Seenotrettung kennt keine Grenzen
(iz) Bundesweit demonstrierten heute etwa 45.000 Menschen in über 100 Städten und Gemeinden für die Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge im Mittelmeer und gegen die Kriminalisierung der Retter*innen. In Wilhelmshaven folgten gut 120 Menschen dem Aufruf der regionalen Initiative „Meer Menschlichkeit“ zu einer Kundgebung auf dem Börsenplatz und sprachen sich dafür aus, dass Wilhelmshaven „sicherer Hafen“ für Geflüchtete wird.
Die vor einem Jahr gegründete Organisation „Seebrücke“ hatte anlässlich der Verhaftung der Kapitänin Carola Rackete in Italien zu den bundesweiten Aktionen aufgerufen. Rackete musste mehr als zwei Wochen mit 40 geretteten Flüchtlingen an Bord der „Sea Watch 3“ durchs Mittelmeer kreuzen, weil kein Hafen sie aufnehmen wollte, und erklärte schließlich den Notstand an Bord. Am 29. Juni lief Rackete ohne offizielle Erlaubnis in den Hafen von Lampedusa ein. Dort wurde sie in Haft genommen, jedoch 3 Tage später durch Beschluss des zuständigen Gerichts wieder freigelassen. Diese Einzelfallentscheidung ändert nichts an der grundsätzlichen Kriminalisierung privater Rettungsorganisationen im Mittelmeer. Die bundesweiten Proteste fanden deshalb trotz der Freilassung statt. Sie richten sich gegen die Kriminalisierung von Seenot-Retter*innen und gegen die Abschottungspolitik Europas wie auch die mangelhafte, internationale Bekämpfung von Fluchtursachen.
In Wilhelmshaven wurde die Protestveranstaltung von der Initiative ‚Meer Menschlichkeit‘ organisiert. Die Initiatoren Ulf Berner (WHV), Olaf Harjes und Alexander Westermann (beide Friesland) hatten im September 2018 mit einem Aufruf, unterstützt von Parteien, Kirchen, Organisationen und sehr vielen Einzelpersonen, 2500 Menschen bewegt, in Dangast auf den Deich zu kommen, um für die Rettung flüchtender Menschen im Mittelmeer zu demonstrieren.
So viele Teilnehmer*innen wie bei dieser spektakulären Aktion waren es auf dem Börsenplatz nicht, aber angesichts der kurzfristigen Einladung zeigten sich die Veranstalter erfreut, dass gut 120 Menschen zu der einstündigen Protestversammlung gekommen waren. Zum Auftakt erläuterte Ulf Berner die zentralen Forderungen der Veranstaltungen, die zeitgleich in ganz Deutschland stattfanden:
„Wir stehen hier heute, weil durch die Abschottungspolitik Europas und die stetig wachsende Kriminalisierung ziviler Seenotretter*innen im Mittelmeer die Situation flüchtender Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten immer dramatischer wird. Wir lassen es nicht zu, dass in unserem Namen grundlegende Menschenrechte politisch untergraben und mit Füßen getreten werden.
Erstens: Deutschland muss bis auf Weiteres alle Menschen, die über das zentrale Mittelmeer fliehen, aufnehmen. Das andere europäische Staaten Menschenrechtsverletzungen begehen, ist kein Grund, sich aus der Verantwortung zu ziehen, sondern Grund, sich jetzt nach vorne zu trauen und sich schützend vor die Menschenrechte zu stellen!
Zweitens: Sichere Fluchtwege! Und das Recht auf Flucht. Tausende Menschen sterben jährlich auf der Flucht über das Mittelmeer. Tausende Menschen stecken in libyschen Lagern fest. Lybien befindet sich in einem Bürgerkrieg. Unlängst fand ein Angriff auf ein Flüchtlingslager statt und endete mit 40 Toten. Die Entrechtung von flüchtenden Menschen muss sofort gestoppt werden.
Drittens: Zivile Seenotrettung muss entkriminalisiert werden! Ziviler Ungehorsam ist legitim. Carola hat das einzig mögliche getan, sie hat sich menschenrechtswidriger Politik widersetzt und Menschenleben gerettet. Genau das hat auch das italienische Gericht anerkannt. Carola Rackete ist einem höheren Ziel gefolgt, und zwar dem Schutz der Menschenrechte!
Wir sind die solidarische Gesellschaft, die mit tausenden Menschen in rund 100 Städten zeigen, dass wir jetzt sichere Fluchtwege nach Deutschland und eine organisierte, legale Rettung flüchtender Menschen wollen. Von Wilhelmshaven geht ein Gruß an alle mitstreitenden Städte in Deutschland, Europa und der Welt.“
Kapitänin Carola Rackete schickte eine Grußbotschaft die Seebrücke und alle Unterstützer*innen:
Wilhelmshaven soll sicherer Hafen werden
Über 70 Kommunen haben sich bis jetzt schon zu „sicheren Häfen“ erklärt (im übertragenen Sinne, also auch Kommunen im Binnenland, regional z. B. Aurich). Sie stellen sich gegen die Abschottungspolitik Europas und leisten selbst einen Beitrag, um mehr Menschen ein sicheres Ankommen zu ermöglichen. Ulf Berner knüpfte an lokale Bezüge an: „Wilhelmshaven wurde vor 150 Jahren als Kriegshafen gegründet. Gerade feiert die Stadt diesen Geburtstag. Wie schön wäre es, heute die Geburtsstunde Wilhelmshavens als Friedenshafen, als sicheren Hafen, als die Stadt für Meer Menschlichkeit feiern zu können? Alexander, Olaf und ich gründeten vor einem Jahr die Initiative Meer Menschlichkeit. Wir wären gerne bei der Taufe Wilhelmshavens, als Friedenshafen dabei!“
Eine Teilnehmerin schlug vor, dass ein entsprechender Antrag in den Wilhelmshavener Rat eingebracht wird. Hierzu gab es von den Anwesenden ein einstimmiges Votum. Auch in Jever soll ein Antrag dazu eingebracht werden. In Varel scheiterte die Resolution an einer Stimme, soll aber erneut vorgelegt werden.
Im Anschluss stand das Mikrofon den Teilnehmenden für eigene Beiträge und Diskussionen zur Verfügung. Dabei wurde u. a. deutlich, dass Flüchtlingsproblematik und globale Umweltprobleme keine Themen sind, die gegeneinander ausgespielt werden dürfen (welches ist wichtiger?), sondern in Ursache und Wirkung miteinander verzahnt sind. So wird in den betroffenen Ländern Raubbau an Natur, Ressourcen und Arbeitskräften betrieben, um Luxusprodukte für die hochentwickelten Staaten zu erzeugen; der Müll (Plastik, Elektronikschrott) wird hernach in den Ursprungsländern entsorgt. Diese Vernichtung elementarer Lebensgrundlagen ist neben (Bürger)Kriegen eine wesentliche Fluchtursache. Es wurde diskutiert, wer die Hauptverantwortung dafür trägt, diese Fluchtursachen abzustellen und sich um die Geflüchteten zu kümmern: die Politik, die Wirtschaft (z. B. Rüstungskonzerne, die weiter Waffen in Krisengebiete liefern) oder jede*r Einzelne z. B. im eigenen Konsumverhalten und der Haltung zu einer offenen, solidarischen Weltgemeinschaft? Wohl alle.
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