Verstromungszentrum
Apr 191993
 

Ausstieg aus dem Einstieg?

Drei zusätzliche Kraftwerkklötze will die PreussenElektra auf den Rüstersieler Groden setzen.

(jm) In den siebziger Jahren versuchte das einschlägige Establishment in Stadt und Land, Wilhelmshaven zur Energiedrehscheibe Deutschlands aufzublasen. In den Achtzigern ging ihnen die Puste aus. – Jetzt haben sie einen Pusteballon von der PreussenElektra bekommen. Mit Aufdruck Verstromungszentrum Wilhelmshaven.

Der Strommonopolist will sich mit dem Verfeuern von Billigkohle (importierter Braunkohle) fitmachen für den EG-Markt. Die EG knabbert nämlich an den Privilegien der Stromkonzerne und ein erster Hauch von Wettbewerb durchweht die Zentralen der Kartelle. Doch Abnahmeverpflichtungen mit zwanzigjähriger Laufzeit – wie sie die Gas- und E-Werke Wilhelmshaven (GEW) vor fünf Jahren bei der PreussenElektra dummerweise eingegangen sind – ermöglichen den Monopolisten den Bau neuer Großkraftwerke.

Dies ist nämlich die Logik der Stromkonzerne:

Um langfristig planen zu können, sind langfristige Stromabnahmeverpflichtungen erforderlich. – Um den daraus erwachsenden Lieferverpflichtungen nachkommen zu können, müssen neue Kraftwerke gebaut werden. – Damit die preiswerten Strom erzeugen können, müssen sie möglichst groß sein. – Damit sie möglichst groß gebaut werden können, muß viel Strom verbraucht werden. – Und damit auch ja hemmungslos ‚Strom verbraucht wird, werden die Energiesparer mit einem hohen Grundpreis bestraft und die Verschwender mit einem niedrigen Arbeitspreis belohnt.

Die Stromkartelle fördern mit ihrer Preispolitik aber nicht nur die Energieverschwendung von Verbrauchern! Schon bei der Stromerzeugung in ihren Kraftwerken geht zwei Drittel der Energie durch ungenutzte Abwärme verloren. Beim Ferntransport in Überlandleitungen steigt der Energieverlust mit Zunahme der Entfernung zwischen Stromverbraucher und –erzeuger weiter an.
In verbrauchernahen Wärmekraftwerken fallen solche Energieverluste nicht an, weil sie die Abwärme für Heizzwecke nutzen können und die Leitungsverluste viel geringer sind. Es gibt Gemeinden, die diese Vorteile zu nutzen wissen. Und es gibt eigentlich nur ein wesentliches Hindernis auf dem Weg in die kommunale Selbstversorgung mit Strom und Wärme: Das sind Strommonopole, wie z.B. die PreussenElektra, welche deren zunächst kostenträchtigen Ausbau , durch zusätzliche Strompreiserhöhungen zu begegnen suchen. Das schreckt noch viele ab.
Trotzdem sind immer mehr Stimmen zu vernehmen, die sich aus der Umarmung der Monopole befreien oder – wie viele Gemeinden in den Neuen Bundesländern – da erst gar nicht hineingeraten wollen.
Es spricht sich nämlich langsam herum, daß es für viele Gemeinden langfristig auch wirtschaftlich günstiger ist, ihren Strom- und Wärmebedarf durch Eigenerzeugung zu decken.

Und ökologisch macht das auch Sinn:
  • Einsparung von Kohle, Öl und Gas wegen des höheren Nutzungsgrades bei der Kraft/Wärmekoppelung und den kurzen Distanzen zwischen Erzeugern und Verbrauchern.
  • Die Einbeziehung regionaler Energievorräte (Wind, Sonne, Wasser, Erdwärme, Biomasse, Biogas, etc.)

Begleitet von einer Preispolitik und Programmen, die Energie sparen belohnt, wird auf diese Weise ein kommunaler Beitrag zur Schonung der Energieressourcen und zur Entlastung der Umwelt geleistet.
Sind die Dämme, die die Strommonopole dagegen aufgeschüttet haben erst einmal durchbrochen, dann wird es ihnen voraussichtlich genauso ergehen, wie dem Computergiganten IBM mit seinen Großrechnern: Wie jener Branchenriese von den Personal-Computern (PC), werden sie wahrscheinlich durch die technische Entwicklung einer Vielfalt bedarfsgerechter Kleinkraftwerke, Energiegewinnungsanlagen etc. an den Rand gedrückt werden. Denn ähnlich wie bei IBM, können auch sie mit ihren nicht anpassungsfähigen Großkraftwerken nur wenig zur längst überfälligen Innovation bei der Energieerzeugung beitragen. Sie beschränken sich seit eh und je hauptsächlich auf Dampfturbinenkraftwerke. Nur die Dampferzeugung ist verschiedenartig. Mal geschieht es durch Gas-, Öl- oder Kohlefeuerung, mal mittels Atomkernspaltung.
Wir Wilhelmshavener sollten uns wohl überlegen, ob wir uns von solch‘ unzeitgemäßer Dinosauriertechnologie – falls die überhaupt noch zum Zuge kommt – die Luft verpesten, die Jade aufheizen und den Voslapper Groden mit Millionen und Abermillionen Tonnen von Schlacke, Asche und Filterstäuben dichtkippen lassen wollen!

Endlich, aber noch rechtzeitig, haben sich ein paar Wilhelmshavener und Friesländer zu einer Arbeitsgemeinschaft gegen Kohleverstromung (AGK) zusammengefunden. Sie treffen sich das nächste Mal am 27. Mai um 20 Uhr im Grünen Büro, Ulmenstr. 26 in WHV.

Des Weiteren ist zu bedenken, daß sich die Bundesregierung angesichts des drohenden globalen Klimakollaps international verpflichtet hat, die C02-Emissionen in Deutschland drastisch zu senken! Das paßt doch irgendwie nicht zusammen mit der zusätzlichen Verbrennung mehrerer Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr in Wilhelmshaven. Das Aus für den Bau weiterer Kohlekraftwerke liegt doch bei Zuspitzung des Treibhauseffektes förmlich auf der Hand.
Und was kommt dann Herr Ministerpräsident Gerhard Schröder? Der Ausstieg aus dem Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft? Mit anderen Worten: soll die PreussenElektra dann in Wilhelmshaven Atomkraftwerke bauen?

Sie (die Landesregierung, der Verf.) erwartet, daß mit Fertigstellung dieses modernen Kraftwerks mit Wärmeauskoppelung (geplant ist ein Gaskraftwerk in Stade, der Verf.) der Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergienutzung gelingt.
Ein weiteres Kraftwerkprojekt wird unter dem Stichwort Verstromungszentrum Wilhelmshaven diskutiert. Ministerpräsident Schröder und der Veba-Chef Piltz haben vereinbart, die Realisierungschancen für ein solches Projekt untersuchen zu lassen. Auch für dieses Projekt ist energiepolitischer Hintergrund das Ziel, den weiteren Ausstieg aus der Kernenergie zu ermöglichen.

(Zitiert aus dem Programm für eine kernenergiefreie Elektrizitätsversorgung in Niedersachsen; herausgegeben vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr im Januar 1993.)

 

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