Jade Wohnungsbau
Dez 011995
 

Schlitzohren unter sich

Die Affäre ‚Jade Wohnungsbau’ harrt noch immer der öffentlichen Aufklärung

(jm) Die Aufarbeitung der Vorgänge um die Jade Wohnungsbau findet – wenn überhaupt – unter Ausschluß einer breiteren Öffentlichkeit statt. Was an Informationen gestreut wird, sind Bruchstücke, aus denen sich nur ein lückenhaftes Bild über den Gesamtkomplex zusammensetzen läßt. Doch gerade wegen der fehlenden Informationen über die internen Abläufe in der ‚Stadtregierung‘ muß ein Rekonstruktionsversuch gewagt werden.

Eine grobe – zwar subjektiv eingefärbte aber übersichtliche – Darstellung hat einer der beiden Hauptakteure der Vorgänge – der Immobilienhändler Karl-Heinz Trögeler – in seinem Brief an die Stadt vom 15.10.95 geliefert. Untermauert hat er seine Sicht der Dinge zudem mit zahlreichen Vermerken und Belegen. An Hand dessen lassen sich Beweggründe und die verfolgten Ziele, die ihn und den Stadtdirektor Wolfgang Frank zu einem zehnwöchigen Pläneschmieden vereint hat, am leichtesten durchschauen …

Ausgangslage am 30.06.95

Karl-Heinz Trögeler ist Bevollmächtigter von sieben Grundstücksgesellschaften mit zwölf Grundstücken in Ostberlin mit einem Gesamtbodenwert von 86,4 Mio. DM. Er muß schnellstens Geld flüssig machen, um noch vor dem 01.11.95 mit der Bebauung von sieben der besagten Grundstücke beginnen zu können, die zudem noch bis zum 31.12.96 schlüsselfertig erstellt sein müssen. Nur unter diesen Voraussetzungen werden ihm bereits dafür zugesagte öffentliche Fördermittel ausgezahlt und zusätzliche Steuervorteile gewährt. Er muß also einige seiner Grundstücke zwecks Anschub der Baumaßnahmen schleunigst verkaufen, wenn er nicht sofort auf eine Goldader stößt. ..
troegeler 2Die Stadt Wilhelmshaven versinkt immer tiefer im Schuldenloch. An eine Haushaltskonsolidierung ohne den Verkauf von städtischem Sondervermögen mag niemand mehr glauben! Trotzdem verfolgt man weiterhin das so ehrgeizige wie kostspielige Ziel EXPO 2000. Doch damit haben sich die Macher unter Zeitdruck gesetzt: Sie brauchen dringend den Nachweis, daß sie in der Lage sind, Geld für einen erheblichen Eigenbeitrag zur Gestaltung und Durchführung der EXPO 2000 flüssig zu machen …

Des Pudels Kern

Die Suche nach Barem führt Trögeler und die Stadt Wilhelmshaven (vertreten durch den Stadtdirektor und -kämmerer Wolfgang Frank) zusammen und läßt sie gemeinsame Pläne schmieden.
Trögeler wittert in der Person von Frank den geeigneten Drahtzieher, der in der Lage ist, Mittel und Wege zu finden, durch Beleihung des Wilhelmshavener Sondervermögens schnellstens Cash für seine Berliner Bauprojekte loszueisen.
Und Frank spielt mit! Als Gegenleistung für einen 86 Mio. Mark-Kredit läßt er sich im Kerngehalt
– die Ansiedlung der Trögelerschen Firmen in Wilhelmshaven, die einen jährlichen Betrag von 10 Mio. DM Gewerbesteuern erbringen sollen und
– die Gewinnbeteiligung der Stadt an Trögelers Berliner Immobiliengeschäften zusichern.

