Ferngelinkt
Zwielichtige Geschäfte auf dem Wilhelmshavener Immobilienmarkt
(ub) Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit kennzeichnen die wirtschaftliche Situation Wilhelmshavens. Ein Wirtschaftszweig jedoch erfreut sich stetiger Zuwachsraten das Geschäft mit Haus- und Wohnungseigentum. Für kapitalkräftige Immobilienhändler wie die AGV Atlantis ist Wilhelmshaven ein Eldorado. Der Handel mit in Eigentumswohnungen umgewandeltem Wohnraum boomt wie nie zuvor. Dieses Geschäft hat gleich zwei Verlierer: betroffene Mieter und auswärtige Kapitalanleger.
In dem Mehrfamilienhaus in der Weserstr. 121 herrschen katastrophale Zustände. Das Dach und die Regenfallrohre sind kaputt. Wenn es regnet, läuft das Wasser durch drei Etagen in den Keller. Weil sich die Kanalisationsrohre in einem desolaten Zustand befinden, steht auch der Hof unter Wasser. Wasserschäden an Wänden und Decken, Schimmelpilz, Ratten, Mäuse und Kakerlaken in den Wohnungen gehören zum Alltag der dort wohnenden Mieter. Eine Familie in der ersten Etage hat es kürzlich besonders schlimm getroffen. Während die Familie in der Küche am Eßtisch saß, ist die Decke aufgrund der ständigen Feuchtigkeit eingestürzt. Der Familienvater wurde mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Das Haus in der Weserstr. 121 ist einer von den vielen Altbauten in Wilhelmshaven, die sich trotz der oftmals unzumutbaren Wohnverhältnisse auf dem Immobilienmarkt anscheinend großer Beliebtheit erfreuen.
Der GEGENWIND sprach mit einer betroffenen Mieterin und nahm Kontakt auf zu einer auswärtigen Käuferin.
Gegenwind: Frau Janßen, Sie wohnen seit 1985 in diesem Mehrfamilienhaus. Wann wurde Ihre Wohnung in eine Eigentumswohnung umgewandelt, und was hat sich für Sie als Mieterin seitdem verändert?
Janßen: Wir Mieter erfuhren 1991, daß die seinerzeit in Hamburg ansässige Immobilienverwaltungsfirma AGV Atlantis dieses Haus gekauft hat. Die AGV Atlantis hat uns daraufhin neue Mietverträge zugestellt. Die Kaltmiete für unsere Wohnung wurde von 429,- DM monatlich auf 549,-DM erhöht. Begründet wurde diese Erhöhung u.a. mit dem Einbau neuer Fenster. Wir haben zunächst die erhöhte Miete bezahlt. Als dann aber nach zwei Jahren immer noch keine neuen Fenster eingebaut wurden, haben wir die Miete wieder entsprechend gekürzt.
Gegenwind: Die AGV Atlantis hatte also ursprünglich eine Renovierung des Hauses zugesagt?
Janßen: Damit wurde die Mieterhöhung begründet. Geschehen ist aber nichts. Im Gegenteil, die AGV Atlantis, die auch nach Verkauf der einzelnen Wohnungen weiterhin für die Verwaltung zuständig ist, hat bis heute auch die notwendigsten Reparaturen zum Beispiel am Dach, an der Fassade und an den Regenabflußrinnen nicht veranlaßt.
Gegenwind: Wie sehen die Hausverwaltungspraktiken dieser AGV Atlantis aus?
Janßen: Die AGV Atlantis reagiert nicht auf unsere Beschwerdeschreiben und ist auch nicht telefonisch erreichbar. Die Umlagenabrechnungen sind total undurchsichtig und für uns nicht nachvollziehbar. Die Wartung der Heizungsanlage wird nicht durchgeführt. Als im letzten Winter die Heizung ganz ausfiel, waren wir gezwungen, unsere Wohnung mit geöffnetem Backofen zu heizen. Wir zahlen monatlich Gebühren für einen Hausmeister, der sich hier aber so gut wie nie blicken läßt. Der ist angestellt von der AGV Atlantis und für mehrere Häuser zuständig.
Einmal hatten wir auch direkt Kontakt mit einem Mitarbeiter der Fa. AGV Atlantis. Ein Herr Riedl aus Hamburg kam unangemeldet und mit einem Baseballschläger bewaffnet, um sich die Wohnungen anzusehen. Die türkischen Kinder aus der Wohnung in der I. Etage sind verängstigt geflüchtet. Die hatten das für einen Überfall Rechtsradikaler gehalten. Wir haben daraufhin die Polizei alarmiert.
Gegenwind: Das heißt, daß die AGV Atlantis hier in Wilhelmshaven mehrere Häuser verwaltet?
