Alles wird gut!?
SPD-Veranstaltung in Hooksiel zur Chemieerweiterung
(hk) Hooksiel gehörte zu den Keimzellen des Widerstands gegen die Ansiedlung des ICI-Werks vor ca. 25 Jahren. Damals gehörte Dietrich Gabbey zu den Wortführern, die mit fachlicher Kompetenz die ICI das Fürchten lehrten.
Auch heute gehört Gabbey wieder zu den Wortführern der Gemeinde Wangerland – doch die Zielsetzung hat sich da etwas geändert. Das wurde auf einer Veranstaltung der wangerländischen SPD Ende Juni deutlich.
Gabbey referierte in gewohnt sachlicher Art die Planungen der Ineos auf dem Voslapper Groden. Doch im Gegensatz zu früheren Jahren kam der ehemalige Wangerländer Bürgermeister richtig ins Schwärmen, wenn es um die Planungen der chemischen Industrie in Wilhelmshavens Norden oder um den immer wieder ins Gespräch kommenden JadeWeserPort ging („Das wird alles in den Schatten stellen“).
Auch über die Vertreter der Ineos, Hans-Peter Kramer und Carl Vercauteren, fand Gabbey nur gute Worte – kompetent, sympathisch und kooperativ.
1. Ethylen-Pipeline – Vernetzung des Standortes Wilhelmshaven mit dem westfälischen Marl und damit auch mit den Chemiestandorten im Westen Europas. Warum nun dieser Verbund für den Standort Wilhelmshaven von Bedeutung sein soll, wird nicht ersichtlich – für den hier zur PVC-Produktion benötigten Ethylen-Anteil wird eine solche Pipelineverbindung jedenfalls nicht benötigt. Da geht es wohl mehr um den Export von hier erzeugtem Ethylen.
2. Ethylen-Cracker – In dieser Anlage soll Benzin gecrackt werden – als ein Produkt gibt es dann das in der chemischen Industrie so begehrte Ethylen. In Wilhelmshaven besteht allerdings keine Notwendigkeit, eine solche Anlage zu bauen – die für den PVC-Produktionsprozess benötigten Mengen wurden bisher in kleinen Tankschiffen über die ICI-Brücke angelandet.
3. Chlorfabrik – Nach den Planungen der Ineos soll auf dem Voslapper Groden eine Chlorfabrik entstehen. Dadurch wird die bisherige Chlorgasfabrik auf dem Rüstersieler Groden, die durch eine 11 Kilometer lange Pipeline mit der Voslapper PVC-Fabrik verbunden ist, überflüssig. Die neue Chlorfabrik wird nach dem Chlor-Membran-Verfahren arbeiten – es entsteht also nicht mehr das hochgiftige Chlorgas, wie es jetzt noch in den Hallen des ehemaligen Alusuisse-Werkes geschieht. Ein weiterer Vorteil des neuen Verfahrens ist, dass kein Quecksilber mehr als Katalysator benötigt wird. Das ist der einzige positive Gesichtspunkt bei der ganzen Planung: Die Giftküche der Alusuisse wird endgültig aus der Nähe Rüstersiels verschwinden und mit ihr auch noch die Chlorgasleitung!
4. Letztendlich soll dann auch die PVC-Produktion erhöht werden – auf wie viel Tonnen, ist allerdings noch nicht öffentlich bekannt geworden.
Dieses ganze Paket soll durch Investitionen seitens Ineos in Höhe von ca. 1 Milliarde Euro realisiert werden. Unbekannt ist noch der Anteil, den Ineos für diese Maßnahmen aus den verschiedenen Fördertöpfen einsacken wird, er wird aber nicht unerheblich sein.
Ungeklärt bleibt weiterhin die Frage der Energiekosten. Da wird Ineos wohl auch noch weiterhin hoch pokern, um den einen oder anderen Tausender zu sparen.
