Zwischen den Ämtern
Sep 152005
 

Von Pontius zu Pilatus

Eine junge Mutter ohne Geld zwischen sämtlichen Ämtern

(noa) Wie war das noch gleich mit Hartz IV und den Leuten unter 25? Junge Arbeitslose sollen in erster Linie in eine Ausbildung, wenn das nicht klappt, in Arbeit, mindestens aber in eine Arbeitsgelegenheit? Auf jeden Fall aber soll für sie gesorgt sein? Dieser Fall wirft erhebliche Zweifel auf.

Jessica K. (der vollständige Name ist der Redaktion bekannt) ist 21 Jahre jung und Mutter der dreijährigen Vivian. Sie hat keine Berufsausbildung, will das aber nun, da ihre Tochter in den Kindergarten gehen kann, ändern. Schon im Februar besprach sie mit Herrn B. von der GAQ ihr Vorhaben, im Schuljahr 2005/2006, also ab dem 25. August, das Berufsgrundbildungsjahr Holztechnik zu besuchen. Der Alg II-Bezug für Mutter und Kind, so lautete die damalige Auskunft von Herrn B., sei während dieser Maßnahme gewährleistet.
Am Tag vor Schuljahrsbeginn, einem Mittwoch, sucht Jessica morgens um 9 Uhr das Job-Center auf, um sich einen Änderungsbescheid für die laufende Leistung geben zu lassen. Ihre Tochter bekommt mit Vollendung des 3. Lebensjahres 5 Euro mehr von der Unterhaltsvorschusskasse, die beim Alg II abgezogen werden, und Jessica braucht den neuen Bescheid, um die Bezahlung des Kindergartenplatzes zu erwirken. Herr H., der beim Job-Center für sie zuständig ist, empfängt sie nach anderthalb Stunden Wartezeit, kann aber ihre Daten nicht im Computer finden. Auch Frau K., die sie zufällig abfängt, als sie unterwegs ist, um sich „eine Etage höher“ zu beschweren, kann dem Computer keine Angaben entlocken. Offenbar findet sie aber im Büro ihres Kollegen H., bei dem Jessica zuvor vergebens war, ein Schreiben, das Jessica hätte kennen müssen, das ihr aber noch nicht zugestellt worden ist. Datiert vom 19. August, beinhaltet dieses Schreiben die Aufhebung der laufenden Leistungen ab dem 1. September. (Sie findet es zusammen mit dem Änderungsbescheid, der übrigens auch das Datum vom 19.08. trägt, am späten Nachmittag nach ihrer Odyssee durch die Ämter in ihrem Briefkasten.)

Also doch kein Alg II während des BGJ-Besuches? Und was stattdessen?