Janßen: Ja, wir wissen von ca. 8 – 10 Mehrfamilienhäusern. Die AGV Atlantis übernimmt nach Verkauf der Eigentumswohnungen an auswärtige Käufer die Verwaltung der Häuser und der einzelnen Wohnungen. Die Wohnungen werden aber nicht von der AGV direkt, sondern durch einen zwischengeschalteten Makler vermietet. Die Fluktuation hier im Haus ist sehr hoch. Zum einen, weil ein großer Teil der Wohnungen im Grunde, – verursacht u. a. durch die Wasserschäden – eigentlich nicht zu vermieten sind. Zum anderen setzen uns die Makler völlig wahllos Mieter ins Haus, wo Auseinandersetzungen nicht ausbleiben können. Hier haben z.B. gleichzeitig türkische Mitbewohner, eine Punkerwohngemeinschaft und Skinheads gewohnt. Der AGV Atlantis kann es egal sein, wenn, wie jetzt zum Beispiel, sechs Wohnungen leer stehen. Der Mietausfall geht ja zu Lasten der Wohnungseigentümer. Bei jedem Mieterwechsel erhöht sich die Miete, und die eingeschaltete Maklerfirma kassiert erneut eine Provision.
Gegenwind: Wie reagieren die Mieter auf diese Zustände?
Janßen: Zunächst einmal lassen sich einige auf Vieles ein, weil sie Angst haben ihre Wohnung zu verlieren. Wir haben jetzt einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Auch einige andere Mieter sind zum Rechtsanwalt gegangen. Außerdem haben wir die jetzigen Wohnungseigentümer direkt angeschrieben. Die wußten gar nicht, in welch einem schlechten Zustand sich die Wohnungen befinden, die sie gekauft haben.
Gegenwind: Die Käufer der Wohnungen kommen nicht aus Wilhelmshaven?
Janßen: Nein, alle Wohnungen des Hauses Weserstr. 121 sind in der Gegend von Worms verkauft worden, zu einem Preis, der nach meinen Informationen bei ca. 1700,- DM pro qm liegen soll. Erst nachdem wir mit unserem Beschwerdeschreiben auf die katastrophalen Zustände hingewiesen haben, sind die Eigentümer in Wilhelmshaven erschienen, um sich ihr Eigentum genauer anzusehen.
Dieses „eigene Preisniveau“ kommt zustande, weil es skrupellosen Immobilienhaien immer wieder gelingt, baufällige Bruchbuden weit über ortsüblichem Preis an ahnungslose auswärtige Kapitalanleger scheibchenweise zu verkaufen. Unsere Vermutung, daß dabei die Käufer kräftig über den Tisch gezogen werden, wurde bestätigt durch die Informationen, die wir von einer auswärtigen Käuferin erhielten.
Der GEGENWIND sprach mit Frau Zöller aus Monsheim bei Worms, einer (nicht mehr ganz so) stolzen Eigentümerin einer Wohnung in der Weserstraße 121.
Gegenwind: Frau Zöller, Sie sind Eigentümerin einer Wohnung in der Weserstr. 121. Wie ist der Kauf dieser Wohnung zustande gekommen?
Zöller: Eine Firma „Rat und Tat“ hat uns hier in Worms Unterlagen von diesem Haus in Wilhelmshaven vorgelegt. Uns wurden Bilder gezeigt, da sehen die Häuser toll aus. Bei Kauf der Wohnung ist uns zugesichert worden, daß es sich bei dem Haus Weser-/Annenstr. um ein vollkommen saniertes Objekt handelt. Uns wurden auch Gutachten vorgelegt, aus denen hervorgeht, daß sich das Haus in einem guten Zustand befindet.
Gegenwind: Die Fa. „Rat und Tat“ war aber nicht Eigentümerin der angebotenen Häuser?
Zöller: Nein, die Firma „Rat und Tat“ hat die Wohnungen im Auftrage der Firma Immobilien Fricke verkauft. Im Kaufvertrag tritt dann aber eine Firma Turnier mit Sitz irgendwo in Norddeutschland als Verkäuferin auf. Das ist eine verworrene Sache. Mir kommt das heute wie eine Verschleierungstaktik vor.
Gegenwind: Die Verwaltung des Hauses ist aber weiterhin in den Händen der Firma AGV Atlantis?