In diese Diskussion passt auch der Plan, auf dem Gelände der zur e.on gehörenden DFTG (siehe Plan) ein Kraftwerk zu errichten. Vorteilhaft wäre eine solche produktionsnahe Stromerzeugung u.a. wegen möglicher Synergieeffekte (z.B. Kraft-Wärme-Kopplung).
Als Letztes ging Dietrich Gabbey noch auf den geplanten JadeWeserPort ein. Auch bei ihm war hier die schon aus der Wilhelmshavener SPD bekannte Euphorie vorhanden. „Alles wird gut“ könnte man seine Stellungnahme dazu beschreiben. Dass es sich meist um Wunschdenken handelt, dass die Entwicklung auch ganz anders verlaufen kann (siehe Containerterminal Bremerhaven), wird einfach vom Tisch gewischt. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Die Beiträge der ebenfalls anwesenden SPD-Bundestagsabgeordneten Karin Evers-Meyer reduzierten sich auf ein ständig lächelndes Kopfnicken und den Hinweis darauf, dass das Nebeneinander von Industrie, Hafenwirtschaft und Freizeitaktivitäten in Rotterdam vorzüglich klappt. „Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht selber gesehen hätte.“
Gabbey machte die vom Willen nach einem guten Neben- und Miteinander geprägte Position Wangerlands mit einem Satz deutlich: Wenn die Industrie den von uns geforderten Abstand einhält, gibt es keine Probleme! Eine Einschränkung machte er allerdings in Bezug auf den Bau eines Kraftwerkes auf dem DFTG-Gelände: „Wir wollen in Hooksiel keine Situation, wie wir sie vom Geniusstrand in Wilhelmshaven kennen.“
Klar stellte Gabbey, dass die Erweiterungspläne der Wilhelmshavener Industrie die Entwicklung und den Tourismus in Wangerland nicht beeinträchtigen dürfen. Gleichzeitig machte er jedoch auch klar, dass die Interessen Wangerlands sich nicht gegen die Entwicklungspläne der Industrie richten dürfen. „Jeder muss seine Entwicklungschancen haben!“
Dieser Spagat ist nach Meinung Gabbeys möglich, wenn die Industrie die Abstände zum Erholungsgebiet Hooksiel auf Wilhelmshavener Boden ausweitet. „Auf dem Gelände ist genügend Platz vorhanden. Die kritischen Anlagen können weiter südlich in den Bereich in Höhe der Ethylentanks gebaut werden.“
Mehrmals unterstrich Gabbey, dass bei einer Ausweitung der Abstände, so wie es die Gemeinde vorgeschlagen hat, keine Probleme zu erwarten seien.
Gefragt, was denn geschieht, wenn Ineos nicht mit sich reden lässt, machte Gabbey allerdings auch klar, dass dann alle Register gezogen werden, um den Schutz der Erholungsflächen zu garantieren. „Die Gemeinde Wangerland wird dann gemeinsam mit den Nachbargemeinden alle Schritte, inklusive einer Klage, einleiten.“ Gabbey geht allerdings nicht davon aus, dass es dazu kommen wird. Dafür war sein Eindruck in den bisherigen Gesprächen zu positiv.
Nach dem Vortrag von Dietrich Gabbey ging es dann in die Diskussion mit den ca. 50 Anwesenden, zumeist Mitglieder der SPD, aber auch einige Ineos-Mitarbeiter.
Hier wurde schnell klar, dass zwischen den Ausführungen Gabbeys und der Meinung der Basis doch Welten, wenn auch kleine, liegen.
Die meisten Diskutanten machten deutlich, dass es keinen Grund gäbe, den seit Jahrzehnten immer gleichen Versprechungen der Industrie und Politik plötzlich Glauben zu schenken. Am Beispiel der Arbeitsplätze mussten Evers-Meyer und Gabbey dann auch schon einen Eiertanz aufführen: „Die Zahl der Arbeitsplätze ist nicht das Maß der Dinge – die Zukunft wird es bringen.“ (Gabbey) oder „Die Arbeitsplätze entstehen in der zweiten Linie – Auspacken und Reparieren der Container – das wird es in Zukunft geben.“ (Evers-Meyer)
Damit gaben sich die Diskussionsteilnehmer zwar nicht zufrieden („Was haben wir davon, wenn Arbeitsplätze in der Chemie entstehen, in der Tourismusindustrie diese aber vernichtet werden?“), aber in der Sozialdemokratie setzt man mit aller Macht aufs Prinzip Hoffnung – man hat ja sonst nichts.
