Sykes
Jul 012001
 

Ohne Betriebsrat keine Chance

Das gilt für alle Call Centers – und besonders für Sykes in Roffhausen

(noa) Im letzten Gegenwind kündigten wir für den 7. Juni die Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes für einen Betriebsrat bei Sykes im TCN in Roffhausen an. Das war etwas ungenau. Tatsächlich waren es zwei Betriebsversammlungen, bei denen zwei Wahlvorstände gewählt wurden. In Roffhausen gibt es nämlich zwei selbständige Firmen der Sykes Enterprises – mit Gemeinsamkeiten, aber auch gravierenden Unterschieden.

Sykes classic – 1. Klasse

Da ist zum einen die Firma Sykes Classic GmbH&CoKG. Sie ist z.T. in dem neuen Gebäude außerhalb des TCN-Geländes untergebracht. Dieses Gebäude wurde zwar von einem Sykes-eigenen Architekten geplant, aber von der Gemeinde Schortens errichtet, und die Sykes Classic ist dort Mieterin. Als eine „Legebatterie“ bezeichnet es ein Mitarbeiter. Alle agents schauen in die Mitte des Raums und haben während der Arbeit keinen Kontakt zueinander. Ob nach einem Weggang von Sykes eine andere Firma diese Räume wird nutzen wollen, ist ziemlich fraglich. Aber noch ist Sykes ja da, und ob die Firma die Drohung wahrmacht, den Standort Roffhausen aufzugeben, wenn ein Betriebsrat gewählt wird, bleibt abzuwarten.
Bei Sykes Classic arbeiten ca. 20 Teams von Call Center Agents für verschiedene Projekte. Firmen wie Motorola und Hewlett Packard haben ihren telefonischen Kundendienst ins Call Center ausgelagert (man nennt so etwas „outsourcing“). Den Teams sind je nach Größe zwei oder drei Teamleiter vorgesetzt, deren Aufgaben in Verwaltung und Überwachung bestehen und die ein wenig mehr Geld als die agents verdienen. Mehrere Teams bilden ein account, und die Leiter der accounts stehen entsprechend höher in der Hierarchie. Über ihnen stehen die operations managers, und ganz oben steht der director – bei Sykes Classic ist das zur Zeit Corinna Janssen.
Von Mitarbeitern der Sykes Classic erfuhren wir, dass unsere Angabe des Stundenlohns mit 13,50 DM zu niedrig gewesen sei, denn man fange mit 14 DM an. „Vor ein paar Jahren hat der vorletzte Geschäftsführer Schaffer mal eine Besuchergruppe durchs Haus geführt. Denen hat er gesagt: ‚Die Leute hier sind so doof, die fangen für 14 DM Stundenlohn an zu arbeiten’“, berichtet ein Beschäftigter. Trotz solcher Erlebnisse empfinden viele von denen, die schon seit fünf Jahren oder länger hier arbeiten, Stolz: „Der Standort Roffhausen hat einer Untersuchung zufolge europaweit die beste Qualität, und unser Schulungssystem wurde auf EMEA (Europe / Middle East / Africa) übertragen.“ Und: „Bekommt man denn in einer Anwaltskanzlei, im Einzelhandel oder einer Bank mehr als 16 DM in der Stunde?“
Für die Arbeit bei Sykes Classic braucht man keine besondere Ausbildung. Das heißt aber nicht, dass jeder sie verrichten kann. „Die Leute, die bei uns arbeiten, haben die unterschiedlichsten Qualifikationen, die sie in ihre jetzige Tätigkeit einbringen.“
Die Mitarbeitervertretung bei Sykes Classic besteht aus Teamsprechern, die jährlich im März gewählt werden. Sie können zweieinhalb Stunden ihrer Wochenarbeitszeit für ihre Tätigkeit als Sprachrohr des Teams aufwenden. Ihr Vorsitzender hat sogar 30 Stunden Freistellung. Mit dem Hinweis auf dieses Gremium begründet die Geschäftsführung, dass ein Betriebsrat nicht notwendig sei, doch die Teamsprecher haben nicht einmal so viele Rechte wie die Klassensprecher einer Schule: Sie können angehört werden, wenn die Geschäftsführung es möchte.

