Atomtransport
Dez 152010
 

Atomtransport abgewehrt – zunächst mal!

Die Atomtransporte nach Russland wurden auf Eis gelegt – die Castortransporte zwischen Atomkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen aber nicht!

(jm) Am 2. Dezember wurde von der parlamentarischen Korrespondenz des Bundestages die Nachricht verbreitet, dass die Bundesregierung den Abgeordneten mitgeteilt habe, dass die Verhandlungen für den Transport der Brennstäbe ins russische Majak zwar abgeschlossen seien, die Unterzeichnung des Vertrages aber zunächst abgesagt worden sei, da  – so die Regierung – „…wir den Sachverhalt noch mal prüfen“.

Das Umweltministerium habe jedoch klar gemacht, dass die Brennstäbe nicht in Deutschland bleiben könnten, da Deutschland kein Endlager für Brennstäbe besäße und deshalb keine Lösung anbieten könne.
Am 6. Dezember gab der Bundesumweltminister Norbert Röttgen auf einer Pressekonferenz bekannt, dass er den Transport von sechs Castoren mit hochradioaktivem Atommüll aus Ahaus in den russischen Atomkomplex Majak abgesagt habe. Diesen Transport hatte er in den letzten Wochen und Tagen noch vehement verteidigt.
Jetzt begründete er seine Entscheidung, den vom ‚Bundesamt für Ausfuhr und Wirtschaftskontrolle’ (Bafa) gestellten Exportantrag zu verweigern, damit, dass die „schadlose Verwertung“, die das deutsche Atomgesetz vorschreibe, in Majak gegenwärtig nicht möglich sei. Seine Entscheidung sei „zunächst endgültig“. Bis zu einer Entscheidung würde es wohl „Jahre dauern“ können.
Dies ist ein großer Erfolg von deutschen und russischen Anti-Atominitiativen, die in den letzten Monaten unermüdlich gegen den Transport gekämpft haben. Die Absage des Transports zeigt, dass PolitikerInnen nicht einfach machen können, was sie wollen. Entschiedener und kreativer Protest wirkt, Engagement zahlt sich aus!
Es ist denn auch wohl dem Umstand zu verdanken, dass die Parlamente der Hafenstädte Rostock, Lübeck, Cuxhaven, Hamburg, Bremen, Wilhelmshaven und Emden sich durch teilweise massive Bürgerproteste dazu aufgerüttelt sahen, dem Atomumschlag in ihren Häfen ihr Einverständnis zu verweigern.
Dem wollten sich die Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen denn auch nicht länger verschließen, und sie lehnten die Atomtransporte gleichfalls ab. Jetzt hat auch der Bundesumweltminister – wohl aus Besorgnis um die wackelnden Mehrheiten für Schwarz/Gelb im Superwahljahr 2011 – einstweilen eingelenkt.

Doch Herrn Röttgens Exportverweigerung nach Russland wirkt sich nicht auf die Atomtransporte der Nuklearindustrie aus. So möchte der E.ON-Konzern z.B. gerne die in seinen Atomkraftwerken abgebrannten – aus einer Mischung von Uran- und Plutoniumoxiden bestehenden – MOX-Brennelemente zur Wiederaufbereitung ins britische Sellafield schicken, um sie dort für einen weiteren Einsatz in ihren Atommeilern aufpeppen zu lassen. Für den Transport sucht der Stromgigant einen alternativen deutschen Hafenumschlagplatz, seit der erste Versuch im Spätsommer letzten Jahres am spontanen Widerstand der Cuxhavener BürgerInnen gescheitert ist. Die Gefahr, dass man es ja mal über Wilhelmshaven versuchen könnte, liegt auf der Hand; zumal das Land Niedersachsen sich der Ablehnung der Küstenländer Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, Castor-Transporte über ihre Häfen zu leiten, nicht angeschlossen hat. Somit müssen die niedersächsischen Hafenstädte selbst – soweit irgend möglich – sicherstellen, dass die Transportunternehmen nicht auf den Trichter kommen, die radioaktiven Frachten durch ihre Städte und über ihre Häfen zu leiten.
Atomwaffenfreie zoneDer Rat der Stadt Wilhelmshaven sprach sich am 21. Sept. 1988 mehrheitlich „…gegen den Transport von radioaktiven Materialien inklusive deren Umschlag in allen Hafenbereichen Wilhelmshavens aus.“ Darüber hinaus hat er „…die Verwaltung (beauftragt), alle rechtlichen Schritte zu unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen.“ Weiter heißt es in dem Ratsbeschluss:   „Der Rat der Stadt fordert die niedersächsische Landesregierung auf, keine Genehmigungen für den Transport von radioaktiven Materialien nach Wilhelmshaven und den Umschlag im Hafen zu erteilen.“
Damit ist er dem Beispiel der Stadt Emden gefolgt, die damit auf die vorausgegangenen massiven Proteste der Emder BürgerInnen reagiert hat.

