die Notwendigkeit einer Marine auszureden. Das gebe ich gerne zu. Diese Voreingenommenheit haben wir. (…) Wir treten auch nicht an mit dem Wunsch, voll alles das herauszuarbeiten, was an kritischen Dingen im Zusammenhang mit der Marine passiert ist. Wir heroisieren nicht die Helden, die echten oder die falschen, aber die Kritiker werden bei uns genauso wenig heroisiert. Und wir zeigen nicht den Marschallstab des Admirals als heroisierendes Objekt, aber wir zeigen auch nicht das Schweißtuch des Widerstandskämpfers. Also, wir halten uns fern dieser Art von Parteinahme, wir versuchen auf wissenschaftliche, ausgewogene Art und Weise, 150 Jahre deutscher Marinegeschichte in allen ihren Facetten zu zeigen.

Wie auch bei manch anderen hiesigen Projekten finden wir hier ebenfalls die Kehrseite von Größenwahn: die Schlichtheit des Gedankens. Der Verein hätte sein Ziel nämlich genauer mit einer Ausstellung getroffen, die die deutsche Geschichte und die daraus erwachsene Verantwortung ernst genommen hätte. Und hätte zudem noch demokratisches Bewusstsein als Extraprofit eingestrichen. Kimme und Korn auf den qualitativen Abstand zwischen demokratischer Bundeswehr und ihren kaiserlichen und nationalsozialistischen Vorläufern und auf die unterdrückten demokratischen Traditionen – das wär’s doch gewesen, um die so friedlichen „Optionen“ der Gegenwart wesentlich besser zu verkaufen.

Aber der Verein wähnt, nur durch Ausklammern und Verharmlosen der „Details der deutschen Geschichte“ seine „maritimen Optionen“ anvisieren zu können. Das verrät nicht nur Provinzialität und Anpassung an die Klientel der Ehemaligen, sondern auch ein erschreckendes Desinteresse an der Fortentwicklung unserer der Völkerverständigung und dem Frieden verpflichteten Demokratie. Wie schrieb doch Santayana? „Wer sich an die Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

Die Wilhelmshavener SPD litt am meisten unter den Kaisern und den Nazis. Diese Partei hat sich von ihrer eigenen Geschichte verabschiedet. Heute greift man nach jedem Strohhalm, am liebsten nach den angefaulten auf dem Mist der einstigen Gegner. Dr. Graul, in anrüchiger Personalunion Kulturdezernent der Stadt und Vizepräsident des Marinemuseums, schloss „sein“ öffentliches Küstenmuseum just, als „sein“ privates Marinemuseum öffnete – welches jetzt dem Wattenmeerhaus die Besucher abjagt. Das passt gut zu der insgesamt ganz unterentwickelten Auseinandersetzung Wilhelmshavens mit seiner Vergangenheit. Beispielsweise ist diese Stadt, in ihrer Größenklasse, die Einzige in Niedersachsen, die nicht die Geschichte ihrer jüdischen Bürger verlässlich aufgearbeitet hat.

Jens Graul: Reduzierung auf das Wesentliche

Es war nicht unser Ehrgeiz, eine lückenlose Sammlung sämtlicher kritischen Ereignisse oder Aspekte vorzulegen, sondern erst mal einen großen Bogen zu schlagen und es dem Besucher zu überlassen, sich dort einzusortieren. (…) Wir sind angetreten mit dem Anspruch, 150 Jahre deutscher Marinegeschichte aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeigen. Das bedingt die Reduzierung auf das Wesentliche, und nicht jedes, allerkleinste Detail. (…) Ich kann mir vorstellen, dass wir später, von Zeit zu Zeit, die Schwerpunkte unserer Ausstellung nuancieren, nur an der Grundausrichtung wird sich dadurch, glaube ich, nicht viel ändern.

Aber wen schert’s, wir haben jetzt hier doch das Marinemuseum, und da fühlen sich die Macher ganz vorbildlich, ist es doch „ein Museum, was auf einer historischen Grundlage Informationsangebote macht, aber keine Meinungen vorwegnimmt.“ Schließlich beruht alles „auf wissenschaftlicher, ausgewogener Art und Weise“. (Dr. Graul) Dafür sorgten schon die renommierten wissenschaftlichen Berater.

Schön wär’s, wirklich. In der „Denkschrift für ein Deutsches Marine-Museum“ von 1987 hieß es noch, ganz korrekt: „Geschichte soll … nicht verschwiegen oder entpolitisiert werden, sie soll vielmehr kenntlich gemacht werden, ohne nostalgische Verharmlosung oder Heroisierung von Personen oder Ereignissen.“ Die 1998 eröffnete Ausstellung übt sich im Verwischen, Verharmlosen und Verschweigen unbequemer Fakten der Geschichte und entpolitisiert auf allen Ebenen, um den harten Stuhl der Vergangenheit für die Absichten der Gegenwart weichzuspülen. Die inzwischen fast jedem stinkende Heroisierung traditioneller Machart wird zeitgemäß zum antiseptischen deutschen Soldaten recycelt, der in jeder Epoche „sauber“ nur Handwerk und Pflicht nachging.

