Oberbürgermeister Menzel diskreditiert Friedensbewegung
(hk) Am 2. Januar 2002 liefen die ersten Kriegsschiffe von Wilhelmshaven in Richtung ostafrikanischer Küste aus. Wenige Tage vorher, am 29. Dezember 2001, demonstrierten in Wilhelmshaven knapp 100 Menschen gegen den Krieg in Afghanistan und gegen die Beteiligung deutscher Truppen an diesem Krieg. Rednerin auf der Abschlussveranstaltung vor dem Werfttor war Elisa Kauffeld – ein Urgestein der Friedensbewegung.
23 Jahre Krieg in Afghanistan! Kann man Zerstörung noch zerstören? In diesem geschundenen Land können nur noch die Menschen zerstört werden.
Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy sagte in einem ihrer Bücher: „Nichts kann eine terroristische Tat entschuldigen oder rechtfertigen, unabhängig davon, ob sie durch religiöse Fundamentalisten, private Milizen begangen wurde oder ob sie als Vergeltungskrieg einer anerkannten Regierung verkleidet wird. Die Bombardierung Afghanistans ist keine Rache für New York oder Washington. Sie ist eine weitere Tat des Terrors gegen die Menschen dieser Welt. Jede unschuldige Person, die getötet wird, muss dem grauenvollen Blutzoll der Zivilisten, die in New York und Washington starben, hinzugefügt und nicht mit ihnen verrechnet werden.“
Krieg ist Terror. Deswegen kann Krieg den Terrorismus nicht bekämpfen.
George W. Bush in seiner Rede im FBI-Hauptquartier: „Dies ist unsere Berufung der freiesten Nation der Welt, einer Nation, die gebaut ist auf grundlegende Werte, die Hass ablehnt, Gewalt ablehnt, Mörder und das Böse ablehnt.“
Und diese friedliebenden Nationen, zu denen wir seit diesem Jahr auch gehören, werden den nächsten Schurkenstaat finden, den sie als nächstes bombardieren können, um ihre Rüstungsindustrie am Arbeiten zu halten und – egal um welchen Preis – sich die Öl- und Erdgasvorräte zu sichern. Denn das war der Grund des lange geplanten Krieges gegen Afghanistan. Die Terrorattentate in New York und Washington haben die Sache nur beschleunigt.
Madeleine Albright sagte 1996 zu der Tatsache, dass 500.000 irakische Kinder infolge des Wirtschaftsembargos gestorben sind: „Alles in allem ist der Preis für diese Sanktionen nicht zu hoch gewesen.“ Dieses Embargo ist immer noch in Kraft und noch immer sterben Kinder an den Folgen, weil benötigte Lebensmittel und Medikamente nicht ins Land hineingelassen werden.
„Grenzenlose Gerechtigkeit“ hat George W. Bush den Krieg gegen den Terrorismus genannt. Wie viel tote Iraker sind für mehr Gerechtigkeit notwendig? Wie viele tote Afghanen für jeden US-Amerikaner? Wie viele tote Frauen für einen Mann? Wie viele Mudschaheddin für einen Investmentbanker?
Was alles fällt dem Sparzwang des Finanzministers zum Opfer! Zum Beispiel müssen die 0,7% des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe „schrittweise“ zusammengeklaubt werden, aber für den Krieg gegen den Terrorismus sind 3 Milliarden DM pro Jahr problemlos verfügbar!
Nun möchte ich mich an die Soldatinnen und Soldaten, die dem Befehl zum Kriegseinsatz folgen wollen, wenden. Ich bin eine alte Frau, die zwei Weltkriege von „unten“ erlebt hat. Ich weiß, was die Bomben und die Artillerie anrichten, ich weiß, wie es Flüchtlingen, die ihr nacktes Leben zu retten versuchen, zumute ist.
Der Bundestag hat am 16. November beschlossen, 3.900 Soldaten für einen Kriegseinsatz mit unbekanntem Ziel bereitzustellen.
Der Bundestagsbeschluss ist grundgesetzwidrig. Der 27. Richterratschlag hat am 3./4. November erklärt: „Deutschland darf sich an einem völkerrechtswidrigen Krieg nicht beteiligen.“ Nach dem Völkerrecht darf Terror nicht mit Krieg beantwortet werden. Die Anschläge sind keinem Staat zurechenbar.
Krieg ist keine Lösung – er fordert nur neue Opfer.
Soldatinnen und Soldaten, ich möchte Sie auffordern, Ihren Einsatz zu überdenken. Wogegen wird Krieg geführt? Ist es gegen den Terrorismus, dann nützt er nichts, denn die Terroristen ziehen von einem Land ins andere. Wird Krieg wegen Öl und anderen Bodenschätzen geführt? Dann ist fairer Handel effektiver und ehrlicher. Wird Krieg etwa für die Rüstungsindustrie geführt, dann wäre Konversion ökonomischer, anständiger und sinnvoller.
Ihre Elisa Kauffeld, Friedensfreundin, die diesen Weg aus den Erfahrungen eines 88-jährigen Lebens gezogen hat.