Grundzüge eines Konzeptes

Der Deal kann aber so nicht durchgezogen werden, weil Franks Handlungsspielraum durch Gesetze, wie beispielsweise die Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) eingeschränkt ist. Darin ist festgehalten; welche Geschäfte eine Gemeinde wie tätigen darf und wer alles seine Zustimmung dazu geben muß.
Es folgen zehn Wochen, in denen in mehreren Besprechungen unter zeitweiliger Fachbeteiligung von Wirtschaftsprüfern, einem Steuerprüfer, Rechtsanwälten und einem Notar ein Konzept entwickelt wird. Aus den Gesprächsvermerken Trögelers und dem Entwurf des Ansiedlungsvertrages (lt. Trögelers Randnotiz ist dieser am 18.8.95 von Frank übergeben und anschließend in einer Runde mit sieben Teilnehmern besprochen worden) läßt sich folgende Grundsubstanz herausfiltern:
1. Trögeler wird Gewerbesteuerzahler in Wilhelmshaven.
2. Die Stadt verkauft 75,1% der Jade an Trögeler und der wird dadurch zum Mehrheitsgesellschafter mit nahezu unumschränkter Entscheidungsgewalt.
3. Die Stadt bekommt nur 10 Mio. DM des Kaufpreises von insgesamt 55 Mio. DM ausgezahlt. Der Rest erfolgt in drei Jahresraten aus Trögelers Spekulationsgewinnen.
4. Trögeler ‚verkauft‘ seine Berliner Grundstücksgesellschaften im Wert von 86 Mio. DM an die Jade und läßt sich diese Summe von der Stadt für seine Berlingeschäfte auszahlen.
5. Die Stadt muß diese Summe als Kredit aufnehmen und die Jade und evtl. noch weiteres Wilhelmshavener Sondervermögen damit belasten.
6. Trögeler ist jetzt flüssig und kann seinen Einsatz am Berliner Immobilienroulette verdoppeln. Die Stadt wird an den Gewinnen entsprechend ihrer verbliebenen Geschäftsanteile an der neuen Jade beteiligt.
7. Der Schwerpunkt der Jade-Aktivitäten bzw. der Verwendung von Gewinnen wird lt. Vertragsentwurf (§4) das Immobilienroulette: „Nach Vermarktung dieser Grundstücke soll die Geschäftspolitik mit neuen Grundstücken z.Z. vorzugsweise in Berlin fortgesetzt werden. „troegeler

Das Scheitern

Für dieses Vorhaben müssen die städtischen Entscheidungsgremien (Rat und Verwaltung), die Banken (Mitgesellschafter der Jade) und nicht zuletzt die Bezirksregierung Weser-Ems (kommunale Finanzaufsicht) gewonnen werden. Weil die dafür erforderliche Zeitspanne eine schwer einschätzbare Größe ist, will Trögeler auf Nummer Sicher gehen und wenigstens eines seiner Berliner Grundstücke (Möllendorfstr. 28) verkaufen, damit er Geld für den rechtzeitigen Baubeginn hat.
Im folgenden einige Marksteine der weiteren Entwicklung, frei wiedergegeben nach Trögelers Aufzeichnungen:
Frank besteht aber auf den Ankauf sämtlicher Berliner Grundstücke durch die Stadt und bemerkt dazu, daß er selbst im Hinblick auf die Kürze der z.V. stehenden Zeit keine Probleme sähe, die er nicht imstande wäre zu lösen. Trögeler will deshalb auf den Verkauf unter der Bedingung verzichten, daß er eine schriftliche Zusage der Stadt über ihre Kaufabsichten und zudem einen 10 Mio. DM Kredit zur Zwischenfinanzierung der Baumaßnahmen erhält.
Die entsprechenden Zusagen der Stadt werden am 14.07. ausgestellt und per FAX zu Trögelers Firmensitz in München geschickt. Das Pläneschmieden kann weitergehen …

Zwischenbemerkung:
Erstaunlich ist, wie selten andere städtische Entscheidungsträger und Mehrheitsbeschaffer in Trögelers Aufzeichnungen vorkommen. Der einzige, der ab und zu mal als Teilnehmer einer Besprechung aufgeführt wird, ist der SPD-Fraktionsvorsitzende Udo Bergner. Der Oberstadtdirektor oder der Oberbürgermeister, der ja gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsausschusses ist, tauchen nur mal als Small-Talk-Partner auf Von keinem Direktkontakt mit der kommunalen Aufsichtsbehörde (Bezirksregierung) wird berichtet.