Der MAW wird die Kritik am Marinemuseum weiter konkretisieren und einen eigenen Ausstellungsführer erarbeiten. Zunächst sollen hier nur die wesentlichen Aspekte an Beispielen skizziert werden.

Faszination der Waffen statt Aufklärung
Ein technisch-historisches Museum war geplant, ein hauptsächlich technisches ist herausgekommen. Die Großexponate des Freigeländes dominieren, während die Ausstellungsräume ein Schattendasein führen und zudem selbst in ihnen die Schiffsmodelle vorherrschen. Kriegstechnik fasziniert, vor allem wenn ihre Folgen banalisiert werden. Das aufgemalte Haifischmaul des Freigelände-Torpedos ist lediglich das auffälligste Detail. Das Ganze stellt sich für die Kinder als Abenteuerpark „Navyland“ dar, in dem man einmal ein Geschütz besteigen und auf Schiffe im Hafen zielen darf, während die Väter über die Enge in U-Booten sinnieren und den Kauf von Buchheims „Das Boot“ für sinnvoll erachten.

Gesichtsloser „Eintopf Marine“ statt historischer Differenzierung
Durch die Themenorientierung der Ausstellung, durch ihren Verzicht auf eine epochenorientierte Gliederung, wird die Gleichzeitigkeit und -wertigkeit geschichtlicher Vorgänge vorgespiegelt, obwohl diese jeweils durch unterschiedlichste soziale und politische Interessen bedingt sind. Die Gleichzeitigkeit des Unvergleichlichen potenziert sich durch die vorgenommene Auswahl an präsentierten Themen, die wie zufällig an den Bruchstellen und Problemen der deutschen Geschichte vorbeimanövrieren. Die Konsequenz ist nicht nur die weitgehende Ausblendung der politischen Rahmengeschichte, die Marinehandeln erst bedingt, sondern auch die Blindheit gegenüber der Tatsache, dass die Marine selbst ein Akteur der Geschichte war und ist.

Jens Graul: Jede dritte Mark ist eine Marinemark

Deutschland ist ein Industriestaat, gleichwohl in kontinentaler Lage, und es sollte seine maritimen Interessen nicht völlig außen vor lassen. Es hat maritime Interessen. Das heißt ja nicht, dass wir Tirpitz nacheifern sollten. (…) Das ist unser Credo, mit dem wir angetreten sind, und nicht die Grundüberzeugung, möglichst viel gegen die Marine oder gegen einen Krieg oder gegen bewaffnete Auseinandersetzungen zu zeigen. Und ich denke, dass gerade in Wilhelmshaven, wo jede dritte Mark eine Marinemark ist, dieser Standpunkt auch nachvollziehbar ist.

Das Konzept der Themenorientierung und die Themenauswahl präparieren im Verein mit der verharmlosenden Darstellung der Texte die so sehr unterschiedlichen Marinen zu einer einzigen Marine, die nur ihre „Aufgaben“ erfüllt hat und fast außerhalb aller geschichtlichen Bewährungen steht. Hierdurch wird die Kriegsmarine der NS-Zeit auf eine Traditionsebene mit der Bundesmarine gehoben.

Besucher ohne historische Vorbildung können bei dieser Konzeption nur das wahrnehmen, was sie ohnehin anspricht, die Oberflächenreize wie Waffen oder Uniformen. Sie werden unterhalten, in ihren Vorurteilen bestärkt, keinesfalls aufgeklärt. Für die historisch Vorgebildeten ist das gezeigte Sammelsurium amüsant, unproduktiv oder gar ärgerlich – je nachdem.

Beispiel: Im Obergeschoss wird das Thema „Die Marine und die Weltmeere“ so präsentiert, als ob es um „Weltreisen zum Vergnügen“ ginge. An den Wänden prangen Karten, die Schiffsrouten verschiedener Epochen darstellen. Auf einer wird die koloniale (und dann, ohne dass es deutlich wird, kriegerische) Mission der „Emden I“ 1913/14 mit der Route der „Emden II“ während der NS-Zeit und der Auslandstätigkeit des Bundeswehr-Zerstörers „Schleswig-Holstein“ in den 60er Jahren verquirlt. Die Überblendung der drei Epochen und die dominant ausgestellten diversen Reisemitbringsel machen richtig Lust, sich auf große Fahrt zu begeben. Es ist schon schrill, wie Bundesmarine, Nationalsozialismus und Imperialismus verwischt werden, um den opportunen Eindruck zu erzeugen, die Marine sei ein Erlebnisreisenveranstalter für ungebundene junge Männer.

