Schwarz-Grün
Feb 101998
 

Keine Kröten geschluckt

Wilhelmshavens Grüne stehen auch nach 1 ½ Jahren zur Zusammenarbeit mit der CDU

(noa/hk) Wer hätte dran geglaubt, dass in Wilhelmshaven ein Zusammengehen der Grünen mit der CDU von Dauer sein könnte? Wir jedenfalls nicht. Umweltprobleme, Arbeitslosigkeit, Militarismus, Ausländerfeindlichkeit – brandaktuelle Themen in Wilhelmshaven – eigentlich keine guten Voraussetzungen für Schwarz/Grün. In einem GEGENWIND-Gespräch mit dem Vorstand und der Ratsfraktion der Wilhelmshavener Grünen mussten wir uns eines Besseren belehren lassen. Zeitweise wehte gar ein zarter Hauch von schwarz-grüner Euphorie durch das Gespräch.

Gegenwind: Seit fast 1 ½ Jahren machen die Grünen in Wilhelmshaven ihre Politik gemeinsam mit der CDU. Könnt ihr überhaupt noch ‚grüne‘ Politik machen?
Werner Biehl: Die Situation nach der Kommunalwahl 1996 ist bekannt: Mit der SPD ging es nicht – nach 17 Minuten waren die Verhandlungen beendet. Als Grünen-Fraktion wären unsere Einflussmöglichkeiten auf ein Minimum geschrumpft. In einigen Ratsausschüssen wären wir gar nicht vertreten gewesen, in anderen ohne Stimmrecht und nur in einigen wenigen mit Stimmrecht. In den Aufsichtsräten (Freizeit, GEW, Sparkasse usw.) wären wir auch nicht vertreten gewesen.
Marianne Fröhling: Wir hätten ja keinen Fuß mehr in der Tür gehabt – und da wollen wir uns nichts vormachen: Die Musik wird oftmals in den Aufsichtsräten gespielt.
Werner Biehl: In den im Vorfeld der Kommunalwahl von Gerd Kläne und Dr. Uwe Biester geführten Gesprächen haben wir festgestellt, dass wir uns mit denen, wenn beide Seite ihre ideologischen Begriffe außen vor lassen, über alle Themen auseinander setzen können. So können beide Seiten dazulernen und zu neuen Erkenntnissen und Entschlüssen kommen. Das ist etwas, was wir mit der SPD nie konnten.

Mit der CDU könnt ihr reden, mit der SPD nicht?
Marianne Fröhling: Die CDU-Leute sind offen, sie haben ein offenes Ohr für uns. Viele grüne Gedanken sind dadurch in diese Zusammenarbeit eingeflossen.

Gibt es Beispiele, wo grüne Politik ihren Niederschlag in der CDU fand?
Werner Biehl: Das Modell, das für die Wirtschaftsförderung in Wilhelmshaven erarbeitet wurde, war unser Modell. Zu unserer eigenen Überraschung hatte die Wirtschafts-Partei CDU dazu nur sehr nebulöse Vorstellungen. Wir haben uns hingesetzt und ein Modell entwickelt, wie Wirtschaftsförderung in Wilhelmshaven realisiert werden kann.
Marianne Fröhling: Mit diesem Papier – schon äußerlich als ‚Grünes‘ Papier zu erkennen, ist die CDU, ist Dr. Biester, in die Vorverhandlungen mit der SPD gegangen. Das war schon ein deutliches Zeichen. Die CDU hat dann auch durchgesetzt, dass wir einen Sitz im Aufsichtsrat der Wirtschaftsförderungsgesellschaft bekommen. Das wäre mit der SPD nie möglich gewesen!

Ist Wirtschaftsförderung denn ein Thema der Grünen?
Gerdi Kümmel: Die Grünen haben sich gemausert und besitzen inzwischen auch in diesen Fragen eine anerkannte Kompetenz. Wirtschaftsförderung hat in Wilhelmshaven etwas mit akutem Arbeitsplatzmangel zu tun. Und darum ist Wirtschaftsförderung für uns ein wichtiges Thema.
Werner Biehl: Die Baumschutzsatzung war früher für die CDU überhaupt kein Thema. Doch diesmal hat sie im Rat für eine Baumschutzsatzung gestimmt. Das ist ein weiteres Beispiel, wie grüne Gedanken in die CDU einfließen. Im Gegensatz zur SPD gibt es bei der CDU viel weniger ideologische Scheuklappen. Die sind bereit zu diskutieren, zu lernen, dazuzulernen; auch wenn sie am Ende dann doch zu einem anderen Ergebnis als wir kommen. Es sind deutlich Lernprozesse zu erkennen.

