Ratssplitter
Jan 122000
 

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November / Dezember 1999

Schlechte Stilnoten

müssen wir an „unsere“ Ratsmitglieder insbesondere von der SPD verteilen. Regelmäßig werden Beiträge der anderen Fraktionen, sofern sie nicht der eigenen Argumentation entsprechen, durch Zwischenrufe, niveaulose Witzchen und Gelächter kommentiert. Dabei geht es doch um gar nichts. Die eigentlichen Beschlüsse werden in den Fach- und Verwaltungsausschußsitzungen diskutiert und gefasst und vom Rat nur formal abgesegnet. Für wen wird dann das schlechte Kabarett veranstaltet? Für die zwei bis drei anwesenden PressevertreterInnen, in dem Glauben, die würden dafür in den Berichten Humor- oder Spannungspunkte verteilen? Oder hält man die anwesenden BürgerInnen für so primitiv, dass die darüber lachen, statt sich dafür zu schämen, wem sie ihre Stimme gegeben haben? Oder um Bonmots für den nächsten Fraktionsstammtisch zu sammeln?
Eigentlich wäre der Ratsvorsitzende (Oberbürgermeister) dafür verantwortlich, die Sitzungen sachlich zu moderieren. Als Sitzungsleiter soll er unparteiisch sein, weshalb er auch keine Beiträge zur Debatte liefern darf; andernfalls muss er die Leitung zwischendurch seinem Vertreter übertragen. Dieser Rolle wird Menzel nicht gerecht. Vergeblich wartet man, dass er seine unhöflichen Parteigenossen mal zurückpfeift, von eigenen Entgleisungen ganz zu schweigen.

Geschäftsordnung I

Etwa fünfzig BewohnerInnen der städtischen Altenheime (Lindenhof und Karl-Hinrichs-Stift) waren zur Novembersitzung des Rates erschienen: Auf der Tagesordnung stand der Beschluss über die 9prozentige Anhebung der Tagessätze für Heimbewohner. Die meisten waren zum ersten Mal bei einer Ratssitzung, Verunsicherung bis Angst hatten sie bewogen, diese körperliche und seelische Anstrengung auf sich zu nehmen. Als VertreterInnen der CDU gegen die Erhöhung argumentierten, entluden sich die Gefühle unserer alten MitbürgerInnen in spontanem Applaus. Worauf sie von „ihrem“ Oberbürgermeister mit Grabesstimme zur Ordnung gerufen: „Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass laut unserer Geschäftsordnung Beifalls- oder Missfallensbekundungen nicht zulässig sind.“ Daraufhin ward aus dem Zuschauerraum nichts mehr gehört. In der Sache mochte der OB zwar recht haben, aber mit einem bisschen Einfühlungsvermögen, wer da oben sitzt und in welcher Stimmung, hätte er das auch anders ausdrücken können, freundlich und als Bitte geäußert.
Als vor einigen Jahren ein Beschluss über die Kürzung von Zuschüssen für Kindergärten anstand, saßen die Betroffenen nicht brav im Zuschauerraum, sondern lärmten quer durch den Ratssaal. Sie bekamen keinen Anschiss, freundlich lächelnd wurden Luftballons mit Forderungen von den Ratsmitgliedern entgegengenommen.
Richtet sich die Freundlichkeit, der Ermessensspielraum danach, wie lange man noch als potentieller Wähler interessant ist?

Geschäftsordnung II

Für den eifrigen Hüter der Geschäftsordnung selbst scheint diese nicht immer zu gelten. Der OB hat darauf zu achten, dass Anträge zur Geschäftsordnung vor dem eigentlichen Tagesordnungspunkt abgehandelt bzw. Fragen an die Verwaltung, die für den Beschluss relevant sind, beantwortet werden. Solche Anträge bzw. Fragen seitens der Opposition wurden gleich mehrfach „übersehen“, bis die Betroffenen ihr Anliegen lautstark einforderten. Nun kann bei einer dreieinhalbstündigen Ratssitzung dem Vorsitzenden schon mal was durchgehen, er kann sich dann dafür entschuldigen und für den Hinweis bedanken, das Versäumte nachholen und gut. Statt dessen ernteten die Betroffenen noch Hohn und Spott wie „ja, das kommt davon, wenn man solche Zusatzanträge nicht vorher schriftlich einreicht“. Bah, eigentlich reicht es mit unserer zwischen-den-Zeilen-Berichterstattung aus dem Rat, wäre da nicht noch die

Bürgersprechstunde

Diese dauert in der Regel etwa 5 Minuten und ist ans Ende der Ratssitzung gehängt. Ob das der politischen Bildung der Fragewilligen dienen soll, die zwangsläufig die ganze Sitzung verfolgen müssen, oder ob man hofft, dass sie mangels Sitzfleisch gefrustet vorher aufgeben, ist uns nicht bekannt.
Ein Mitglied der Bürgerinitiative gegen den Jade-Weser-Port hatte jedenfalls geduldig auf die Gelegenheit gewartet, um kurz und sachlich folgende Fragen zu formulieren:
1. „Was waren die Grundlagen für den einstimmigen Ratsbeschluss für den Jadeport 1998?“ OB Menzel: „Die damals vorliegenden Erkenntnisse und Überzeugungen.“ Hm. Na, gut, zweiter Versuch: „Worauf basierten die denn aber?“ Völlig klar, der Bürger wollte wissen, mit welchen Expertisen, Berichten etc. sich die Ratsleute vor diesem einschneidenden Beschluss intensiv befasst hatten. Es blieb bei Antwort eins, also keine wirkliche Antwort und damit doch eine sehr deutliche, erschreckende Antwort.
2. „Wieviel Gewerbesteuer erhält die Stadt von den Betrieben im Voslapper Groden?“ Kämmerer Frank: „Das ist im Interesse dieser Betrieb genau so geheim wie Ihre Lohnsteuer.“ Aha. Immerhin: „Die gesamte Gewerbesteuer für Wilhelmshaven beträgt 30 Mio DM jährlich.“ Die vermutliche Anschlussfrage, mit welche zusätzlichen Einnahmen aus dem Jadeport man rechnete, hatte sich damit erübrigt. (Anm. d. Redaktion: Das Gros der Gewerbesteuer erhält die Kommune, an der sich der Firmensitz befindet – für EVC z. B. Frankfurt- und nicht der Betriebsstandort. Da am Jadeport Güter nur umgeschlagen, aber nichts produziert würde, wäre der warme Regen nicht so ergiebig, wie es für die Stadt wünschenswert wäre.
3. „Der Widerstand in der Wilhelmshavener Bevölkerung gegen den Jadeport wird immer stärker.“ (Lautes Hohngelächter von Ratsfrau Aljets). „Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen für eine Volksbefragung?“ Der in der Tat kompetente Rechtsamtsleiter Stoffers hätte den Bürger fairerweise gewohnt kurz und prägnant über die Rahmenbedingungen eines Bürgerbegehrens (so heißt es richtig) aufklären können. Doch dazu ließ man ihn gar nicht kommen. Dezernent Frank: „Die Freizeitmöglichkeiten werden, wenn der Jadeport gebaut wird, so verlagert, dass keiner darunter leidet.“ Dann wurde der Bürger noch auf die niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) verwiesen. Da steht zwar in der Tat alles drin, ist aber so kompliziert, dass der Normalbürger ohne eine juristische Beratung kaum Erfolg hätte. Und das soll er ja auch nicht. (iz)

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