Jens Graul: Die Relationen wieder herstellen

Wir zeigen sehr genau, dass die heutige Marinekonzeption der Bundesrepublik diesem Grundansatz, diesem sehr friedlichen Grundansatz, der wirklich nur auf die maritime Absicherung von wirtschaftlicher Entwicklung hinauslief (gemeint ist die Preußische Marine unter Prinz Adalbert, Redaktion), viel näher ist als den Epochen, an denen sich der Gebildete oder Ungebildete möglicherweise oft aufhängt, nämlich an den beiden großen, auf Seegeltung, Weltgeltung ausgerichteten, die kaiserliche und die Kriegsmarine. Und ich denke, dass wir dabei auch einen Beitrag leisten, die Relation wieder etwas herzustellen. Das ist auch einer der Gründe, warum wir ganz bewusst auf eine Epochengliederung verzichtet haben.

Die Methode ist: Über die sichtbaren Objekte den Wunsch nach Freiheit und Exotik abzurufen, und in den Schubladen die zudem problematisch formulierten Sachinformationen zu verstecken. Schon dreist ist das beim aggressiven deutschen Kolonialismus, den man als volle Nostalgo-Packung verabreicht. Das attraktive Kaiserpanorama mit seiner rassistischen „Völkerkunde“ und den ihren wirklichen Aufträgen und Arbeitsbedingungen hohnsprechenden schachspielenden Matrosen wird dem Besucher ohne jegliches Korrektiv aufgetragen. Die grausame Wirklichkeit kolonialer Ausbeutung, die Opfer der „Eingeborenen“, der Sexismus der „Zivilisierten“ usw. werden so als friedvolle Idylle ausgegeben. In den Textschubladen werden die brutalen Aktionen entweder verschwiegen oder sprachlich verharmlost. „Von den Stützpunkten aus wurden (…) die Interessen des Kaiserreichs durchgesetzt, teils mit friedlichen Mitteln, teils auch mit Gewalt. Außerdem bereisten die Schulkreuzer und Forschungsschiffe der Marine die Weltmeere.“ Alles, was wir über das schon seinerzeit Entsetzen erregende Gemetzel an den Chinesen erfahren, lautet: „…internationale China-Expedition 1900/01 zur Niederschlagung des Boxeraufstands“. Kein Wort über die deutsche Vorreiterrolle dabei oder über die berüchtigte „Hunnenrede“ des Kaisers, die die Historiker für präfaschistisch halten. Konsequent, dass es nur deutsche Tote dieser Epoche gibt. (Und selbst die meint man 100 Jahre danach noch ehren zu müssen. Unkommentiert und an zentraler Stelle steht im Freigelände das Denkmal einer Matrosendivision mit Aufschriften wie „Während der Aufstände in Südwest-Afrika starben in Treue vor dem Feinde…“)

Jens Graul: Die Unfähigkeit öffentlicher Institutionen

Als Kulturdezernent der Stadt bin ich natürlich auch für die Frage mitverantwortlich, wie eine Stadt mit ihrer Geschichte umgeht. (…) Ich gehöre zu den Gründungsmitgliedern des Fördervereins Deutsches Marinemuseum. Ich war schon dabei, als das Marinemuseum noch ein städtisches Projekt war. (…) Die öffentliche Hand hat 20 Jahre Zeit gehabt, ein solches Museum zu bauen. Sie hat es nicht geschafft, weder in Wilhelmshaven noch sonst irgendwo. Und von daher ist diese private Initiative mit öffentlicher Unterstützung im Hintergrund sicherlich auch typisch für die Unfähigkeit öffentlicher Institutionen, so eine schwierige Aufgabe zu übernehmen. Und ich bin sicher, dass diese zeitgemäße Form einer Museumsentwicklung auch noch für andere ein nachahmenswertes Beispiel geben wird.

Bewusstes Verschweigen der Schattenseiten
Alles, was nur entfernt an die „Schattenseiten“ (Dr. Graul) der deutschen Geschichte erinnert, wird ausgeblendet. Hier eine Auswahl: die aktive Beteiligung der Marine am Völkermord an den Juden (Baltikum), die Marinerüstung durch Zwangsarbeiter und KZ-Insassen und der massive Terror gegen die eigenen Matrosen im 2. Weltkrieg, das Thema Marine und Widerstand, die demokratische und soziale Tradition der Marine, der Komplex Marine und Rüstungsindustrie, die antidemokratische und revanchistische Rolle der Marine während der Weimarer Republik, die Beteiligung der Marine an brutalen „Befriedungsaktionen“ während der Kolonialzeit, die propagandistische Funktion und Wirkung der Marine im Kaiserreich und im Nationalsozialismus und so weiter …

Verschleiernde und verharmlosende Texte
Fast allgegenwärtig ist eine Darstellungsweise auf den Texttafeln, die durch ihren Mix aus Verschweigen und scheinbar neutraler Darstellung auch den letzen Rest von Problemzonen verschleiert.

