Wahlprogramme
Aug 211996
 

Der kleine Unterschied

Der Gegenwind schaute in die Programme der Parteien zur Kommunalwahl

(noa/ef) Ach, wie war es doch vordem (vor früheren Kommunalwahlen) für den GEGENWIND bequem (zu denselben etwas zu schreiben). Vor fünf Jahren verzichteten wir auf Stellungnahmen der SpitzenkandidatInnen, denn: „In Wahlzeiten ist es praktisch unmöglich, von den KandidatInnen auch nur ein. vernünftiges Wort zu erheischen. Alles ist Wahlkampf – alles Friede – Freude – Eierkuchen oder Niedermachen des politischen Gegners.“ (Gegenwind Nr. 103 vom Oktober 1991)

Damals konnten wir aber wenigstens einen Blick in die Programme werfen. Das gestaltete sich in diesem Wahljahr erheblich schwieriger. Ob es am Wahltermin fünf Wochen nach den Sommerferien liegt? Sechs Wochen lang war tote Hose.
Und auch jetzt können wir trotz Verschiebung des Redaktionsschlusses nur die Programme von vier Parteien/Gruppierungen vorstellen von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD, der CDU und der Unabhängigen Wilhelmshavener Bürger (UWB). Die Programme von FDP, Republikanern und PDS liegen uns nicht vor.

„Mehr Grüne ins Rathaus“

ist das Programm von Bündnis 90/Die Grünen überschrieben. Aus sicheren Quellen wissen wir, daß außer diesen auch Teile der CDU und der SPD diesen Wunsch hegen. Wir sollen es „pst! nicht weitersagen“, aber in der CDU meinen einige, daß die SPD entgegen dem Bundestrend in Wilhelmshaven nicht so große Verluste erleiden wird, daß sie in die Opposition muß, es sei denn, sie gibt Stimmen an die Grünen ab -und angesichts dessen, wie die SPD in den letzten Monaten mit den Grünen Ratsmitgliedern Fröhling und Kläne umgesprungen ist, könnte das ja passieren. Mehr Grüne ins Rathaus wünschen sich dem Vernehmen nach auch einige SozialdemokratInnen, die sich von einem Wechsel der SPD auf die Oppositionsbänke eine politische Erneuerung ihrer Partei versprechen.
Als einzige Partei rechnen die Grünen mit den unerfüllten und unerfüllbaren Wunschträumen vergangener Jahre ab: „Wilhelmshaven sollte bedeutendstes, großstädtisches Zentrum der Region, Energiedrehscheibe Europas, Entsorgungszentrum für Hunderte von Nordsee-Ölplattformen, Einfallstor für das Riesenland China werden. Alle diese Wunschträume gehen oder gingen nicht in Erfüllung.“ Statt dessen ist Wilhelmshaven jetzt eine arme Stadt mit steigender Arbeitslosigkeit, aber sinkender Bevölkerungszahl, ungelösten Umweltproblemen, ungenutzten strukturellen technologischen und innovativen Möglichkeiten und abenteuerlichen Verkaufsabsichten der gesunden Jade-Wobau zur Stadtsäckelsanierung. Die Grünen folgern daraus: „Wir müssen uns auf eine andere, bessere Zukunft vorbereiten!“ Zu diesem Zweck fordern sie, die tatsächlich vorhandenen Qualitäten der Stadt wie „hoher Freizeitwert,
weitgehend intakte Umwelt, geringe Verkehrsbelastung, gutes Kulturangebot, großes qualifiziertes Arbeitskräftepotential, anerkannte Forschungseinrichtungen, Fachhochschule, entwicklungsfähiger Hafen, gut erschlossene und hervorragend angebundene Gewerbeflächen“ zu nutzen.
Abgesehen von einer stärkeren Berücksichtigung von Frauenbelangen in allen Bereichen und verstärkter BürgerInnenbeteiligung bei den Zukunftsaufgaben fordern die Grünen nichts signifikant anderes als die anderen Parteien. In einem wichtigen Punkt sind sie jedoch allen anderen voraus: „Wir brauchen eine Zielplanung, denn die nächsten 10 bis 20 Jahre werden über das Schicksal Wilhelmshavens entscheiden. Von Bonn und Hannover können wir nur Hilfe erwarten, wenn wir selber wissen, was wir wirklich wollen.“ Kurzum: „Kein zielloses Herumgewurschtel wie bisher!“
Dem werden bestimmt viele aus vollem Herzen zustimmen. Ob nun aber tatsächlich mehr Grüne ins Rathaus kommen, bleibt abzuwarten.