Macht ihr auch solche Lernprozesse in Bezug auf die CDU-Politik durch?
Marianne Fröhling: Natürlich. Zumindest was die Einschätzung der Personen angeht – das waren früher unsere potentiellen politischen Gegner.
Gerdi Kümmel: Das war schon ein komisches Gefühl, plötzlich in den Reihen der CDU zu sitzen – und man fühlt sich dabei nicht einmal unwohl.
Marianne Fröhling: Wir streiten uns ja auch richtig auf den Gruppensitzungen. Toll dabei ist, dass man sich hinterher nicht böse ist – man hat sich gestritten, Argumente ausgetauscht – man ist sich hinterher nicht böse. So etwas kenn‘ ich aus meiner SPD-Zeit überhaupt nicht.
In der Schulpolitik wurden grüne Vorstellungen zu CDU-Politik. Dann der Sozialausschuss – das hat nichts mit der schlimmen Politik der CDU auf Landes- und Bundesebene zu tun – da bin ich überrascht was für fortschrittliche Einstellungen viele CDU-Ratsmitglieder haben.
Werner Biehl: Ein letztes Beispiel dafür, was mit der SPD nicht und mit der CDU geht. Wir haben auf der Haushaltsklausurtagung mit der CDU beschlossen, dass wir den Antrag stellen, dass die Stadt in jedem Jahr einem Verein, der sich besonders für ausländische Jugendliche einsetzt, 5.000 Mark als Anerkennung und Ermutigung zur Verfügung stellt. Ratsherr Möhle von der CDU stellte diesen Antrag im Rat. Doch so etwas ist mit der SPD nicht zu machen. 5.000 Mark – ein wirklich kleiner Betrag. Doch die SPD brauchte gerade dieses Geld für eine Rutsche im Hallenbad.
Wenn ich mir heute die Konstellation des Stadtrates anschaue, fühle ich mich in der Situation, in der wir heute sind, ausgesprochen wohl. Der Krug „Focke Hofmann und Herr von Teichmann“ ist an mir vorübergegangen.

Die CDU übernimmt die Vorstellungen der Grünen – und die Grünen? Welche Kröten musstet ihr schlucken?
Marianne Fröhling: In der Gruppe CDU/Grüne gibt es keinen Gruppenzwang. Darum mussten wir bisher auch keine Kröten schlucken. Wenn wir nicht zusammenkommen, dann stimmen wir so ab, wie wir es für richtig halten. Café Regenbogen und die Gewerbesteuererhöhung sind dafür zwei Beispiele.
Werner Biehl: In der Opposition ist es mit den Kröten ja auch einfacher. Da kannst du sagen: ‚Friss‘ deine Kröte selber!‘ Wie das andersherum ausgesehen hätte, mit der SPD, mit Focke Hofmann und Herrn von Teichmann – ich glaube dann wäre allen Beteiligten vom vielen Kröten fressen schon ganz schlecht.

Ihr stellt eure Politik recht erfolgreich dar. In der örtlichen Presse kann man darüber aber nichts lesen. Warum macht ihr so eine schlechte Öffentlichkeitsarbeit?
Marianne Fröhling: Wir haben etliche Presseberichte geschrieben, ob der Vorstand oder die Fraktion, – doch die WZ veröffentlicht sie nicht, oder so gekürzt, dass sie unverständlich sind. Die Redebeiträge in den Ratssitzungen, egal, was wir sagen, werden nicht wiedergegeben oder oftmals nur irreführend.

SonnenblumeDie Pressesituation hat sich nicht verändert: Die WZ behält es sich immer noch vor, nur das zu veröffentlichen, was ihr genehm ist.
Werner Biehl: Wir haben es mit der WZ immerhin mit einer Wilhelmshavener Institution zu tun. Da wird natürlich auch gefiltert was erscheint. Wenn wir uns kritisch mit der Mehrheitsgruppe – mit wem auch immer – oder auch mit dem 1. Stadtrat auseinander setzen, die WZ will oder kann es nicht veröffentlichen.

