Bundestagswahl 2005 – 6
Sep 152005
 

Drum links

Nein, nicht alle waren am 24. August bei der Merkel-Show

(noa) Ganz so gut besucht wie das gleichzeitig stattfindende CDU-Spektakel auf dem Valoisplatz mit Angela Merkel war die Wahlveranstaltung am 24. August im Dreimädelhaus nicht, aber dafür waren auch keine Polizeiabsperrungen und dergleichen erforderlich.

Werner Dalichow, Mitglied des Landesvorstandes der WASG, begrüßte den Hauptredner des Abends, Prof. Dr. Herbert Schui, der auf der Landesliste der Linkspartei auf Platz 3 steht und somit gute Chancen auf den Einzug in den Bundestag hat, den Direktkandidaten des Wahlkreises, Dirk Metzner, die Gäste und die Presse, die nur durch die Gegenwindlerin vertreten war. Es scheint so, als hätte Dalichow sich über den Artikel in der WZ vom 12.08. doch ein klein wenig geärgert, denn er quittierte das Fernbleiben der „WZ“ an diesem Abend mit dem Verdacht, diese Zeitung könne die Zusammenhänge, die ein Wirtschaftswissenschaftler vom Format Herbert Schuis vortragen werde, wohl nicht verstehen.
Auch Dirk Metzner konnte es sich nicht verkneifen zu betonen, dass es ihm nicht auf der Couch eingefallen sei, sich als Direktkandidat um einen Platz im Bundestag zu bewerben (und da er keinen Platz auf der Landesliste belegt, ist ihm auch klar, dass er nicht ins Parlament einziehen wird).
Schui, vielen der Anwesenden von seinem Vortrag im April her schon bekannt, begann seinen Beitrag mit einer Frage:

„Worin besteht das Problem der Industrieländer?“

Durch eine sich ständig verbessernde Organisation der Arbeit, aber auch durch Vergrößerung der Arbeitshetze werden die Menschen in den Industrieländern immer produktiver. In der gleichen Arbeitszeit schafft ein/e Beschäftigte/r mehr Produkt bzw. Dienstleistung als früher. Dieses Mehrprodukt kommt den abhängig Beschäftigten jedoch nicht zugute. „Wenn wir zivilisatorischen Fortschritt machen wollen, müssen die Arbeitnehmer Fortschritte dabei machen, einen Teil des gestiegenen Produkts zu kriegen, der Staat muss darauf zugreifen, um öffentliche Ausgaben zu finanzieren, und die Parlamente müssen die Sozialversicherung sichern“, so brachte er die Notwendigkeiten auf den Punkt. Der technische Fortschritt müsste eigentlich zu zivilisatorischem Fortschritt führen, und es ist absurd, dass wir das genaue Gegenteil beobachten können. Während in der Politik über alles Mögliche gesprochen wird, so aber nicht über diese Tatsache. „Wenn man darüber spräche“, so Schui, „dann müsste man über Verteilungskonflikte sprechen.“ Damit alle von diesem Thema abgelenkt werden und nicht über die Verteilung des erzielten Mehrprodukts reden, stellen die Unternehmen „Märchenerzähler“ ein, die darüber reden, dass die Lohnnebenkosten zu hoch seien und die Sozialversicherungen nicht genug Geld haben. Als die „Hohepriester“ der Unternehmer bezeichnete er die „Experten“, als die niedrigeren Priester Leute wie Sabine Christiansen. (Die hat er wohl gefressen! Schon bei der Veranstaltung im April versetzte er ihr einen Seitenhieb.)
Dann setzte sich Schui Punkt für Punkt mit den Behauptungen der „Märchenerzähler“ auseinander.

„Der Gesellschaft geht die Arbeit aus.“

„Nein“, sagt Schui, „der Gesellschaft ist der Verstand ausgegangen.“
Wenn zum Beispiel behauptet wird, die Renten könnten nicht mehr gezahlt werden, weil die Geburten stagnieren, dann liegt dem ein 4000 Jahre altes Bild zu Grunde. Damals stimmte es: Die Jungen sicherten das Leben der Alten unmittelbar. Angesichts dessen, dass die Produktivität der Arbeit sich in jeweils 35 Jahren verdoppelt, könne die Rente auch gesichert werden, ohne dass mehr Kinder als Alte da sind. Doch der Begriff der Produktivität taucht in den Feststellungen der „Experten“ nicht auf, er ist regelrecht tabuisiert. Und so bezeichnet Schui Leute wie Herrn Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre fordern, als „Hassprediger“.