„Bürgerwille statt‘ Parteienfilz“

haben die Unabhängigen Wilhelmshavener Bürger (UWB) als Überschrift für Ihr Wahlfaltblatt gewählt. Es ist nett gemacht – wo sonst sieht man einen hundekorbhaltenden, aufs Fahrrad (ohne Beleuchtung!) gestützten Spitzenkandidaten nebst Gattin auf einem Wahlprospekt? Im Programm wird knapp und kernig alles gesagt, was der Normalbürger wünscht: Eine gläserne Rathauspolitik, mehr Bürgernähe statt Parteienfilz, Land und Bund sollen in die Pflicht genommen werden, durch Sonderprogramme Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Wirtschaftsförderung gehört für die UWBler in Privathand. An einer sinnvollen, flächendeckenden Stadtsanierung soll gearbeitet werden. Statt Steuererhöhungen soll Privatisierung vorangetrieben werden. „Altlasten werden nicht durch ständig neue Gutachten beseitigt, sondern durch Konzepte, die die tatsächliche Lösung der Altlastenprobleme vorsehen.“ (Wo sie recht haben, haben sie recht!) Im schulischen Bereich fordern die UWB „moderne Bildungseinrichtungen statt kaputte Schulen“, und Sportförderung soll Pflicht werden.
Alles liest sich gut, zu fast allem könnte man ja sagen. Doch es ist einfach, als kleine Wählergruppe mit solchen Aussagen auf Stimmenfang zu gehen. Sollte es den UWB dadurch gelingen, wieder einen Sitz im Rat zu bekommen, können sie getrost feiern. Doch wer mehr als das erreichen will, muß schon ein gehöriges Stück Butter bei die Fische legen.
Bei den bei den großen Parteien steht aufgrund ihres Stimmenanteils bei der letzten Kommunalwahl die SPD vorn. Entsprechend kostenaufwendig war auch ihr Programm.
Unter dem Slogan

„Weiter mit uns. Für Wilhelmshaven.“

posiert Eberhard Menzel in der Haltung des Kleinen Kaisers auf dem Titelblatt. Im Vorwort der Wahlbroschüre erinnert er die lieben Wilhelmshavenerinnen und lieben Wilhelmshavener daran, daß er“ gemeinsam mit (seinen) politischen Freunden … Verantwortung übernommen (habe), wo andere sich verweigerten.“ Man muß schon ein politisch sehr interessierter Bürger sein, um zu erahnen, was er damit aufzeigen will. Und weiter: „Dies hat es möglich gemacht, gewachsene Strukturen zu bewahren und auszubauen, neue Aufgaben anzugehen… unter schwierigen Rahmenbedingungen positive Entwicklungen einzuleiten.“ Das kommt dem o.a. Bürger bestimmt bekannt vor, denn im Wahlblatt vor fünf Jahren stand: „… wurden die gewachsenen Strukturen unserer Stadt unter schwierigen Bedingungen bewahrt, wurden neue Aufgaben angegangen und positive Entwicklungen für Wilhelmshaven eingeleitet. “ Alles im Leben geschieht halt zumindest zweimal.
Angewachsen ist nunmehr das SPD-Programm auf die doppelte Seitenzahl, also acht. Zu zehn Einzelthemen steht jeweils sehr viel darüber, was hier in den letzen Jahren erreicht wurde (37 neue Firmen mit 1500 neuen Arbeitsplätzen – nicht erwähnt werden die Firmenschließungen mit den „freigesetzten“ Arbeitskräften; Bau und Umbau von 14 Kindergärten mit insgesamt 520 neuen Kindergartenplätzen – die noch fehlenden annähernd 600 Kindergartenplätze zur Erfüllung des seit 1.8. bestehenden gesetzlichen Anspruchs bleiben unerwähnt; schwerpunktmäßige Verbesserung der Ausstattung der Schulen durch Bereitstellung von Sondermitteln – keine Rede davon, daß es in einigen Schulen reinregnet… ).
Zukunftsmusik: „Die Expo am Meer soll verwirklicht werden. Hier werden wir über Jahre hinaus eine weltweite Werbung für Wilhelmshaven bekommen. ( … ) Wir wollen diese Entwicklung (gemeint ist die Stadtentwicklung, d. Verf.) trotz der schwierigen Finanzlage auch in den nächsten Jahren fortführen. ( … ) Weiterhin wollen wir die Möglichkeiten für Spiel und Sport für diejenigen, die vereinsungebunden Sport treiben wollen, erhalten und schrittweise erweitern. (. .. ) Wir betreiben eine offensive Energieberatung, die auch in die Schulen getragen wird.“ Usw.
Das Wahlprogramm der SPD ist ein Sammelsurium von teils nicht nachprüfbaren, teils geschönten Erfolgsmeldungen, dafür vollgepackt mit zum großen Teil nicht finanzierbaren Wünschen.