Erstaunlich war auch die Tatsache, dass Gabbey dem Immissionsschutz nur einen geringen Stellenwert einräumte, weil seiner Meinung nach die Systeme heute so gut sind, dass keine Schadstoffe mehr ausgestoßen werden. Und für Störfälle und den Schutz vor Störfällen sind andere zuständig. Da könne die Gemeinde nur der Genehmigungsbehörde vertrauen.
Die Erweiterungen der Ineos-Anlagen sind noch Zukunftsmusik (obwohl man noch in diesem Jahr beginnen will) – und die Hooksieler haben im Moment auch ganz andere Sorgen: das ständige und nervtötende Knallen vom Tontaubenschießplatz südwestlich der Mülldeponie!
Die Bürgerinnen und Bürger aus Wilhelmshaven und Wangerland sollten sich nicht darauf verlassen, dass alles seinen ordentlichen Gang gehen wird.
Es gibt für die Bürgerinnen und Bürger keinen Grund, den Ausführungen der chemischen Industrie Glauben zu schenken. Die Gefahren, die von solchen Anlagen ausgehen, dürfen nicht unterschätzt werden. Die allseits beliebte Strategie, die mögliche Gefährdung durch Chemieanlagen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen wettzumachen, darf nicht dazu führen, dass man sich damit zufrieden gibt, was die Industrie anbietet.
Es gibt für die Bürgerinnen und Bürger in der Umgebung des Ineos-Werkes keinen einsehbaren Grund, auf die Genehmigungsbehörde zu vertrauen. Wer sich an die Auseinandersetzungen vor 25 Jahren anlässlich der ICI-Ansiedlung erinnert, wird dieses nur bestätigen können.
Es gibt für die Bürgerinnen und Bürger auch keinen Grund, den Vertretern der Gemeinde Wangerland oder der Stadt Wilhelmshaven zu vertrauen. Da geht es schon im Vorfeld um Bedingungen, für die man sich den Widerstand wohl abkaufen lassen würde (Sand für Hooksiels Strand, Bau einer Flutmole, Neubau des Vorhafens …).
Der einzig gangbare Weg, wirklich Einfluss auf die Realisierung der Anlagen zu nehmen, ist der Zusammenschluss in Bürgerinitiativen. Nur so kann das benötigte Geld für die Prüfung der Antragsunterlagen, für alternative Gefährdungsgutachten usw. zusammenkommen. Oder ist man wirklich bereit, den Gutachtern von Ineos oder der Landesregierung zu glauben? Wohl kaum!
Die geplanten Anlagen liegen weit weg von Wilhelmshavens Wohnbebauung, sie liegen aber nur einen Steinwurf von den Freizeiteinrichtungen und von den Ferienwohnungen und Pensionen Hooksiels entfernt. Der Bau eines Kraftwerks wird ernsthaft in Erwägung gezogen. Entsprechende Anfragen liegen vor und zumindest einige Politikerinnen wissen da auch schon Konkreteres. Dass sich das Gelände der DFTG dafür bestens eignet, steht außer Frage, dass das Gelände der DFTG allerdings nur wenige Schritte vom Hooksieler Strand liegt, steht ebenfalls außer Frage. Und was das für die Tourismusindustrie bedeutet, bedarf keiner langwierigen Erörterungen.
Doch auch ohne Kraftwerk muss das gesamte Vorhaben kritisch betrachtet werden. Es geht ja nicht darum, eine erhöhte Nachfrage auf dem PVC- bzw. Ethylen-Markt zu befriedigen – die gibt es nämlich nicht. Es geht nur darum, im Konkurrenzkampf eine bessere Ausgangsposition zu erreichen. Denn ein technisch neues Werk hat logischerweise mehr Vorteile als eine Anlage aus den 60er oder 70er Jahren.