Schon mehrmals war die Atomindustrie erfolglos auf der Suche nach einem festen Hafenumschlagplatz für ihre atomaren Frachten. So hat die Landesregierung von Schleswig- Holstein im Jahre 1988 – nach massivem, zehntausendköpfigem Protest der Lübecker Bürger – Atomtransporte über ihre landeseigenen Häfen untersagt.
Die niedersächsische Landesregierung erklärte sich dagegen am 05. Juli 1988 grundsätzlich dazu bereit, den Umschlag von bestrahlten Brennelementen aus Atomkraftwerken über niedersächsische Häfen zu gestatten. Am 01. Okt. 1988 gab das Nds. Wirtschaftsministerium bekannt, dass nun Atomtransporte über Emden oder Wilhelmshaven möglich seien.
Und schon vier Tage später kam der Atomfrachter „Sigyn“ in Emden an und wurde von 500 Polizisten mit Hundestaffeln gegen die aufgeschreckten Emder Bürger abgeschirmt. Da der Protest in den folgenden Tagen die gesamte Stadt erfasste und sich über ganz Ostfriesland ausbreitete, stand zu befürchten, dass die Transporteure ihre nukleare Fracht nach Wilhelmshaven umdisponieren würden. Aber auch hier entwickelte sich eine schnell anwachsende Ablehnungsfront, der die Mehrheit des Stadtrates mit ihrem o.a. Beschluss (mit Ausnahme von „Schwarzgelb“) Rechnung trug. Nach dem Ratsbeschluss sei dann die Angelegenheit im Sande verlaufen, berichtete Sicherheitsdezernent Graul dem Rat.
Nun also unternimmt die E.ON einen erneuten Anlauf, um den Umschlag ihrer radioaktiven Frachten über einen niedersächsischen Hafen durchzusetzen. Es liegt nahe, dass Wilhelmshaven für die Landesregierung wieder vorrangig dazu zählt.
(aus Gegenwind Nr. 248)

Doch während sich die Wilhelmshavener Ratsfrauen und -herren auf ihrem Ratsbeschluss seit 22 Jahren ausruhen und nicht mal bei der Verwaltung nachfragen, was die Rathausbeamten vom 1988er Ratsauftrag bislang mit welchem Ergebnis erfüllt haben, haben andere Hafenstädte längst Nägel mit Köpfen gemacht:

  • Lübeck: „Im Jahr 1990 wurde der Hafen von der Bürgerschaft teilentwidmet und somit für Atomtransporte gesperrt..“ (Lübecker Stadtzeitung, 19.10.10) Die Lübecker Verwaltung hat der Landesregierung in Kiel jedoch nicht das erforderliche Rechtsgutachten vorgelegt.
  • Die Stadt Emden „…setzte vor vielen Jahren einen Atomparagrafen in ihrer besonderen Hafenordnung durch. ‚Gefahrengüter, die als Atommüll einzustufen sind, dürfen weder gelagert, im Transit befördert noch umgeschlagen werden’, heißt es dort.“ (TAZ, 03.12.10)
  • Die Cuxhavener haben mit dem Hafenbetreiber „CuxPort GmbH’ vereinbart, sich gegen den Umschlag von nuklearen Brennelementen auszusprechen.
  • Das Hafenumschlagunternehmen Eurogate hat zugesagt, an ihren Bremer Hafenanlagen keine Castor-Behälter umzuschlagen.

Wie man sieht, ist Wilhelmshaven wieder mal Letzter im Geleitzug. Und auch die akute Gefahr, dass noch in diesem Dezember strahlende Castorbehälter durch unsere Stadt hätten rollen können, hat die Stadtoberen nicht vom Sofa geholt. Nicht mal die fünfzehn – für die Beantragung einer Sondersitzung des Rates – erforderlichen Ratsmitglieder waren zusammenzutrommeln.
Und unser Oberbürgermeister und Oberverwaltungsbeamter versinnbildlicht mit seiner Pressemetteilung am 03.12.10 diese passive Haltung. Er begnügt sich mit der Feststellung, dass sich der Rat ja gegen den Atomumschlag ausgesprochen habe, und verschweigt geflissentlich die daran geknüpften Aufträge an die Stadtverwaltung.
An Stelle dessen behauptet unser OB nassforsch: „Ein solcher Umschlag wäre im Übrigen nur auf der Grundlage eines Genehmigungsverfahrens möglich, in das die Stadt Wilhelmshaven als örtlich zuständige Behörde eingebunden sein müsste.“
Dies sieht das Nds. Innenministerium lt. Pressemitteilung vom 03.09.09 jedoch aus einem diametral entgegen gesetzten Blickwinkel: „Das BfS (Bundesamt für Strahlenschutz, der Verf.) ist als Genehmigungsbehörde für alle Aspekte der Genehmigung und ihrer Nebenbestimmungen – einschließlich der Streckenführung – umfassend verantwortlich. Die Transportgenehmigung für Kernbrennstoffe wird weder im Einvernehmen mit den Innenministerien oder Polizeibehörden der Länder erteilt, noch besteht eine gesetzliche Verpflichtung, mit diesen das Benehmen herzustellen.“ Demnach ist es also nichts mit der zwingenden Einbindung Wilhelmshavens als zuständige örtliche Behörde.
Das BfS und das von den Betreibern der Atomkraftwerke beauftragte Transportunternehmen werden also nur bei Bedarf – und dies aus verständlichem Grunde – zu einem möglichst späten Zeitpunkt auf die Stadt zurückgreifen. Eine Mitwirkung der Stadt bei der technischen Vorbereitung von Atomtransporten durch unsere Stadt sowie den Hafenumschlag erübrigt sich, weil durch die vielen Schwerlasttransporte der jüngsten Zeit alle benötigten Kenntnisse vorliegen.
Vielleicht bewirkt diese Erkenntnis ja einen Sinneswandel bei unserem obersten Verwaltungsbeamten, und vielleicht sieht er sich jetzt endlich veranlasst, den Anschluss an die anderen Hafenstädte herzustellen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass einige der üblichen Verdächtigen es lieber hätten, Wilhelmshaven auch noch bei der Atomindustrie als Alleinstellungsmerkmal für den Hafenumschlag von Atommüll anzupreisen…

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