Eisenstein
Nov 212000
 

Volles Programm

Der Eisenstein: Ein Filmfestival, das sich gewaschen hat

(ft/iz) „Im Zeichen der Waschmaschine“ stand das diesjährige Wilhelmshavener Kurzfilmfestival. Das pfiffige Werbekonzept wurde dem individuellen Charakter und anspruchsvollen Niveau der Veranstaltung gerecht. Mit dem früheren Titel „Maritime Filmtage“ wurde auch der letzte Hauch eines provinziellen Shanty-Charakters abgestreift, und der „Eisenstein“ konnte sich zu einem Magneten für Fachwelt und Publikum mausern.

Das durchgängige Werbekonzept mit der Waschmaschine sprang uns im gesamten Stadtgebiet auf Postern, Karten, Programmheften (in Form eines Benutzerhandbuchs für Waschmaschinen) und Styropormodellen in Originalgröße ins Auge. Wer behauptet, er hätte nichts vom Filmfestival gewusst, muss tot sein oder ein Lügner.
Qualität hat natürlich ihren Preis, was sich unter anderem in den ausgelobten Preisgeldern niederschlug, die – dank mehrerer Sponsoren und des niedersächsischen Kultusministeriums – von 7.000 auf über 20.000 DM erhöht wurden. Peinlich aus dem Rahmen fiel dabei die EVC, die einen Ring aus Silber und PVC stiftete – ein seriöser Sponsor stellt sein eigenes Produkt nicht so in den Mittelpunkt.

Vorwäsche

Ganz zu Anfang stand die schwierige Arbeit der Vorjury, aus 351 Einsendungen 51 Wettbewerbs-Beiträge auszuwählen. Dabei bewies sie ein gutes Händchen, denn ihre Auswahl (in sieben gut durchmischten Blöcken aus Kurzspielfilmen, Dokumentar- und Animationsfilmen) kam sowohl beim Publikum als auch bei der Fachjury gut an.

Hauptwäsche

Bei der Preisverleihung wurde deutlich, dass die Fachjury sich nicht im „künstlerischen Elfenbeinturm“ verschanzt, sondern auch „Otto Normalgucker“ sich in den prämiierten Beiträgen wiederfindet. Das Kriterium der Auswahl hieß schlicht: „Welchen Film würde ich mir noch mal anschauen wollen?“
Die beiden Jugendjurys (Cäcilienschule bzw. SOS- Kinderdorf e.V.) sorgten für eine Überraschung. Beide entschieden sich unabhängig voneinander für den selben Favoriten. Die sogenannte „Spaßgeneration“ wählte Tom Zenkers „Hilflos“ auf den ersten Platz, einen Film, der drastisch den Konflikt zwischen einem Zivi und seinem Pflegefall dar- stellt. Die schauspielerische Leistung und das Thema, „das uns bald selbst angehen wird“, waren ausschlaggebend für diese Auswahl.
In der internen Gegenwind-Wertung erhielten 8 Filme das Prädikat „herausragend“ und 23 „gut“. Filme mit gesellschaftspolitischer Botschaft waren allerdings kaum ver- treten. Das heißt übrigens nicht, dass ein Film für uns immer eine „Botschaft“ haben muss, wie uns im Gespräch auch Prof. Hans Beller bestätigte: „Schon die Form kann die Botschaft sein“.
Herausragend in Zahl und Qualität waren für uns die französischen Beiträge, von denen zwei je einen der fünf Preise der Fachjury erhielten (neben zwei deutschen und einem englischen).

Sonderprogramme

Das Rahmenprogramm (Trashfilme, Videoclips, Workshops) war in diesem Jahr nicht so gut besucht wie die Wettbewerbsbeiträge selbst. Einen Höhepunkt bot der englische Filmprofessor Tony Hill, der einen begehbaren Film vorstellte und Film als das präsentierte, was er eigentlich ist, nämlich ein Spiel mit Licht. Sein bei der Eröffnung vorgeführtes Beispiel wirkte in der Aufführung allerdings eher semiprofessionell, was durch die Wiederholung bei der Abschlussveranstaltung auch nicht besser wurde.

Spülen und Abpumpen

Im Anschluss an die Preisverleihung hatten alle Beteiligten das Bedürfnis und die Möglichkeit, 4 aufregende Tage bei dem einen oder anderen Bier einfach sacken oder gemeinsam Revue passieren zu lassen.
Auf dieser „Backstage Party“ verriet uns Tom Zenker, dass er „Hilflos“ eigentlich nicht den Problemen Zivildienstleistender gewidmet hatte, sondern dem Thema „Krieg“, hier am Beispiel zweier Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Fähigkeiten (er begann das Drehbuch nach Ausbruch des Kosovo-Krieges). Zenker räumte uns gegenüber auch Debütantenfehler ein. So schien uns z. B. die Dramaturgie zu plakativ, bei den jugendlichen Juroren traf er wohl gerade damit ins Schwarze.
Wir plauderten auch mit Eisenstein-Preisträger Jan Peters, der vordergründig bedeutende Ereignisse verfilmt (in diesem Fall die Sonnenfinsternis August 1999), tatsächlich aber stets sich selbst – scheinbar naiv, nass-forsch und sympathisch – darstellt (Titel: „Ich bin 33″.). So ist Peters auch im richtigen Leben, und deswegen kommen seine Filme wohl so gut an, weil sie ehrlich und authentisch wirken.
Da die Fachjury keinen eindeutigen Favoriten hatte, teilte sich Peters den „Eisenstein“ mit dem Franzosen Philippe Dussol („Argent Content“). Dessen Beitrag zählte nicht nur künstlerisch zu unseren Favoriten, sondern auch wegen seiner augenzwinkernden Botschaft: „Filme zu drehen ist eine bessere Lebensperspektive als Bankräuber zu werden“, gewissermaßen als Motto des Festivals und Motivation für alle beteiligten jungen Filmemacher/innen.

Schleudergang

„Wilhelmshaven ist Oberhausen (dem renommiertesten deutschen Kurzfilmfestival, Anm. d. Red.) ein Stück näher gekommen“, so ein Experte. In diesem Sinne sparen wir uns – im Unterschied zu unseren Besprechungen der zurückliegenden Festivals – Unkenrufe bezüglich der Fortsetzung dieses lokalen wie nationalen kulturellen Glanzpunktes. Wer den „Eisenstein“ jetzt noch sterben lassen will, bei dem sind wohl die Heizstäbe bis zum Lochfraß verkalkt… q

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