Fahrregeln verschlimmbessert!
(jm 05.10.12) Freie Fahrt für große Frachter schlagzeilt die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest (WSD) in ihrer Pressemitteilung vom 21.09.12. Mit dieser eleganten Verpackung sucht diese Behörde zu kaschieren, dass sie die jahrzehntelang geltenden Überhol- und Begegnungsverbote im Jade-Fahrwasser bis auf vergleichsweise winzige Streckenabschnitte aufgehoben hat.
Neuerdings dürfen sich Schiffe, die auf diese vertiefte Fahrrinne angewiesenen sind, dort so gut wie überall gegenseitig begegnen und überholen. Das Überholverbot wurde auf eine vergleichsweise winzige, ca. 1,5 km lange Strecke in einem Teilabschnitt der Umfahrung der Insel Minsener Oog zurückgenommen. Und das Begegnungsverbot wurde auf 4,5 km zurückgeschraubt. Es erstreckt sich nur noch auf den Übergang von der ‚Umfahrung Minsener Oog’ in die sich südlich anschließende ‚Oldeoogrinne’. In diesem Abschnitt der Oldeoogrinne ist am 14. August der mit 80.000 Tonnen Rohöl beladene Tanker KATJA aus dem Ruder gelaufen und hat sich im seitlich anschließenden Fahrwasser festgefahren. (s. „Gedanken anlässlich der KATJA-Strandung“ unter www.gegenwind-whv.de/gw20120823_01.htm)
Wohl ohne zu prüfen, was sich denn nun im Einzelnen geändert hat, ist die WZ dem ‚Orwellschen Gutsprech’ der WSD auf den Leim gekrochen.
Und so vermitteln die dortigen Salzwasserexperten dem eiligen Leser in ihrer Ausgabe vom 24. September den Eindruck, dass strengere Regeln eingeführt wurden: „Verkehrsregeln für die Jade angepasst (…) WSD verhängt Überhol- und Begegnungsverbote“.
In Wirklichkeit ist es leider genau umgekehrt: Die Überhol- und Begegnungsverbote auf der Jade wurden angesichts der anstehenden Verkehrszunahme auf der Jade zu Lasten der Verkehrssicherheit weitgehend aufgehoben, um Wartezeiten für die ein- und auslaufenden Schiffe zu vermeiden…
Ach, was ging es doch gemütlich zu auf der Jade, seit die 350 Meter langen und 52 Meter breiten mit 250.000 Tonnen Rohöl beladenen Supertanker mit 20 Meter Tiefgang ausblieben und nur noch Tanker mit selten mehr als der Hälfte an Ladung die Jade ansteuerten. Doch die kommoden Zeiten, in denen solche ‚Halbstarke’ ungestört in der Fahrrinnenmitte mit viel Platz zu den Trassenrändern fahren konnten, die sind vorbei!
Bald müssen sie sich die Rinne beim Begegnen und Überholen mit bis zu 400 Meter langen und 59 Meter breiten sogenannten ‚Megaboxern’ teilen und sich nahe an die Trassenböschung drängen lassen. Ab und an verirrt sich ja auch mal ein teilbeladener 52 Meter breiter Supertanker auf die Jade, der sich die Rinne mit einem 59 Meter breiten Megaboxer teilen muss.
Selbst für Mega-Flüssiggastanker sind keine restriktiveren Überhol- und Begegnungsverbote vorgesehen, obwohl E.ON den geplanten Bau eines Terminals für Flüssigerdgas (LNG) auf dem Voslapper Groden alle Dutzend Jahre mal wieder aufheizt…
Die größten zur Zeit im Bau befindlichen LNG-Schiffe haben ein Fassungsvermögen von 265.000 cbm LNG. Die Schiffslänge beträgt ca. 350 Meter. (Quelle: http://www.gl-group.com/pdf/nonstop_2007-02_D.pdf)
Man kann nur inständig dafür beten, dass der WSD (und uns) nicht ihr Motto „Wir machen Schifffahrt möglich“ eines Tages um die Ohren fliegt! Diese Behörde, die mit der Anordnung von Verkehrsregeln für die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs auf der Jade zu sorgen hat, könnte – wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist – mit dem Vorwurf konfrontiert werden, dass sie ihre Verkehrsregeln nach dem Motto ‚Leichtigkeit geht vor Sicherheit’ verfasst…
Immerhin: Der Leiter des hiesigen Wasser- und Schifffahrtsamtes teilte kürzlich auf Anfrage mit, dass „…die Jade auf einer Breite von 300m unterhalten (wird). In Kurvenbereichen kann grundsätzlich diese Breite gemäß Planfeststellungsbeschluß noch aufgeweitet werden.“
Bislang hielt man es nämlich u.a. für bedarfsgerecht, die Unterhaltsbaggerungen auf einen 250 Meter breiten Streifen in der 300 Meter breiten Fahrrinne zu beschränken.