Sykes Telekom – 2. Klasse

Die andere Firma sitzt in der Olympiastraße 1 und heißt Sykes Enterprises Support Services B.V. Co. KG. Sie wurde für ein einziges Projekt gegründet, für die Auskunft der Telekom. Der Geschäftsführer ist Kurt Sölter. Von einem ehemaligen Mitarbeiter erfuhren wir, dass die Fluktuation unter den Beschäftigten sehr hoch ist. Von denen, die mit ihm zusammen im Herbst 2000 die Schulung mitgemacht haben, sind jetzt nur noch weniger als die Hälfte da. Das ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen die Leute dort arbeiten müssen.
Zunächst einmal müssen wir unsere Angabe des Stundenlohns, die wir für die letzte Gegenwind-Ausgabe von 13,50 DM auf 14 DM nach oben korrigiert hatten, wieder nach unten korrigieren. Seit Mai 2001 beträgt die Vergütung für neue Mitarbeiter dieser Firma ganze 12,50 DM! Davor haben alle mit 12 DM angefangen. Die Erhöhung der Grundvergütung um 50 Pfennig ging einher mit einer Streichung des Urlaubsgeldes, das bis dann noch gezahlt worden war. Die etwa 1000 DM mehr im Jahr durch die Heraufsetzung des Stundenlohns werden also gleich um 700 DM vermindert.

Frage an Radio Eriwan

Eine Leistungsprämie von monatlich bis zu 165 DM kann ein Mitarbeiter des Projekts Telekom bei Sykes erzielen. Jedenfalls im Prinzip. Erlebt hat unser Informant es in dem halben Jahr seiner Beschäftigung nicht, dass er die volle Leistungsprämie bekam. Sie setzt sich aus dreimal 55 DM zusammen, und die Bedingungen, unter denen man sie bekommt, werden je und je geändert. „Als ich anfing, gab es 55 DM, wenn die Gesprächsdauer pro Anruf 52 Sekunden nicht überstieg. Als ich knapp davor war, sie zu erreichen, wurde der Wert auf 48 Sekunden gesenkt. Am Ende hatte ich die beinahe erreicht, aber dann wurde diese Bedingung für die Prämie ganz abgeschafft und durch das Kriterium call completion ersetzt: Wenn du für einen bestimmten Prozentsatz deiner Kunden die Verbindung zum angefragten Anschluss gleich herstellst, wirst du belohnt.“
Die call completion ist interessant für Sykes, weil die Telekom als Auftraggeber scharf darauf ist, dass die Leute auf Telekomleitungen telefonieren und nicht auf ein billigeres Netz umsteigen, nachdem sie die gewünschte Rufnummer erfahren haben. Und um möglichst viele call completions zu ergattern, fragen manche agents den Kunden auch nicht, ob er das will, sondern kündigen einfach an, dass sie es tun werden.
Einen zweiten Teil der Prämie gibt es für einen bestimmten Prozentsatz an Auskünften per automatischer Ansage, und die dritten 55 DM gibt es, wenn man über 80% der Arbeitszeit tatsächlich den Hörer am Ohr und einen Kunden in der Leitung hat.
Das ist nicht immer zu schaffen, weil man gelegentlich auf „Sperren“ drücken muss. Dann ist man für Auskunft suchende Anrufer nicht erreichbar. Wenn man sich die Nase putzen will oder gerade husten muss, kann man keinen Anruf entgegennehmen, aber der häufigste Grund, auf „Sperren“ zu gehen, ist das Lesen von Nachrichten. Täglich gibt es betriebsinterne Informationen über Bildschirm, und die zu verpassen kann teuer sein, denn sie betreffen u.a. Änderungen im Prämiensystem.