Trögelers einzige Verbindung zu den Entscheidungsgremien scheint über Frank zu laufen. Sogar die Kontaktaufnahme mit dem Sparkassenleiter Grapentin (Stadtsparkasse und Bremer Landesbank sind Anteilseigner der Jade und sollen von der Stadt ausgekauft werden) gestaltet sich schwierig. Als dann endlich ein Treffen zustandekommt, will Grapentin nichts allein entscheiden. Der Kontakt endet in einem Fiasko.
Ein Besuch in Hannover beim Finanzminister Hinrich Swieters am 15.08. hilft auch nicht weiter. Dafür scheint Wolfgang Frank den Sparkassenchef verantwortlich zu machen und fordert Trögeler auf, einen neuen Mann für den Posten zu suchen. Der neue Mann – ein Herr Seitz – wird dann am 19.08. eingeflogen. Doch nahezu gleichzeitig beginnt Frank sich von Trögeler zu lösen.
Trögeler stellt fest, daß „… Udo Bergner von Wolfgang Frank teils nur dürftig informiert wurde. Leider habe ich dies auch nicht in ausreichendem Maße getan“ Für den 01.09. ist eine Fahrt des Verwaltungsausschusses nach Berlin geplant. Der Oberstadtdirektor kommt nicht mit: Er muß nach China! Er meint in einem Telefonat mit Trögeler am 28.08. ergänzend, daß außerdem seine Anwesenheit nicht unbedingt nötig wäre. Am 31.08. sagt Stadtdirektor Frank die Reise des Verwaltungsausschusses nach Berlin ohne jede Begründung ab. Auch der Oberstadtdirektor sagt ein für den 04.09. vereinbartes Gespräch kommentarlos ab. Rien ne va plus.

 

Kommentar:

Viele Fragen harren einer Antwort
Selbstverständlich muß es einem führenden Vertreter der Stadt erlaubt sein, aktiv zu werden, um Geschäfte mit potentiellen Investoren anzubahnen. Doch die Geschäftsanbahnung sollte von Beginn an seriös sein; d.h. der Vertreter der Stadt müßte sich schon bei der ersten Interessenabgleichung am gesetzlich zulässigen orientieren. Ob die signalisierte Bereitschaft Franks, die Jade Wohnungsbau für Berliner Grundstückspekulationen zu verpfänden, noch in den von der Niedersächsischen Gemeindeordnung gesetzten Rahmen paßt, ist zumindest anzuzweifeln. Vielleicht sich lohnt es sich, dies mal nachzuprüfen.
Nachprüfenswert wäre auch, ab wann die Anbahnungsgespräche den Charakter von Verhandlungen annahmen. Indizien dafür sind Gespräche, Absprachen und Prüfungen unter Hinzuziehung von Fachleuten. Spätestens ab dann stellt sich die Frage, wann Wolfgang Frank welche Entscheidungsträger darüber informiert hat. Auf kommunaler Ebene sind das der Oberstadtdirektor und der Oberbürgermeister. Diese haben dann zumindest zu prüfen, ob der Verhandlungsgegenstand mit den kommunalpolitischen Zielen der Stadt und dem Gemeinwohl seiner Bürger vereinbar ist. Falls nicht, hätten sie den Alleingang des Stadtdirektors stoppen müssen. Bei positivem Ergebnis hätte ein festumrissener Verhandlungsauftrag für Frank erarbeitet werden müssen, an dem man möglichst den Verwaltungsausschuß beteiligt hätte.
Zweifelhaftes Geschäftsgebaren
Es ist schwer vorstellbar, daß Frank bei klarer Kompetenzverteilung die Kaufabsicht von Trögelers Berliner Grundstücken und die baldige Überweisung eines 10 Mio. DM-Kredits schriftlich bestätigt hätte. Nicht auszudenken ist, daß weitere wichtige Leute darüber informiert waren, daß dieses von Frank unterzeichnete Schriftstück formaljuristische Mängel aufweist: Auf dem Schriftstück fehlt das Amtssiegel der Stadt. Zudem hat Trögeler die Erklärung nur per FAX bekommen. FAXE sind aber Kopien, die bei Vorlage des Originals notariell beglaubigt werden müssen.
Trögeler ist ganz offensichtlich von der Stadt geleimt worden Das ist zum einen zwar ein Glück für die Steuerbürger, denn es schmälert Trögelers Aussichten, sich mit seinen Schadensersatzforderungen durchzusetzen. Zum anderen muß man sich aber fragen, ob die Stadt bei dieser Zusammensetzung bzw. solcherart Zusammenwirken ihrer Führungsspitze von der Wirtschaft noch als seriöser Verhandlungspartner akzeptiert wird!? Von dem, was die Bürger davon halten sollen, mal ganz abgesehen!
Politik nach Gutsherrenart
Richtig unappetitlich wird es, wenn man lesen muß, wie der Stadtdirektor Trögeler darum bittet, sich nach einem neuen Sparkassendirektor umzusehen! – War das auch ein Alleingang von Wolfgang Frank? Wenn ja: Weshalb sitzt er noch immer in seinem Direktorensessel?
Und last not least: Wer hat bei dem Entwurf des Ansiedlungsvertrages mitgewirkt bzw. hat dem Text, in den nur noch die Zahlen fehlen, zugestimmt?
Immerhin läßt sich aus dem Vertragstext zwischen den ausgelegten Ködern (Gewerbesteuer, Riesenprofite) und Beruhigungspillen (Rückübertragungsrecht, Mieterhöhungen in Wilhelmshaven nur mit Zustimmung der städtischen Gesellschaftsvertreter) unschwer herauslesen, daß das Wilhelmshavener Sondervermögen – allen voran die Jade Wohnungsbau – mit Hypotheken (bis zu einer Höhe von 86 Mio. DM) belastet werden sollte. ..
Die neue Jade Wohnungsbau hätte also einen erheblichen Teil- möglicherweise einen zweistelligen Millionenbetrag – ihrer jährlichen Berliner Spekulationsgewinne für die Zins- und Tilgungsverpflichtungen ihrer Wilhelmshavener Immobilien aufwenden müssen. Mit anderen Worten, der Wilhelmshavener Teil des fortan Trögelerschen Unternehmens ‚Jade Wohnungsbau‘ wäre zum langjährigen Kostgänger geworden. Es sei denn, Trögeler könnte die Mieten drastisch erhöhen. Zumindest denkbar wäre aber auch gewesen, daß er seine Berliner Anteile wieder aus der Jade Wohnungsbau herausgezogen und dann Pleite angemeldet hätte. Hätte er etwa auf diese Weise ganz legal das Wilhelmshavener Sondervermögen ausplündern können?
Alle diese Fragen harren dringend einer Antwort!
Bezüglich der Mieterhöhungen wären jedoch nicht nur die Mieter die Leidtragenden gewesen sondern auch die Stadt, die durch steigende Mietbeihilfen für Sozialhilfeempfänger und Wohngeldempfänger weiter ausgeblutet wäre. Daran hätte auch eine Rückübertragung auf die Stadt kaum was geändert, denn damit hätte sie ja die Hypothekenlast auch noch alleine schultern müssen.
Auf dem Rücken der Mieter
Die unvermeidlichen Mieterhöhungen bei der Jade Wohnungsbau (Frank soll sich gegenüber Trögeler für eine Erhöhung von DM 1,- bis DM 2,- pro m2 ausgesprochen haben) hätten den Mietpreisspiegel im gesamten Stadtgebiet nach oben gedrückt. Das war auch ganz im Sinne Trögelers, der in einem Vermerk als Vertragsbedingung festhält: ‚Keine Neubauinvestitionen mehr in WHV, bis Marktverhältnisse wieder entsprechen.’
Schlimm für die Mieter in Wilhelmshaven und schlimm für die Sozialkasse. Allein die Vermieter hätte dies gefreut. Und da drängt sich gleich die Frage auf: Ist die große Oppositionspartei so ahnungslos, oder tut sie nur so? Weshalb trägt sie – außer wahltaktischem Geplänkel- offensichtlich nichts zur Aufklärung der Affäre und zur Wiederherstellung der kommunalpolitischen Hygiene bei?!

Jochen Martin

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