„Eigenverantwortung der Arbeitslosen“

Ein Arbeitsloser kann nicht die Löhne erhöhen; höhere Löhne wären aber ein Schritt, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen: Durch die Erhöhung der Kaufkraft würde die Binnennachfrage steigen; die höhere Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen würde für mehr Arbeit sorgen. Stattdessen habe die „Erziehungsdiktatur“ aus Schröder, Hombach und Clement sich zum Ziel gesetzt, den „Wertewandel“, der darin bestehe, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollten, rückgängig zu machen, und bezeichne die Arbeitslosen als selber für ihre Lage verantwortlich. Das Hartz IV-Gesetz, in dem von Förderung und Fordern die Rede ist, fordert, fördert aber nicht.

„Die Lohnnebenkosten sind ein Hemmschuh für Beschäftigung.“

Die Tatsache, dass die deutschen Exporte die höchsten der Welt sind, widerlegt diese Behauptung eindrucksvoll. Schade, dass die SPD sich nicht an ihrem eigenen, noch gültigen Programm orientiert, meint Schui, denn da heißt es: „Eine gerechte Einkommensverteilung führt zu mehr Nachfrage und zu mehr Beschäftigung.“ Die Lohnkosten je Stück in Deutschland sind die niedrigsten von allen Industrieländern, und die Gewinnsteuern liegen im unteren Viertel aller Industrieländer. Deshalb ist maximal 1 % der Arbeitslosigkeit erklärbar durch die Kapitalflucht – der Rest ist dem Mangel an Binnennachfrage geschuldet.

„Die WASG ist rechtspopulistisch.“

„Die Rechten wollen nicht den Streit um die Verteilung des Nationaleinkommens führen. Sie meiden den Konflikt mit den Unternehmern und suchen den Konflikt mit den Schwachen.“ Und dann fuhr Schui beinahe zu der kabarettistischen Größe hoch, die er im April gezeigt hat: „Rechts ist, wer es mit voll geschissenen Hosen gerade noch fertig bringt, Ausländer zu belästigen.“

„Die Binnennachfrage steigt nicht, weil die Konsumenten verunsichert sind.“

Nein, sagt Schui, die Binnennachfrage steigt deshalb nicht, weil die Leute kein Geld haben. Der Lohn muss steigen, und die Steuern auf Gewinn müssen angehoben werden, damit öffentliche Dienstleistungen bezahlt werden können. Gegenwärtig haben wir 5 % Gewinnsteuern gegenüber 22 % im Jahr 1980 – diese Geschenke an die Wirtschaft muss der Staat nach und nach zurücknehmen.
Dann wird auch die Binnennachfrage wieder steigen. Und durch eine Bürgerversicherung, in die jeder einzahlt und nicht nur die abhängig Beschäftigten, wird auch genug Geld für die Sozialversicherungen da sein.

Weg mit Hartz IV

Nach dieser Auseinandersetzung mit den Thesen der „Märchenerzähler“ war es Schui ein Bedürfnis, sich zu einem Programmpunkt der Linkspartei, auf deren Liste er ja kandidiert, zu äußern:
Mit der Idee, Hartz IV „nachzubessern“, indem eine Erhöhung des Alg II gefordert wird, „ist die PDS auf dem Holzweg“, sagt er, und das wird das erste Thema sein, das er in der ersten gemeinsamen Sitzung auf den Tisch bringt „Hartz IV muss mit dem Kanzler weg.“ Es geht nicht um die Höhe des Alg II, sondern darum, dass Hartz IV entwürdigend ist. „Man kann von den Menschen doch nicht verlangen, dass sie ihre persönlichen Verhältnisse offen legen.“
Diese Differenz stellt das Bündnis nicht in Frage, doch sie muss baldmöglichst beigelegt werden.

Was wird man im Parlament machen?

Eine Koalition mit der Rest-SPD kommt, so Schui, nicht in Frage. Die SPD gehört stramm zum neoliberalen Lager. Die Positionen von Linkspartei/WASG einerseits und SPD andererseits sind zu weit voneinander entfernt. Außerdem käme eine solche Koalition einem politischen Suizid gleich.
Die Aufgabe des Linksbündnisses im Parlament wird darin bestehen, Debatten anzuzetteln, im Parlament und außerhalb des Parlaments, in der Gesellschaft und innerhalb der WASG.
Und rege Debatten gab es – anders als bei den Wahlkampfveranstaltungen der bürgerlichen Parteien – hier zum Abschluss auch.

 

 

 

Links wählen!?

Ich war bis 2002 Mitglied der SPD. In der WASG sehe ich nun endlich eine Perspektive, etwas zu verändern. Vor allem sehe ich hier die Chance, mit anderen zusammen etwas zu machen.

Konrad Sieg, ver.di-Sekretär

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