14 Bücklinge täglich…

Die andere Möglichkeit, die Nachrichten zu lesen, ohne auf „Sperren“ zu gehen, wäre es, einen Teil der Pause zu opfern. Das mag niemand, weil von der Pause schon sowieso ein Teil abgeht durch das System, nach dem man sich zur Pause an- und von der Pause zurückmelden soll: Nachdem man seinem Computer mitgeteilt hat, dass man nun geht, muss man auch noch zum cubicle, wo der Teamleiter sitzt, und eine Unterschrift leisten, und bei der Rückkehr aus der Pause ist dieser Umweg (mit Unterschrift) in umgekehrter Richtung fällig. Auf 14 Unterschriften täglich kommt man, wenn man die 60 Minuten Pause auf vier mal 15 Minuten verteilt und die An- und Abmeldung zur/von der Arbeit zu Beginn und am Ende der Schicht sowie die Reservierung von Pausen mitzählt.
Diese Unterschriften sind nicht notwendig zum Nachweis der Arbeits- und Pausenzeit. Ein Betrieb, im dem es von Computern wimmelt, erfasst natürlich die Anwesenheit und die Pausen elektronisch. Die zusätzlichen Bücklinge vor dem Teamleiter am cubicle (Cubückel!) dienen der Disziplinierung – „Wir wollen eine Hemmschwelle bei euch aufbauen, zu oft den Arbeitsplatz zu verlassen“, erläuterte ein Teamleiter.

…und andere Schikanen

Eine zusätzliche Schikane ist der Pausenstopp. Gelegentlich wird er verhängt, und dann darf niemand seinen Arbeitsplatz verlassen, egal, wie lange er schon unablässig telefoniert hat und ob er kurz vor der reservierten Pause ist. So ein Pausenverbot wäre einsehbar, wenn gerade Stoßzeit herrscht und alle Telefonleitungen voll wartender Kunden sind, doch das ist nicht immer so, wenn Pausenstopp verhängt wird. Die Mitarbeiter können auf ihrem Display sehen, ob sie eine Warteschleife haben, und es gab auch schon Pausenstopps, wenn die Warteschleifen leer waren. Die Begründung des Teamleiters: „Wir stehen kurz vor 90% Anwesenheitszeit – lasst uns das schaffen!“
Trotz der Computererfassung der Arbeitszeiten ist es sehr sinnvoll, für sich selber zusätzlich zu notieren, an welchem Tag man von wann bis wann im Betrieb war und wann man wie viel Pause genommen hat, denn gelegentlich wird ein agent erst Stunden nach seiner Ankunft im Betrieb vom Computer als anwesend registriert, und wer nicht selber Buch führt, kann am Ende des Monats vielleicht nicht mehr nachvollziehen, wie viele geleistete Arbeitsstunden nicht vergütet werden. Eine Mutter, die wegen Krankheit ihres Kindes zu Hause bleiben musste (bis zu sechs Tage im Jahr hat der Arbeitgeber die Kosten dafür zu tragen) stellte jedenfalls erstaunt fest, dass sie danach Minusstunden hatte, obwohl sie vorher im Plus gewesen war.
Allein erziehende Mütter oder überhaupt Menschen, die außer sich selbst jemanden ernähren müssen, kommen mit dem Lohn bei Sykes Telekom nicht aus und müssen ergänzende Sozialhilfe beantragen – mit 12,50 DM (nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit 13 DM) pro Stunde kann man keine Familie ernähren.

