Frust statt Lust
(ajü) Empfängnisverhütung –dieses Thema scheint ein alter Hut zu sein. Es gibt ja die Pille, die Spirale usw. usw. usw. Bloß – so einfach ist das alles gar nicht.
Ein Vormittag bei pro familia. Eine Schülergruppe – 15-17 Jahre alt – wartet auf Informationen über Empfängnisverhütung, ich bin zur Begleitung dabei. Die Ärztin beginnt mit ihrem Vortrag, ab und zu eine Frage von Schülern, die erste halbe Stunde plätschert so dahin. Viel Neues ist offenbar für diese Gruppe nicht dabei, interessant ist es trotzdem. Pille, Dreimonatsspritze, Spirale, Pille danach, Präservative, Ovula, Diaphragma, Coitus Interruptus – gleich ist Pause.
Ein Schüler hebt die Hand: „Dann ist ja wohl die Spirale von allem am praktischsten?“ Die Ärztin sieht ihn verständnislos an. „Ja, Sie haben doch eben gesagt, wenn eine Frau mit Spirale schwanger wird, dann ist das mit der Abtreibung nicht so umständlich, die ist dann doch gleich mit drin.“
Klick. Ich warte auf irgendeine Reaktion. Es kommt nichts, nicht einmal von den Mädchen. Die Frage scheint also sinnvoll. Die Ärztin weist auf die körperliche und vor allem die seelische Belastung hin, die eine Abtreibung für eine Frau bedeutet, aber das kann den Schüler -16- nicht so recht überzeugen. Für ihn überwiegt das pragmatische Argument.
Ich bin Sprach-los. Dann fällt mir ein, daß ich fast. dasselbe auch schon von einem guten Bekannten gehört habe: „Verhütung ist bei uns kein Problem. Meine Freundin hat eine Spirale, wenn sie schwanger wird, kann sie ohne Schwierigkeiten abtreiben.“
Die Ärztin bei pro familia führte die Frage des Schülers auf seine Unreife zurück – ist dieser Mann, Anfang 30, dann auch immer noch „unreif“? Ein bedauerlicher Einzelfall?
Wohl nicht. Und was sich hinter solchen „Männersätzen“ verbirgt, ist grundsätzliches Unverständnis gegenüber der Situation von Frauen.
Es war eben schon immer so, dass eine Frau ab etwa 13 dafür zu sorgen hat, daß sie nicht schwanger wird, wenn sie es nicht will. 30 -40 Jahre lang. Mann erkundigt sich immerhin vielleicht inzwischen schon „vorher“, ob frau denn auch wirklich verhüte, vielleicht sogar wie. Wie sollte es denn auch sonst sein?
Diese Frage stellt sich allen Ernstes – wie sonst? Und kann man/frau
Männern letztlich vorwerfen, dass sie zu derart frauen=menschenverachtenden Aussagen kommen?
Sie haben es nicht anders gelernt, oft sind sie dem ganzen Bereich Verhütung gegenüber hilflos und verbergen dies entweder hinter markigen Sprüchen oder verschieben das Problem auf kopflastige Diskussionen über Abhängigkeitsverhältnisse; oder sie maulen: „Wieso, ich zahl doch die Hälfte von der Pille…“
Die Pille kam vor 20 Jahren auf den Markt. Für Frauen. Was damals als Aufbruch in die Befreiung von allmonatlicher Angst oder nächtlichem Aufpaßkrampf gefeiert wurde, wird heute kritischer gesehen, und zwar auf mindestens 2 Ebenen: Zum einen sind da die sogenannten „Nebenwirkungen“. Das ist ein niedliches Wort für Krankheiten, die die neue große Freiheit gewaltig schmälern, z.B.: chronische Akne, Pilzbefall und Entzündungen, Haarausfall, Leberschäden, Depressionen, die zum Selbstmord führen können, erhöhte Anfälligkeit für Herzinfarkte, Störungen der Netzhaut bis zur Erblindung. All dies sind keine Hetzparolen feministischer Demagoginnen, sondern Erkenntnisse, die in der „Medical Tribune“ im letzten Jahr wieder und wieder von Männern – veröffentlicht wurden(nachzulesen in KONKRET,10/82).
Der andere „Effekt“ der Pille ist schwerer in den Griff zu kriegen: Seit 20 Jahren sind wir alle daran gewöhnt – worden – , daß Verhütung ein Frauenproblem ist. Das hat sich in einer Weise vollzogen, daß Männer und auch viele, viele Frauen sich gar nichts anderes vorstellen können. Die Pharma-Industrie und die Ärzte, Forschung und Praxis setzen immer wieder bei den Frauen an und gegen „Neben“-Wirkungen gibt’s ja wieder ein Medikament, und die Ärzte haben etwas zu behandeln. Ein perfekter Kreislauf für die Frauen, Männer bleiben außen vor, können allenfalls Anteilnehmen.
Wenn eine ganze Generation von Männern aufgewachsen ist mit dem Gefühl, daß sie von Verhütung nicht unmittelbar betroffen sind, dann kann man es dem einzelnen Mann oder Jungen zunächst nicht einmal verübeln, daß er die Spirale für so unheimlich praktisch hält – eine ganze Menge von „Neben“-Wirkungen fällt weg (was an neuen hinzukommt, füllt allerdings auch wieder Bücher – und Arztpraxen), und eine Abtreibung ist einfach zu organisieren. Daß sie nicht eine x-beliebige Operation wie Zähneziehen oder Blinddarm entfernen ist und daß sie selbst etwas damit zu tun haben – das ist für Männer wohl schwer zu verstehen. Die große Freiheit durch Pille und Spirale verkehrt sich in ihr zynisches Gegenteil: Freiheit von Mitfühlen, Mitdenken, Mitverantwortung, Freiheit vor allzuviel Nähe.
Eine Lösung dieses Problems kann ich natürlich auch nicht anbieten. In der Pille für den Mann will ich sie nicht sehen – wenn ich mich selbst dem unabsehbaren Einfluß von Hormonen nicht mehr aussetzen will, warum sollte ich es gut finden, wenn Männer das tun? Auch Sterilisation ist nur eine Scheinlösung; es ist ja auch kein medizinisches Problem. Und es ist auch wohl derzeit nicht zu lösen.
Aber weiterhin stillschweigend den Verhütungsfrust in zwei getrennten Lagern oder ganz alleine hin- und herzuwenden oder zu verdrängen das nützt nur der Pharma-Industrie und den Ärzten und läßt die Un-Menschlichkeit der zitierten Aussagen leise zur Norm wachsen.
Wie war das noch? „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ – das haben wir jetzt. „Das Bewußtsein bestimmt das Sein“ – das können wir uns ja schließlich mal vornehmen.
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