„Raus aus der Krise – Wilhelmshaven braucht den politischen Wechsel“

lautet der Arbeitstitel des Entwurfs des CDU-Wahlprogramms. (Das endgültige Programm lag uns bei Drucklegung noch nicht vor.) Auch die CDU braucht viel Papier, um den Bürgern klarzumachen, daß Wilhelmshaven Petra Gottschalk als Oberbürgermeisterin und die „stärkste CDU aller Zeiten“ braucht. Deshalb gibt es harsche Angriffe auf den politischen Gegner, dem man „bürokratische Unzulänglichkeiten, mangelhaftes Verständnis für ökonomische Belange und Phantasielosigkeit … finanz- und wirtschaftspolitisches Versagen (und) … rote(n) Filz (in der) Stadtverwaltung“ anlastet. (Schon vor fünf Jahren, beim GEGENWIND-Preisausschreiben „Wer bastelt ein besonderes Wahlprogramm?“ belegte die CDU Platz 1 in Sachen Beschimpfung des politischen Gegners. Bei einer Neuauflage dieses Wettbewerbs würde sich daran nichts ändern.)
Was nun folgt, ist nahezu identisch mit dem Programm der Sozis. Zwar wird unter“ Arbeitsplätze und Wirtschaft“ der „SPD und den ihr hörigen Beamten in der Verwaltungsspitze“ vorgeworfen, Firmen aus der Stadt vergrault zu haben, doch ansonsten hat man gleiche Vorstellungen wie die Roten in Sachen Wirtschaftspolitik, Ansiedlung und Tourismuswirtschaft etc. Unter „Familie und Soziales“ bietet die CDU den Familien ein Kindergartenersatzprogramm (Tagesmütterprojekt) mit kommunalem Kindergeldzuschuß an.

Eine schicke Broschüre zur Kommunalwahl erstellte das Amt für Wahlen und Statistik. So richtig liebevoll hat Amtsleiter Rudolf Perkams erklärt, was es mit den drei Stimmen auf sich hat, wer wählen darf und wer nicht, wo man wählen kann und dass man per Brief wählen kann, wenn man am 15. September verhindert ist und und und. Leider aber gibt es von diesem Schmuckstücknur3000 Exemplare für immerhin71744 Wahlberechtigte. Das muß gut organisiert werden! Wie wäre es mit der Gründung einer Wahl-Broschüren-Weitergabe-Kette?