Was ist mit Radio Jade?
Marianne Fröhling: Da gibt es natürlich Möglichkeiten für uns, die wir auch nutzen. Aber es gibt auch Schwierigkeiten: Geht eine Meldung von uns über Radio Jade, kriegen wir von der WZ einen Anruf, dass man es dort nicht so gerne hat, wenn eine Meldung schon vorher übers Radio veröffentlicht wurde.
Eddie Schäfer: Umgekehrt ist das aber auch nicht anders. Eine bereits in der WZ veröffentlichte Meldung hat für Radio Jade nur noch wenig Wert. Inzwischen haben wir das so organisiert, dass Radio Jade erst 18-24 Stunden später unsere Meldungen bekommt – dann haben alle die Möglichkeit, sie zeitgleich zu bringen.
Marianne Fröhling: Ich denke, da haben wir es mit dem Jeverschen Wochenblatt oftmals einfacher. Nicht, dass diese Zeitung weniger kritisch ist, aber nach meiner Meinung oftmals unparteiischer. (Tipp vom Gegenwind: Wer täglich etwas über Wilhelmshaven erfahren möchte, sollte das Jeversche Wochenblatt abonnieren!).

In Wilhelmshaven hat die Politik den Rückwärtsgang eingelegt. Vehement wird hier die Schiffbarmachung der Kaiserbalje für Tank- und alle möglichen anderen Schiffe gefordert – mitten durch den Nationalpark Wattenmeer. Die militaristische Ausrichtung der Stadt findet durch das Marinemuseum ihren Ausdruck. Das sind doch Themen, die die Grünen auf die Barrikade bringen müssten.
Werner Biehl: Wir Grünen meinen, dass es in einer Stadt mit einer Arbeitslosenquote von 20% Entwicklung geben muss. Wilhelmshaven muss dafür seine geographischen und geologischen Möglichkeiten nutzen – ein Ziel dabei kann die Idee vom Jade-Port sein. Es gibt viele Argumente für den Ausbau und die Ausweitung des Hafens. Wir sehen aber auch, dass Niedersachsen auf dem Weg in die ökologische Steinzeit ist. Es wird alles gemacht, um die Wünsche der Industrie zu erfüllen – Stichwort: Ems-Sperrwerk.
Wir nehmen das Problem Kaiserbalje sehr ernst. Die Ausweitung des Binnenschifffahrtsstraßennetzes liegt uns sehr am Herzen und eine Öffnung des Wilhelmshavener Hafens befürworten wir. Doch die Entscheidung darüber wird erst in 5 bis 10 Jahren fallen. Dann werden wir darüber reden, ob ein Kanal oder die Kaiserbalje auf der Tagesordnung stehen.

In wenigen Wochen wird das Marinemuseum eröffnet. Wir meinen, dass damit ein weiterer Schritt zur Militarisierung der Gesellschaft getan wird. Wie stehen die Grünen dazu?
Werner Biehl: Durch meine Auslandsreisen weiß ich, dass in anderen Ländern mit der eigenen Geschichte ganz anders umgegangen wird. Da stehen Denkmäler, Standbilder und andere Sachen einfach da – Tyrannen, Diktatoren, Inquisatoren – alles nebeneinander und keiner hat ein Problem damit. Da geht man mit der Vergangenheit anders um. Wir sind da emotional stark beladen und belastet – unter unseren Füßen spüren wir noch die Wurzeln des Nationalsozialismus.
Marianne Fröhling: Wilhelmshaven ist auch mit der Marine entstanden. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass das viele Geld, welches durch Sponsoren ins Marinemuseum fließt, dem Küstenmuseum zugute gekommen wäre.
Werner Biehl: Das Marinemuseum zeigt, wie es gehen kann: Nämlich nur privat! Solange das Küstenmuseum Teil der Stadtverwaltung ist, der Leiter in dem hierarchischen Gerangel der Stadtspitze Opfer ist, solange wird sich für dieses Küstenmuseum keine bedeutsame Änderung ergeben.