Beispiel 1: Unter „Auslandstätigkeit der Reichs- und Kriegsmarine 1924-1939“ lautet ein Absatz: „Die Segelschulschiffe und Schulkreuzer der Kriegsmarine vermittelten im Ausland das ‘Dritte Reich’ als vorbildlichen neuen Staat. Im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) beteiligten sich Einheiten der Kriegsmarine an der internationalen Seeüberwachung, ergriffen aber auch die Partei der aufständischen Franco-Truppen. Ein Angriff regierungstreuer Flugzeuge auf das Panzerschiff „Deutschland“ hatte 31 Tote zur Folge.“ Eingeleitet wird die Parteinahme NS-Deutschlands gegen die gewählte spanische Regierung wie in der „Deutschen Nationalzeitung“. Die hegemonialen und bündnispolitischen Interessen der Nationalsozialisten werden alsdann von der „internationalen Seeüberwachung“, die nur kurze Zeit bestand, neutralisiert. Es bleibt sprachlich unkenntlich, dass die deutschen den spanischen Faschisten halfen, wie insgesamt auch die brutalen Methoden (Guernica) und das Ausmaß der Kriegshilfe (200 Mill. Reichsmark) keines Wortes wert sind. dass die Marine auf ihre Kriegstauglichkeit getestet wurde, wird von den Toten der „Deutschland“ überdeckt. dass als „Vergeltung“ völkerrechtswidrig die Zivilbevölkerung der spanischen Hafenstadt Almeria beschossen wurde (24 Tote, 8.000 Obdachlose), ist vermutlich eines jener „allerkleinsten Details“ der Geschichte, die für „das Wesentliche“ (Dr. Graul) nun einmal weichen müssen. Setzte man für „regierungstreu“ „rotspanisch“, stammte der gesamte Absatz aus einem deutschnationalen Buch.

Beispiel 2: In der Texttafel zum „Kriegsende 1945″ heißt es: ‘Nie wieder ein November 1918 (Raeder)’. Nur vereinzelt kam es zu Unbotmäßigkeiten der Mannschaften oder zur Überschreitung der Befugnisse durch Offiziere.“ Nur der Eingeweihte versteht, dass es hier nicht um die stilvolle, „soldatische“ Beendigung eines „ehrenhaften“ Krieges, sondern um die schmutzige Tötung von meist jungen Matrosen geht, die in einem aussichtslos gewordenen Krieg nicht das Leben verlieren wollten und deshalb ihre individuellen Konsequenzen zogen. Tausende von Marinesoldaten wurden wegen Fahnenflucht und nach der „Volksschädlingsverordnung“ hingerichtet. Der Ausstellungstext nimmt die Perspektive der Nationalsozialisten ein („Unbotmäßigkeiten“, „Überschreitung der Befugnisse“) und verunglimpft damit die Opfer der NS-Marinejustiz.

Das Deutsche Marinemuseum Wilhelmshaven erlebte in 6 Wochen 30.000 Besucher. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen, sondern einer Konzeption, die aus geschäftlichen und politischen Gründen ein Museum präsentiert, das einem geschichtlichen Imbissstand gleicht und die deutsche Marinegeschichte bewusst verharmlost. q

Zum Autor: Hartmut Peters studierte Politik, Soziologie, Geschichte und Germanistik und arbeitet seit 1978 als Lehrer für Politik und Deutsch in Jever. Peters ist Mitarbeiter im Militärgeschichtlichen Arbeitskreis Wilhelmshaven (MAW), im Antifaschistischen Bündnis Wilhelmshaven und in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Oldenburg. Er veröffentlichte seit Anfang der 80er Jahre, z.T. zusammen mit Schülern, eine Reihe von Ausstellungen, Büchern und Aufsätzen zur Regionalgeschichte und ist Initiator des 1996 enthüllten Mahnmals für die ermordeten Juden Jevers. Peters arbeitet gegenwärtig an einem Videofilm über die Befreiung Wilhelmshavens 1945 durch die 1. Polnische Panzerdivision und in Kooperation mit der Universität Hannover und der Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) über die Geschichte der Juden Jevers. Peters erhielt 1986 für das Schüler-Lehrer-Projekt „Juden besuchen Jever“ die Medaille der FDP-nahen Theodor-Heuss-Stiftung.

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