Als Oppositionspartei hat die CDU weniger Möglichkeiten als die SPD zum Selbstlob, aber: „Die erfolgreiche Einrichtung des Reha-Zentrums in Wilhelmshaven ist unter maßgeblicher Beteiligung der CDU zustande gekommen. ( … ) Unsere Stadt gewinnt durch die exzellente Arbeit in dieser Einrichtung einen hervorragenden Ruf als Kur- und Reha-Stadt. (…) Der von der CDU initiierte Prüf- und Beratungsdienst hat große Erfolge bei der Bekämpfung von Sozialhilfemißbrauch gezeigt. Die angemessene Überprüfung von Leistungsempfängern im sozialen Bereich muß gestärkt werden, um die Mittel für wirklich Bedürftige zur Verfügung zu haben.“ Hier kann die CDU im Falle eines Wahlsieges mit der Unterstützung der UWB rechnen, die gleichfalls „Sozialmißbrauch … wirksam … bekämpfen“ wollen.
Unter „Privatisierung und Verwaltungsreform“ kündigt die CDU für den Fall der Machtübernahme im Rathaus eine nahezu totale Privatisierung an. So will man Ämter wie das Grünflächenamt, Amt für Wirtschaftsförderung und Gebäudereinigung an private Betreiber überführen. Das Hochbauamt wollen die Christdemokraten ganz liquidieren. Vor allem soll es der Straßenreinigung und den Müllwerkern an den Kragen gehen: Die Straßenreinigung soll sich auf Hauptverkehrsstraßen beschränken. Ansonsten soll die sog. Heppenser Fegeordnung stadtweit Anwendung finden. Das Aus gibt es auch für die Mülltonnentransporteure. Nach CDU-Vorstellungen sollen Häuslebesitzer und wohl auch Mieter künftig die Mülltonnen gefälligst selbst zur Straße bringen, denn „dann würden statt fünf nur noch zwei Personen benötigt und bezahlt werden müssen“. In Stufe 2 des CDU-Plans will man dann nur noch privat entmüllen.
Sozialhilfeempfänger für gemeinnützige Arbeiten heranzuziehen, hält die CDU für durchaus vertretbar. Und wenn’s der Entschuldung dient, ist man auch bereit, städtisches Eigentum zu versilbern.
Unter „Marine und Hafen“ stellt die CDU heraus, daß sie die einzige Partei ist, die von Anfang an fest zu Marine und Arsenal gestanden hat. „Demgegenüber haben sich andere politische Gruppen, die heute den Verlust der Arbeitsplätze bei der Marine und im Arsenal beklagen und kritisieren, früher stets gegen die Bundesmarine ausgesprochen.“
Weitgehend gleichlautend mit SPD-Aussagen sind die CDU-Vorstellungen zu „Umwelt, Verkehr und Technologie“. (Wie man es allerdings schafft, die Attraktivität des städtischen Busverkehrs zu steigern, wenn man gleichzeitig Wert darauf legt, daß die Bewohner der Randgebiete mit dem eigenen Auto ins Stadtzentrum und zum Arbeitsplatz fahren sollen, wird so mancheR BürgerIn nicht begreifen.) Auch zu Themen wie Bildung, Kultur und Sport sind die Unterschiede zwischen den Programmen der beiden großen Parteien kaum wahrnehmbar.
Zusammengefaßt kann man auch vom CDU-Programm sagen, daß man vieles verändern will, was man aus finanziellen Gründen dann nicht verwirklichen können wird – aber wer schreibt so etwas schon in ein Wahlprogramm?

 

So ganz neu ist das, was die Parteien in ihren Programmen ankündigen, nicht. Neu ist jedoch das Zählverfahren. Landesweit gilt jetzt die Methode nach D’Hondt. Gegenüber dem bisher angewandten Hare-Niemeyer-Verfahren werden dadurch die großen Parteien begünstigt. Kein Wunder, daß unsere SPD-Landesregierung dem D’Hondtschen Verfahren den Vorzug gibt!

Die Benachteiligung der kleinen Parteien durch die neue Zählweise hat im Frühling dieses Jahres bei den Wilhelmshavener Grünen zu der Überlegung geführt, ob nicht eine Zählgemeinschaft mit einer anderen (großen) Gruppe mithelfen könnte, „mehr Grüne ins Rathaus“ zu bringen. Dies führte zu dem Gerücht, die Grünen planten eine Koalition mit der CDU. Weitere Nahrung erhielten diese Mutmaßungen später durch empörte Äußerungen der Menzel-geschädigten Grünen Ratsmitglieder über die SPD. Menzel hatte Fröhling und Kläne öffentlich zu Unrecht bezichtigt, ihn in der Süddeutschen Zeitung verleumdet zu haben. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Überlegung eines Zusammengehens mit einer großen Partei längst vom Tisch.

 

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