„Eine Etage höher“ bekommt Jessica die entsprechenden Gesetzesparagrafen genannt und erfährt, dass sie für sich selber BAFöG und Kindergeld und für ihr Kind Sozialgeld beantragen muss. Es ist mittlerweile halb 12, und die Sozialgeldstelle hat nur bis 12 Uhr geöffnet. Am nächsten Tag geht die Schule los; Jessica hat also nur noch eine halbe Stunde Zeit, den Lebensunterhalt für ihr Kind zu organisieren. Für sich selber wird sie heute vielleicht sogar nichts mehr tun können, denn die BAFöG-Stelle hat mittwochs zu.
Fünf vor zwölf kommt Jessica im Rathaus an. Sehr erstaunt erfährt sie, dass Frau M. von der Sozialgeldstelle schon am Tag zuvor in ihrer Angelegenheit Post vom Job-Center bekommen hat. Wissen denn außer Jessica selbst schon alle anderen Bescheid? Tja, aber die Sozialgeldstelle, so Frau M., hat für die kleine Vivian nicht aufzukommen, sondern laut SGB XII § 21 – das Job-Center!
Bevor sie dorthin zurückgeht, sucht sie erst einmal im Cityhaus die Wirtschaftliche Jugendhilfe auf, um den Kindergartenbeitrag zu beantragen. Ihre Nerven liegen schon blank, weil sie nicht weiß, wovon sie und ihr Kind ab jetzt leben sollen, und so erzählt sie der Sachbearbeiterin, die es ja eigentlich nichts angeht, ihre ganze Situation. Freundlicherweise ruft diese auch bei der BAFöG-Stelle an, so dass Jessica sich heute schon einen Antrag rausholen kann. Dort erfährt sie, dass die nächsten Zahlungen erst am 1. Oktober erfolgen werden. Und dass sie dann im Höchstfall 412 Euro bekommen wird. Und – fast noch interessanter: Dass auch die BAFöG-Stelle schon am Vortag in ihrer Sache Post vom Job-Center bekommen hat.
Mit der genannten BAFöG-Höchstsumme wird Jessica K. 200 Euro unter dem Existenzminimum liegen. Das Job-Center wird ja für ihren Anteil der Unterkunftskosten nicht mehr zuständig sein, wenn es kein Alg II mehr gibt. Kann sie es sich unter diesen Umständen überhaupt leisten, zur Schule zu gehen? Sie will aber etwas lernen, das BGJ als Einstieg nutzen, um irgendwann einmal in der Lage zu sein, für sich und ihr Kind aufzukommen. Und nun sieht es so aus, als müsste sie diese Pläne aufgeben und arbeitslos bleiben…
Am nächsten Tag gibt Jessica ihren BAFöG-Antrag ab und geht anschließend zur Sozialgeldstelle. Während sie noch im Flur wartet, bekommt sie einen Anruf von Frau G. (Job-Center), der Unterzeichnerin der beiden Briefe, die sie gestern Abend etwas verspätet bekommen hat. Frau G. hat mit ihrem Vorgesetzten den Fall durchgesprochen mit dem Ergebnis, dass Jessicas Tochter definitiv keinen Anspruch auf Alg II habe. Damit ist der eben erst zugestellte Änderungsbescheid gegenstandslos.
Nach einer Stunde Warten darf sie zu Frau M. ins Büro. Diese hat auch eben einen Anruf von Frau G. bekommen und erfahren, dass das Job-Center nicht zuständig für Vivian sei – bestimmt, so Frau M., sei aber auch die Sozialgeldstelle nicht zuständig dafür, für das Kind aufzukommen. Es gäbe einen Gerichtsbeschluss über einen entsprechenden Fall, den sie nur gerade nicht finden könne.
Jessica lässt sich von ihr schriftlich bestätigen, dass es für ihre Tochter keine Zahlung von Sozialgeld geben wird.
Vom Rathaus ist es nicht weit bis zu RAN und WIWA, wo Jessica ihren Fall schildert und von wo aus sie bei der GAQ anrufen kann. Sie bittet darum, dass Herr B., der ihr im Februar versichert hat, während ihres BGJ-Besuches bekäme sie AlG II für sich und das Kind, bei Frau G. anrufen möge, um diese Frage noch einmal zu erörtern.
Zu Frau G. geht sie von RAN und WIWA aus. Herr B. ruft dort an, spricht mit Jessica persönlich und erklärt ihr, dass er damals im Februar bei der BAFöG-Stelle die Auskunft erhalten habe, dass BGJ-SchülerInnen Alg II bekämen – erst hinterher habe sich herausgestellt, dass das aber nicht für allein erziehende SchülerInnen mit eigenem Haushalt zutrifft. Im anschließenden Gespräch mit Frau G. bietet diese ihr ein Darlehen in Höhe von 500 Euro für den Monat September an.
500 Euro reichen gerade für die Miete und den Strom. Was sollen Jessica und Vivian im September essen?
Am 26. August bittet Jessica bei der Kindergeldstelle in Emden um ein Antragsformular. Sie will Kindergeld für sich selbst beantragen. Am Telefon erfährt sie, dass sie frühestens in zwei Monaten Geld von dort bekommen wird.
Vielleicht kann die Arbeitsloseninitiative helfen? Werner Ahrens studiert die Gesetze, die er schon x mal durchgearbeitet hat, noch einmal unter diesem neuen Aspekt. Er kommt zu dem Schluss, dass Jessicas Tochter Sozialgeld bekommen muss – eigentlich auch logisch, denn wenn die Mutter aus dem Alg II-Bezug draußen ist, das Kind aber noch nicht arbeitsfähig ist, bleibt ja nichts anderes.
(Tatsächlich bekommt Jessica K. jedoch einige Tage später Bescheid von Frau G.: Das Job-Center wird nun doch für das Kind zahlen.)
Und Werner Ahrens weist Jessica darauf hin, dass sie nun, da sie kein Alg II und damit keine Kosten der Unterkunft mehr bekommt, Wohngeld beanspruchen kann.
Ob und in welcher Höhe Jessica Wohngeld bekommt, darüber war bei Drucklegung dieser Gegenwind-Ausgabe noch nichts bekannt. Mittlerweile hat sie allerdings schon einen weiteren Schlag erlebt: Den Kindergartenplatz will man nur für halbe Tage bezahlen. Es ist keine Notlage – Jessica muss ja nicht zur Schule gehen!
Ach so! Es ist also doch besser, lieber arbeitslos zu bleiben, sich nicht um Qualifizierung zu bemühen?!?!
So leicht gibt sie nicht auf. Sie legt bei der Wirtschaftlichen Jugendhilfe ihren Stundenplan vor, um nachzuweisen, dass sie für Vivian wirklich einen Ganztagsplatz braucht. Ob ihr der bezahlt wird, auf diesen Bescheid muss sie eine Weile warten, denn die zuständige Kollegin ist gerade im Urlaub.

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