Zöller: Ja, das ist auch schwierig, der AGV Atlantis die Hausverwaltung abzunehmen. Dazu müßten alle 21 Wohnungseigentümer zustimmen. Die Käufer haben auch keinen Einfluß darauf, an wen die Wohnungen vermietet werden. Der Verdacht, daß durch die hohe Mieterfluktuation nicht nur der eingeschaltete Makler, sondern auch die AGV Atlantis von den Provisionskosten profitiert, drängt sich natürlich auf. Wir haben auch Schwierigkeiten, unsere Miete zu bekommen. Die AGV kassiert die Mieten ein und leitet diese nur schleppend an uns Käufer weiter. Unsere Mieterin z.B. lebt von der Sozialhilfe, und ich kann mir nicht vorstellen, daß das Sozialamt die Miete unpünktlich überweist.
Gegenwind: Sie haben sich also auf die Ihnen vorgelegten Unterlagen verlassen und sich das Haus nicht selber angesehen?
Zöller: Die Käufer der Wohnungen stammen alle aus dem Raum Südwestdeutschland, schwerpunktmäßig aus Rheinland-Pfalz. Wir sind da alle sehr blauäugig drangegangen. Aber auch Mitarbeiter der Firma „Rat und Tat“ haben allein im Haus Annen-/Weserstr. drei Wohnungen gekauft. Die Firma existiert hier inzwischen nicht mehr. Der Geschäftsführer Karl Heinz Schneider, der hier die Verkäufe gemanagt hat, soll inzwischen im norddeutschen Raum in der Immobilienbranche tätig sein.
Gegenwind: Auf die katastrophalen Zustände in der Weserstr. 121 wurden Sie von den Mietern dort aufmerksam gemacht. Wie reagieren sie jetzt?
Zöller: Die Wohnungseigentümer haben einen neutralen Gutachter beauftragt. Dieser Gutachter soll den tatsächlichen Zustand des Hauses bei Kauf der Wohnungen 1992 ermitteln. Es geht darum, daß das Haus jetzt saniert wird. Wobei noch unklar ist, wer die Kosten übernehmen muß. Das Problem ist, daß da Eigentümer dabei sind, die bis zur Halskrause ausgereizt sind und jetzt nicht wissen, wie sie das Geld aufbringen sollen.
Die AGV Atlantis hat uns monatlich -,50 DM pro qm für Reparaturkosten von den Mieteinnahmen abgezogen.
Gegenwind: Von diesem Geld ist nichts in das Haus investiert worden?
Zöller: Nein, das einbehaltene Geld ist ja für die Renovierung des Gemeinschaftseigentum gedacht. Die Wohnungen sind Sondereigentum. Wenn für das Gemeinschaftseigentum Geld ausgegeben wird, also z.B. für die Dachsanierung, dann muß eine Eigentümerversammlung einberufen werden, die über die Verwendung des Geldes entscheidet. Bis vor kurzem sind wir ja noch davon ausgegangen, daß das Haus sich in einem sanierten Zustand befindet.
Ich habe übrigens dummerweise auch noch in der Weserstr. 136 eine Wohnung gekauft. Dieses Haus wird ebenfalls von der AGV Atlantis verwaltet. Die AGV hat jetzt die einmal pro Jahr gesetzlich vorgeschriebene Eigentümerversammlung am Freitag vor Pfingsten um 16 Uhr in Norderstedt einberufen. Ich vermute, dieser Termin wurde extra so gelegt, damit da möglichst keiner dran teilnehmen kann.
Es ist schwer zu fassen, wie leichtgläubig diese Käufer der Eigentumswohnungen, im kapitalistischen Fachjargon auch Kapitalanleger genannt, ihr Geld zum Fenster
rausschmeißen. Ernst Bloch hat einmal gesagt: „Man hat manchmal gar nicht genug Kopf zum Schütteln“. Der Leser mag im ersten Moment auch etwas Schadenfreude empfinden ob soviel Dummheit. Auf dem ersten Blick hauen sich da ja lediglich Kapitalbesitzer gegenseitig übers Ohr. Es trifft also keinen Armen? Mitnichten. Die Ware; mit der hier gehandelt wird, heißt Wohnraum. Und der wird bekanntlich immer knapper und damit teurer. Die geschädigten Käufer werden vermutlich langfristig versuchen, ihre eingebüßte. Rendite über Mieterhöhungen zurückzuholen. In Zeiten großer Wohnungsnot Werden diejenigen, deren Einkommen bei weitem nicht ausreicht, um Wohneigentum zur eigenen Nutzung anzuschaffen, doppelt und dreifach geschröpft von denen, die ihr Kapital steuerbegünstigt anlegen wollen und auch von denen, die Häuser und Wohnungen wie Spielmaterial beim Monopoly hin und herschieben. Kriminell ist das allenfalls in seinen Auswüchsen, ansonsten aber völlig legal im Rahmen und nach den Gesetzen unserer freien Marktwirtschaft.
Uwe Brams
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