Bezahlt wird dieser Kampf mit dem Verlust von Arbeitsplätzen an anderen Standorten, dem Verlust von Freizeitwerten in der Umgebung und der Erhöhung der Gefahren für die Umwelt durch eine expandierende Industrie.
Hannes Klöpper
Dokumentation:
Presseerklärung der niedersächsischen Staatskanzlei
HANNOVER. Jim Ratcliffe, Chef des britischen Chemiekonzerns Ineos, hat heute der Niedersächsischen Landesregierung in Hannover das geplante Investitionsvorhaben seines Konzerns in Wilhelmshaven vorgestellt. Der international tätige Konzern erwägt den Ausbau seines Wilhelmshavener Chemie-Standortes mit einem Gesamtvolumen von bis zu einer Milliarde Euro. Ineos hat heute gegenüber Ministerpräsident Christian Wulff und Wirtschaftsminister Walter Hirche den Start einer detaillierten Pre-Engineering-Studie in der Größenordung von rund 15 bis 20 Millionen Euro zugesichert. „Das ist eine große Perspektive für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen und ein wesentlicher Schritt zur Umsetzung des Vorhabens“, erklärten Wulff und Hirche.
Beim heutigen Treffen im Gästehaus der Landesregierung würdigte Jim Ratcliffe das Engagement des Landes für die Ausbaupläne in Wilhelmshaven. Mit einer gemeinsamen Erklärung des Landes Niedersachsen und der Bundesregierung über eine finanzielle Unterstützung des Vorhabens ist das Projekt ein großes Stück vorangekommen. Ministerpräsident Wulff hatte diese Erklärung Anfang Mai an Ineos-Chef Ratcliffe übersandt. Es soll nun kurzfristig mit den Vorarbeiten für das Projekt begonnen werden. Ergebnisse der detaillierten Pre-Engineering-Studie werden in etwa einem halben Jahr erwartet. Wenn die Studie erfolgreich ist, wird anschließend unmittelbar mit dem Bau begonnen.
Ineos beabsichtigt bis 2008 die Errichtung einer neuen Chlorelektrolyseanlage und eines Ethancrackers, die Erweiterung der PVC-Produktion und den Bau einer rund 275 Kilometer langen Ethylen-Pipeline von Wilhelmshaven ins nordrhein-westfälische Marl. Mit diesen Investitionen wäre die Sicherung von etwa 360 vorhandenen Arbeitsplätzen und die Schaffung von rund 300 weiteren direkten Arbeitsplätzen verbunden. Hirche: „Wir rechnen außerdem mit beachtlichen indirekten Beschäftigungseffekten.“ Zudem werde das Projekt weitere Folgeinvestitionen auslösen, etwa von Energielieferanten. Diese dürften sich auf bis zu einer halben Milliarde Euro addieren.
Ministerpräsident Wulff und Wirtschaftsminister Hirche betonen die enorme Bedeutung des Projektes für die Nordwestregion Niedersachsens und die langfristige Sicherung und den Ausbau des Chemiestandortes Norddeutschland. „Der Start der Pre-Engineering-Studie ist ein gutes Signal für unser Land. Das Gesamtprojekt würde zu den weltweit größten Chemie-Engagements zählen“, sagte Wulff. Die Landesregierung hat zur weiteren zügigen Begleitung und Koordinierung des Projektes einen Arbeitsstab eingerichtet.
Der international tätige Spezialchemiehersteller Ineos beschäftigt insgesamt 9.000 Mitarbeiter und verbuchte in 2004 einen Umsatz von rund 6 Milliarden Euro. Jim Dawson von Ineos Capital und die Geschäftsführer der Wilhelmshavener Ineos-Gesellschaften, Carl Vercauteren und Hans-Peter Kramer, haben Ineos-Chef Ratcliffe nach Hannover begleitet.
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