Vom Segen der Chlorchemie
Was hat PVC mit Gesundheit zu tun?
(ft) Wo stünde die moderne Schulmedizin heute, gäbe es keine Katheter, Blutplasmabeutel oder Magenschläuche? Keine Frage, dass diese Produkte aus einem besonders leistungsfähigen Material sein müssen. Keine Frage, dass PVC ein Material ist, das diesen Anforderungen entspricht. Die „Gesundheitskasse“ AOK bietet dem PVC-Hersteller European Vinyls Corporation (EVC), vormals ICI, eine Plattform für eine Ausstellung, die PVC-Produkte in Medizin und Freizeit preist.
Würde sich die EVC-Ausstellung auf diese Produkte beschränken, wäre der Gegenwindartikel jetzt zu Ende. Doch die PVC-Industrie nutzt eine solche Ausstellung natürlich auch, um weitere „Errungenschaften“ der Chlorchemie zu vermarkten. Gut verpackt („Wir lassen ihr Kind nicht ertrinken“) wird für Schwimmflügel, Strandsandalen, Gummiboote und alles, was beim Urlaub am Wasser oder im Schwimmbad Spaß macht, geworben. Zusätzlich werden zwei große aufblasbare PVC-Herzen, gesponsert von der Firma „Elco!“, ausgestellt.
Der Gegenwind sprach mit Marko Konrad, Sprecher der Wilhelmshavener Greenpeacegruppe über den Sinn und Unsinn der Chlorchemie.
Gegenwind: Marko, was haltet ihr von der Ausstellung?
Marko Konrad: Von einer Krankenkasse, die sich lieber als Gesundheitskasse darstellt, habe ich, als ich das erste Mal von der Ausstellung gehört habe, eine etwas kritischere Betrachtung des Themas „PVC“ erwartet. Auch der AOK sollte die langjährige Diskussion um einen der umstrittensten Produkte unserer Industriegesellschaft nicht entgangen sein. Hätte man sich bei dieser Ausstellung auf den medizinischen Bereich konzentriert, selbst dann hätte man die Besucher objektiv auch auf die negativen Seiten aufmerksam machen müssen. PVC ist in allen seinen „Daseinsschritten“ bedenklich, ja sogar gesundheitsschädlich und gefährlich.
Was ist denn an PVC so gefährlich?
Um PVC herzustellen, wird Chlor benötigt; Chlor wurde im 1.Weltkrieg bekanntlich als Kampfgas eingesetzt. Bei Transport- und Produktionsunfällen mit dieser Risikochemikalie drohen Giftgaskatastrophen. Das PVC-Vorprodukt Vinylchlorid ist ein explosives, Krebs erregendes Gas. Während der Herstellung und Verarbeitung blasen die PVC-Werke jährlich mehrere Hundertmehrere hundert Tonnen Vinylchlorid in die Luft und gefährden so Arbeiter und Anwohner. Außerdem entstehen als PVC-Nebenprodukte rund 40 000 Tonnen chlororganischer Giftmüll und krebserregende Dioxine, die zum TKrebs erregendeeil über Schornsteine und Abwasserrohre in die Umwelt gelangen.
Reines PVC ist spröde, licht- und hitzeempfindlich. Erst durch eine Vielzahl von Zusatzstoffen lässt sich der Kunststoff einsetzen. Damit PVC der UV-Strahlung standhält, müssen die Produzenten gefährliche Schwermetallverbindungen zusetzen. Für Produkte aus Weich-PVC wie Bodenbeläge, Folien und Kabel wird meist Di(ethylhexyl)-pthalat als Zusatzstoff, bekannt unter der Kurzformel DEHP, verwandt. Dieser Weichmacher dünstet allmählich aus dem PVC aus. DEHP lässt sich bereits in der Umwelt und auch im menschlichen Körper nachweisen. Es steht im Verdacht, Krebs erregend zu sein.
Gibt es Alternativen zu PVC?
Früher gab es für viele medizinische Produkte nur die Variante aus PVC. Inzwischen können für viele Anwendungen PVC-freie Alternativen eingesetzt werden. Untersuchungshandschuhe beispielsweise können in den meisten Fällen, Katheter oft und Infusionsbeutel zum Teil aus PVC-freien Materialien hergestellt werden. Über die anderen Produkte, die in der AOK/EVC-Ausstellung angepriesen werden, wie z.B. Schwimmflügel, Puppen, Bälle, Spielzeug, braucht man gar nicht zu diskutieren. Hier ist alles ausnahmslos PVC-frei zu ersetzen. Ja, es ist fast schon kriminell, Kleinkinder den ausdünstenden Weichmachern auszusetzen.
Wer ökologisch bewusst einkauft, der muss meist tiefer in die Tasche greifen. Wie ist es mit den Alternativen?
Leider ist es richtig, dass Alternativen in der Anschaffung meist teurer sind. In die Gesamtbilanz muss man jedoch noch andere Faktoren mit einbeziehen. PVC ist hochsubventioniert und unökonomisch. Die 20 Chlorküchen in Deutschland sind Energieverschwender, sie verschlingen so viel Strom wie 40 Städte mit je 100.000 Einwohnern. Pro Kilowattstunde zahlt die Chlorindustrie nur ca. fünf Pfennige! Dumpingpreise, die durch etwa 10fach höhere Tarife für Kleinkunden subventioniert werden.
Bei der Müllverbrennung von einem Kilogramm PVC entsteht 1,6 Kilogramm stark ätzende Salzsäure. Die Neutralisation der Säure und die Deponierung der dabei entstehenden Salze verschlingen bis zu 1,50 Mark pro Kilogramm PVC – das anderthalbfache des Produktpreises von PVC, das trotz aller Folgekosten für knapp eine Mark pro Kilogramm zu haben ist. Pro Jahr müssen – mit steigender Tendenz – rund 400.000 Tonnen PVC „entsorgt“ werden. Die Zeche zahlen – über die Müllgebühren – die Verbraucher.
Ein so billiges Produkt spricht in Zeiten, in denen die Krankenkassen ans Sparen denken, für PVC?
Diese Rechnung geht so nicht auf. Wie ich schon gesagt habe, haben wir es hier mit Stoffen wie z.B. Chlorgas, Vinylchlorid, Weichmachern und Schwermetallen zu tun, die auf verschiedenste Weise gesundheitsschädlich sind. Nicht zu vergessen die Dioxine, die bei der Verbrennung von PVC entstehen können und stark Krebs erregend sind. Man kann also davon ausgehen, dass den Krankenkassen erhebliche Kosten entstehen, die auf das Konto von PVC gehen.
Von der AOK hätte ich auf jeden Fall eine Ausstellung erwartet, die sich gegen PVC richtet – nicht nur aus finanzieller Sicht. Mit einem Aufruf zum PVC-Verzicht hätte man sich für die Gesundheit der Versicherten einsetzen können und sich zu Recht Gesundheitskasse nennen können.
Wir danken Dir für das Gespräch.
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