Kolumne
Nov 082006
 

Schlicktown für Anfänger

oder die Frage nach Schönheit

Seit der WM gibt es Patriotismusdebatten hierzulande, die mich in ihrer Fülle richtig stumpf machen.

Als ich neulich dennoch mit einem Freund darüber sprach, ob nun unsere deutsche Bierkultur oder doch eher unser multikulturelles Zusammenleben der einzige Grund sein könnte, stolz auf das Land zu sein, in das wir unfreiwillig hineingeboren wurden, konnten wir nicht umhin, uns damit auseinanderzusetzen, was für uns Schönheit bedeutet. Weil er irgendwann anfing, über die Schönheit eines gut gezapften Pilses zu reden.
Am Nachmittag! Bei Kaffee und Kuchen! Ja, man kann sich seine Freunde nicht aussuchen.
„Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, denn wir haben das deutsche Reinheitsgebot und Vollkornbrot. Wir haben also Dinge, die uns im Urlaub nach spätestens drei Wochen Heimweh machen, ergo allen Grund, auf Vollkornbrot und Reinheitsgebot stolz zu sein!“
Doch war ich von dem Gedanken an das, was für mich Schönheit bedeutet, schon so gefangen, dass ich kaum mehr unserer kulinarischen Patriotismusdebatte folgte konnte.
Schönheit, Wilhelmshaven, Schönheit, Wilhelmshaven, Schönheit, Wilhelmshaven – schoss es durch meinen Kopf und ich bekam es nicht ganz zusammen. Was dachte ich, als ich in Wilhelmshaven ankam, über die Schönheit dieser Stadt? Ich dachte, Klasse, das ist die nördlichste Stadt mit Ruhrpottcharme, hier bleibe ich.
In Wilhelmshaven kann man an einer Hauptstraße nach vorne raus wohnen und trotzdem die Nacht gut durchschlafen, weil ab zehn sowieso Funkstille herrscht. Schönheit?
Immer wenn ich ans Meer will, ist das Wasser weg, das ist doch nicht Schönheit.
Innerlich empörte ich mich bis zum Anschlag meiner Geduld über die Frage der Wilhelmshavener Schönheit und hörte gerade von meinem intellektuellen Freund, wie es zur Farbgebung der Deutschlandflagge kam, welche 1813 ihren demokratischen Ursprung fand, stellte fest, dass meine Lieblingsfarbe Blau nicht einmal darin vorkommt und verstand auf der Stelle noch weniger, wie man sich so ein hässliches Ding, das nicht mal meine Lieblingsfarbe hat, aufhängen kann, geschweige denn auf die Wange malen.
Dadurch innerlich zum Kochen gebracht, beschloss ich, der Diskussion endgültig ein Ende zu setzen, und erklärte feierlich, dass ich ja verdammt noch mal schon stolz auf unser Vollkornbrot sei, er mir (einem Weintrinker) mit seiner Bierkultur vom Leib bleiben solle und dass wir früher mal fast erschossen worden sind, wenn wir keine Flagge gehisst haben und ich deshalb auch heute noch nichts davon halte. Das Hissen von Flaggen sei doch bitte Schweizern und dem Roten Kreuz vorbehalten, das hebe sich auch ganz hübsch gegeneinander auf.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, sagte ich ihm noch, dass ich Europäer sei und mich als solcher fragen würde, was eigentlich an Wilhelmshaven das Schönste für ihn (einen Biertrinker) sei.
Überwältigt und überfahren von meiner blitzgescheiten Argumentation, antwortete er wie aus der Pistole geschossen: „Die Mellumstraße.“
Es reichte mir.
Ich setzte mich sofort ans Telefon und gab eine Umfrage in Auftrag. Das war vor fünf Minuten. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.

Sultan Hasselbäck

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