Am Geldfluss für das Marinemuseum kann man doch auch sehen, dass da ganz andere Interessen hinter stehen – eben die Militaristen. Ein privatisiertes Küstenmuseum würde doch nie die Sponsoren bekommen, wie sie das Marinemuseum hat.
Werner Biehl: Die Leute vom Marinemuseum – z.B. Grapentin oder Graul – das sind doch keine Militaristen. Es ist einfach so, dass da etwas neues entsteht – und dafür gibt es Geld.
Eddie Schäfer: Ich bekomme Magendrücken, wenn ich vor dem sozialen Hintergrund unserer Stadt sehe, dass da 6-stellige Beträge nur so ins Marinemuseum fließen. Es fing in Wilhelmshaven ja schon mit der Aufstellung des Wilhelm-Denkmals an – hier mal hunderttausend Mark – dort mal dreihunderttausend Mark. Das verursacht Magendrücken – nicht allein aus einer pazifistischen Denke oder vor dem Hintergrund von Nationalsozialismus und Kriegsmarine – einfach vor dem Hintergrund der sozialen Situation.
Marianne Fröhling: Für mich wäre die Sicherung und der Ausbau des Küstenmuseums viel wichtiger. Seit wie vielen Jahren wissen wir schon um den Zustand des Museums? Wie viele Leute gab es, die mit großem Engagement und mit ihrem Herzblut für eine Lösung des Museumsstandortes kämpften? Doch dann wird ein Marinemuseum aus dem Boden gestampft und die Gelder fließen. Das kann und darf doch eigentlich nicht wahr sein!
Eddie Schäfer: Man sollte diese ganze Angelegenheit jetzt nicht einfach als Kriegsverherrlichung darstellen, das ließe sich von den Gönnern in der Öffentlichkeit schnell abschmettern und schadet der kritischen Auseinandersetzung. Abwarten, bis das Ding aufgemacht hat und dann mal gucken, ob die Befürchtungen sich bewahrheiten. Dann könnte man darüber mit dem Historischen Arbeitskreis eine Podiumsdiskussion durchführen.
Marianne Fröhling: ……aber dann ist es doch viel zu spät.
Werner Biehl: Ich kann mir nicht vorstellen, dass da nur schöne blankgeputzte Kanonen ausgestellt werden. Auch die Diskussion, die hier in Wilhelmshaven gelaufen ist – Historischer Arbeitskreis, GEGENWIND usw. – wird dort ihren Niederschlag finden.

Schaun mer mal. Zum Schluss noch ein letztes heißes Thema: Die EXPO 2000! Wie steht ihr dazu?
Marianne Fröhling: Wir haben gerade den Masterplan bekommen, der in der nächsten Ratssitzung verabschiedet werden soll. Dieser Plan stellt ein Durchführungs- und Finanzierungskonzept dar. Die EXPO wird 13,8 oder gar 50 Millionen kosten. So euphorisch wie von der SPD wird die EXPO weder von uns noch von der CDU gesehen.
Werner Biehl: Auch nach Überfliegen des Masterplans bleiben viele Fragen offen: Wo kommt das Geld her, auf welcher Grundlage werden solche Besucheranstürme festgemacht? Die Pleite mit dem Wattenmeerhaus hat doch gezeigt, wie vorsichtig mit solchen Prognosen umgegangen werden muss.
Marianne Fröhling: Das sind Hoffnungs-, Wunschzahlen.
Werner Biehl: Auf diese Hoffnungen werden Finanzierungspläne aufgestellt. Das ist das Problem. Und hinterher: Der Bürger muss bezahlen!

Was sind denn im Masterplan für Projekte enthalten?
Marianne Fröhling: Gar keine.

Wir sind im Jahr 2 vor EXPO!
Marianne Fröhling: Da ist nichts drin. Da sind nur Überschriften: Gorch Fock!
Werner Biehl: Interessant wird sicherlich das Projekt des Medienzentrums Schellingstraße.

Auf Weltniveau?
Werner Biehl: Ja! Da ist viel drin. Aber das ist auch das Einzige, was schon fassbar ist.

Wie reagieren die anderen Grünen, die Kreis- und Landesverbände auf euer Techtelmechtel mit der CDU?
Marianne Fröhling: Ich bin das Beispiel. Ich habe keinen Listenplatz bekommen. Mir wurde zugetragen, dass das damit zusammenhängt, dass wir hier mit der CDU zusammenarbeiten. Ich bin nicht tragbar. Ob das wirklich so ist, weiß ich nicht. Bei den Grünen ist es auch nicht anders als bei den anderen Parteien.

Wir danken für das Gespräch.

 

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