„Der deutsche Bundestag hat zugestimmt, dass sich die Bundeswehr an dieser weltweiten Operation beteiligt, lassen Sie mich ausdrücklich feststellen, dass wir uns als Stadt Wilhelmshaven hinter die Soldatinnen und Soldaten stellen, die an diesem Einsatz beteiligt sind, dass wir die Sorgen der Angehörigen teilen und allen Beteiligten gutes Gelingen, Erfolg und eine glückliche Heimkehr wünschen. Ich sage dies besonders vor dem Hintergrund, dass es auch in den letzten Tagen Versuche gegeben hat, diesen Einsatz zu diskriminieren, ihn als Teil eines lange vorbereiteten Krieges gegen Afghanistan zu bezeichnen. Wer dies sagt, meine Damen und Herren, den frage ich: Wo war er in den Tagen nach dem 11. September 2001, als über 4.000 Menschen in New York und Washington ermordet wurden, wo war er in den Jahren, als Afghanistan von einem Regime terrorisiert wurde, das dieses Land zurück in die Steinzeit führen wollte, das die Rechte der Frauen in einem unvorstellbaren Maß unterdrückte?
Was Deutschland mit seinem Beitrag bei der internationalen Terrorismusbekämpfung leistet, ist auch ein Stück Gegensolidarität gegenüber den Vereinigten Staaten, die hier in Deutschland mit jahrzehntelanger Präsenz den Aufbau eines demokratischen Staates ermöglichte, die mit zur politischen Wende in Europa beitrug, die letztlich die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichte.
Auch deshalb ist der platte Antiamerikanismus, der sich bei Demonstrationen wie von mir genannt äußert, fehl am Platze, auch, weil der Anschlag des 11. September nicht nur Amerika und dem amerikanischen Volk galt, sondern uns alle treffen sollte. Dagegen setzen wir uns zur Wehr, deshalb müssen wir wehrhaft sein, auch wenn dies nicht bequem ist.“
Antiamerikanismus
Es war schon ein starkes Stück, das sich unserer Oberbürgermeister da geleistet hat, indem er die Aktionen der Friedensbewegung mit den Worten „platter Antiamerikanismus“ titulierte. Wenn die Vereinigten Staaten einen Krieg führen – gegen wen soll sich die Friedensbewegung dann richten?
Die Friedensbewegung hat immer betont, dass es Alternativen gegen den Krieg gibt, dass Kriege überflüssig sind. Die Friedensbewegung hat immer nach den Ursachen für Kriege geforscht und diese auch benannt. Und so ist die Aussage von Elisa Kauffeld, dass die Terroranschläge vom 11.9. den Krieg in Afghanistan nur beschleunigt haben, durch die Aktivitäten der USA in dieser Region leicht nachzuweisen.
So, wie Osama bin Laden und seine Terrororganisation Kinder des amerikanischen Geheimdienstes waren, war auch das Taliban-Regime in Afghanistan eine direkte Folge der amerikanischen Außenpolitik – und da ging es ausschließlich um die Möglichkeit, sichere Transportwege durch Afghanistan zu bekommen.
OB Menzel fragt die Friedensbewegung, wo sie war, „als Afghanistan von einem Regime terrorisiert wurde, das dieses Land zurück in die Steinzeit führen wollte, das die Rechte der Frauen in einem unvorstellbaren Maße unterdrückte?“ Die Frage ist sicherlich berechtigt – nur ist der Adressat falsch. Diese Frage muss der Bundesregierung und all den anderen Organisationen gestellt werden, die jetzt das große Klagen angefangen haben und plötzlich die Rechte von Frauen verteidigen. Schließlich waren es ausschließlich nichtstaatliche Organisationen, auch und gerade aus dem Umfeld der Friedensbewegung, die die Verhältnisse in Afghanistan an den Pranger stellten. Die „offiziellen“ Stellen hatten sich mit den Taliban längst arrangiert und unterstützten sie.
Die Befreiung Deutschlands vom Faschismus wurde durch den Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg wesentlich vorangetrieben, und Deutschland konnte sich danach zu einem demokratischen Staat entwickeln. Das war gut so. Aber kann das denn bedeuten, dass man dadurch zum abhängigen Vasallen wird? Dankbarkeit darf doch nicht mit Sprachlosigkeit verwechselt werden. Und die Mittel, mit denen die Vereinigten Staaten ihre Interessen in der Welt durchsetzen, können doch nicht mit dem Wort „Gegensolidarität“ gutgeheißen werden! Wenn die Politik der Putsche und Kriege als Amerikanismus bezeichnet wird, dann gibt es wohl viel Antiamerikanismus auf der Welt. Doch diese Politik ist ja keine Erfindung der Amerikaner. Darum sind die Forderungen der Friedensbewegung auch nicht antiamerikanisch – sie sind anti-imperialistisch, anti-kolonialistisch und anti-militaristisch! Die Friedensbewegung ist der Überzeugung, dass die Konflikte der Welt anders gelöst werden können und müssen; dabei ist es egal, ob die USA ihren Einfluss mit kriegerischen Mitteln durchsetzen will oder ob es der Irak, China, Großbritannien, Deutschland oder Andorra versuchen.
Hannes Klöpper
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