Legal – illegal – scheißegal

Mit den gesetzlichen Bestimmungen hat die Sykes offenbar nichts am Hut. Das Gesetz sieht für Bildschirmarbeitsplätze vor, dass die Arbeit abwechslungsreich sein muss und entsprechende Pausen, z.B. immer nach 50 Minuten Arbeit 10 Minuten Pause, gewährt werden müssen. Außerdem muss ein Mitarbeiter bei seiner Einstellung auf die möglichen gesundheitlichen Schäden dieser Arbeit hingewiesen werden. Das geschieht nicht. Als einmal der Betriebsarzt die Pausenräume inspizierte, nutzte ein Mitarbeiter die Gelegenheit, ihm zu sagen, dass alle KollegInnen dauernd unter Rückenschmerzen leiden. Der Mediziner gab ihm daraufhin den Rat, in der Freizeit Sport zu treiben.
Dass die Beschäftigten in einem solchen Betrieb ohne Betriebsrat kaum eine Chance haben, ihre Rechte zu wahren, liegt auf der Hand. Entsprechend groß waren die Bemühungen der beiden Geschäftsleitungen, die Wahl von Betriebsräten zu behindern.
Die vorgeschriebene Unterrichtung aller Mitarbeiter über die Betriebsversammlungen fand jeweils mittels eines Aushangs an einer Stelle, an der selten mal jemand vorbeikommt, statt. Am Morgen des 7. Juni schlug ein Teamleiter bei Sykes Classic vor, die Teams mittels eMail auf die Versammlung am Abend hinzuweisen, doch das wollten die meisten nicht. Sehr viele Beschäftigte werden also von den Betriebsversammlungen gar nichts gewusst haben.

Jetzt geht’s los

Immerhin fanden ca. 40 Beschäftigte von Sykes Classic und eine Stunde später ca. 50 Beschäftigte von Sykes Enterprises Support Services den Weg in den Roffhausener Hof, wo neben Cornelia Knieper vom ver.di Projekt Call Center die ver.di-Funktionäre Paul Dodenhöfer (HBV) und Konrad Sieg (DAG) die Wahl von Wahlvorständen organisierten.
Das Projekt Call Center hat sein Ziel damit erreicht und zieht sich wieder zurück. Jetzt liegt es in den Händen der Gewerkschaftsfunktionäre vor Ort, die beiden Belegschaften weiter zu beraten und zu begleiten. Die erste Aufgabe der Wahlvorstände besteht darin, eine Wählerliste zu erstellen. Hier wird es interessant sein, zu beobachten, ob die beiden Sykes-Firmen weiterhin Blockade betreiben.
Aus der zweiten Betriebsversammlung kam ein Mitarbeiter einer höheren Stufe schimpfend heraus: „Die wissen ja gar nicht, worum es geht!“, und weiter sagte er: „Die haben uns genötigt, einen Wahlvorstand zu wählen.“ Wie anschließend zu erfahren war, hatten Sykes-Mitarbeiter von der Stufe Teamleiter an aufwärts auch während der Versammlung reichlich „gemotzt“ und die ganze Sache zu sprengen versucht. Die Beschäftigten, die einen Betriebsrat dringend brauchen, werden gut aufpassen müssen, dass nicht ausgerechnet diese Leute gewählt werden und ihre Interessen anschließend hintertreiben.
Die Platzierung von U-Booten in den Betriebsräten scheint die Maßnahme der Sykes in Roffhausen zu sein, nachdem einstweilige Verfügungen gegen Betriebsratswahlen an anderen Standorten abgeschmettert worden sind. Dabei zeigt sich u.a. bei MSN in Roffhausen, dass die Angst der Sykes vor Betriebsräten unbegründet ist. In der „WZ“ vom 26.5.01 kamen Betriebsrätinnen der Firma MSN zu Wort, die keineswegs der Geschäftsleitung nur Knüppel zwischen die Beine werfen, sondern: „Wir bemühen uns um einen Mittelweg, die Interessen der Kunden mit den Belangen der Mitarbeiter unter einen Hut zu bringen.“
Auch Manfred Wolff, Unternehmensberater aus Aachen, rät den Betreibern von Call Centern dringend, Betriebsräte nicht zu verhindern, sondern „offensiv mitzugestalten. Seiner Erfahrung nach gründen Beschäftigte Betriebsräte aus Ärger und Wut – das Verhältnis zum Arbeitgeber ist dann auf Jahre belastet.“ (Transparent, Zeitschrift der DPG, März 2001)
Wir bleiben am Ball.

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