Das bedarfsgerechte Baggern könnte übrigens bei den Ermittlungen zur Standungsursache der KATJA (s.o.) mit in Betracht gezogen werden.
Deren Strandung am 14. August östlich der Insel Minsener Oog wurde nämlich von der „Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung“ (BSU) als schwerer Seeunfall eingestuft. Diese Behörde hat eine Voruntersuchung der Strandungsursache eingeleitet.
Hierbei wird nicht untersucht, ob die Strandung auf einen Navigationsfehler zurückzuführen ist, vielmehr wird von der BSU nachgeforscht, ob die Strandung durch technische Mängel auf der KATJA und/oder äußere Einflüsse verursacht wurde. Falls im Rahmen der Ermittlungen solcher Art objektbezogene Mängel aufgedeckt werden, wird eine Hauptuntersuchung zur Durchleuchtung der Umstände und Ursachen des Unfalls sowie deren begünstigende Faktoren durchgeführt.
Die objektbezogene Seeunfalluntersuchung wird durch die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) gutachterlich durchgeführt. Hierbei sollen die Ursachen, welche zum Seeunfall geführt haben, ohne Konsequenzen für die Beteiligten ermittelt werden. Das Ermittlungsergebnis der BSU soll die Sicherheit auf See verbessern und wird nach Ermessen des Leiters der Bundesstelle in schriftlicher und digitaler Form veröffentlicht.
Die subjektbezogene Seeunfalluntersuchung wird durch die Seeämter durchgeführt. Hierbei wird ein Seeunfall hinsichtlich der Konsequenzen für die Beteiligten untersucht. Auch dieses Ergebnis wird nach Ermessen der Vorsitzenden veröffentlicht. Gegen das Ergebnis der seeamtlichen Untersuchung kann bei der Widerspruchsstelle der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord widersprochen werden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, beim Verwaltungsgericht Klage zu erheben. Vor Gericht hat das seeamtliche Ergebnis (der Seeamtsspruch) ebenfalls den Wert eines Gutachtens.
Quelle: Wikipedia
Obwohl die BSU demnach nicht für die Untersuchung eines eventuellen Fahrfehlers des Lotsen an Bord der KATJA zuständig ist, stellt sie Ermittlungen zur Aufklärung der Strandungsursache an. Neben eventuellen technischen Mängeln an den Fahr- und Navigationseinrichtungen wird sie sich hierbei auch mit dem Zustand des Jade-Fahrwassers befassen müssen.
Immerhin ist die KATJA mit 13,45 Meter Tiefgang innerhalb des Jade-Fahrwassers, und zwar nur ca. 40 bis 60 Meter außerhalb der planfestgestellten 300 Meter breiten Fahrrinne, auf Grund gelaufen. (Eigentlich sollte das Fahrwasser außerhalb der vertieften Rinne für Schiffe bis 13,50 Meter Tiefgang befahrbar sein, denn nur Schiffe mit mehr als 13,50 Meter Tiefgang müssen die Fahrrinne benutzen.)
Da dürfte sich die BSU bei sorgfältiger Unfalluntersuchung auch für den einschlägigen und zum Havarie-Zeitpunkt aktuellen Peilplan interessieren. In dem bewussten Fahrwasserabschnitt wurde übrigens nach Strandung der KATJA vom 22. bis zum 27. August kontinuierlich gebaggert…
Der WSA-Amtschef sieht zwar keinen Zusammenhang zwischen Fahrrinnenbaggerung und Festkommen der KATJA. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die BSU nach Prüfung des Peilplans zu dem Schluss kommt, dass eine Mindertiefe in diesem Fahrrinnenabschnitt ein die Tanker-Strandung begünstigender Faktor war:
Da die KATJA nur wenige hundert Meter nach der Kurvenfahrt um die Insel Minsener Oog strandete, ist nachzuvollziehen, dass der Tanker nicht die sichere Fahrrinnenmitte einhalten konnte, und hierdurch einige dutzend Meter über das Maß hinaus in den Randbereich der bedarfsgerecht vertieften Fahrrinne verdriftete. Solange der einschlägige Peilplan nicht ausgewertet ist, ist nicht auszuschließen, dass das Schiff dort nur noch so wenig Wasser unter dem Kiel hatte, dass seine Steuerfähigkeit beeinträchtigt wurde. Die sich bei Erreichen der Trassenböschung aufbauende Sogwirkung könnte dann das Ausscheren des Schiffes aus der befahrbaren Rinne bewirkt und zum Abdriften ins flache Jade-Fahrwasser geführt haben. Es wird also von der BSU zu klären sein, welche Fahrrinnenbreite der KATJA für die sichere Durchfahrung dieses Revierabschnitts tatsächlich zur Verfügung stand.
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