Ratssplitter
Jun 012006
 

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vom 24. Mai 2006
Den Besen schwang wieder mal Imke Zwoch

„Wie viele Sternchen kriege ich diesmal?“, fragte zwinkernd der Oberbürgermeister. Oops, da hatte ich gerade beschlossen, allen RednerInnen des Tages ausnahmslos die gelbe Karte zu geben – dafür, dass sie sich und den Zuschauenden die Zeit geklaut hatten: durch die gebetsmühlenartige Wiederholung von Parteipropaganda und gegenseitigen Vorwürfen, die alle schon 1000mal gehört hatten und die in keinster Weise dem sachlichen Erkenntnisgewinn dienten. Wem wollen sie damit eigentlich imponieren? Den MedienvertreterInnen, die einhellig nervös mit dem Kugelschreiber trommeln und vielsagend die Augen verdrehen? Oder den BürgerInnen, die zum ersten und letzten Mal auf der Zuschauertribüne sitzen? Hier sollte der Ratsvorsitzende, der doch nie um ein knackiges Schlusswort verlegen ist, öfter mal ein Machtwort sprechen!

Dringlich!

Der erneute Verkauf der JADE-Wohnungsbaugesellschaft, diesmal von Cerberus an Babcock & Brown, soll den Rat überrascht haben. Mit einem Dringlichkeitsantrag wollte die CDU das Schlimmste abwenden: Die Verwaltung solle in den Verhandlungen mit Babcock die bestehenden Mieter- und Mitarbeiterrechte sicherstellen. Dem konnte sich, zumal so kurz vor der Kommunalwahl, kaum jemand entziehen. Der Antrag wurde in die Diskussion genommen – bei 5 Gegenstimmen. Eine davon gehörte FDP-Sprecher von Teichman: Er hat „großes Vertrauen in die Marktwirtschaft“, deren Gesetze man nicht ändern könne. Die Menge stöhnte auf, und als der Liberale fortfuhr: „Die Mieter leiden überhaupt nicht“ und „Wem es in seiner JADE-Wohnung nicht gefällt, der kann ja umziehen“, ging sie auf die Barrikaden. „Zynismus“ warfen ihm Siegried Neumann und Wilfrid Adam (SPD) vor, die grüne Bürgermeisterin Marianne Fröhling wäre fast über den Tisch gesprungen: „Das ist menschenverachtend!“ Als Beispiel dienten SeniorInnen, denen nicht zuzumuten ist, nach wer weiß wie vielen Jahrzehnten ihr nicht mehr bezahlbares Zuhause verlassen zu müssen. Ist ja richtig (), nur würden wir dieses Mitgefühl auch gern mal spüren, wenn über die Situation von Hartz-IV-EmpfängerInnen diskutiert wird. Und auch, wer noch jung ist und vielleicht gerade eine Menge in die Wohnung investiert hat, ist schutzbedürftig.
Neumann schob von Teichman Mitschuld an der jetzigen Situation zu, weil der damals das alternative Leasing-Modell „bis Hannover bekämpfte“. Adam bezweifelte, dass die gesamte FDP-Kümmel-Fraktion derart zynische Ansichten teilt. Zwischenrufe des Angesprochenen blockte er ab: „Herr von Teichman, Sie wissen, ICH kann lauter!“ FDP-Schadewaldt machte ein anderes Fässchen auf: Man solle Babcock nicht vorverurteilen, „als wäre da ein Verbrechersyndikat tätig“. Frau Kümmel, die vor Jahren dem Verkauf der städtischen JADE an Private zugestimmt hatte, fand es „schmerzlich, jetzt die Wahrheit zu erkennen“.

„Herr von Teichman, Sie wissen, ICH kann lauter!
Wilfrid Adam zu Zwischenrufen des FDP-Sprechers

Prof. Reuter (CDU) hatte sich schlau gemacht, wie es anderen Kommunen bei ähnlichen Geschäfte ergangen war. Demnach gingen in Braunschweig sämtliche Arbeitsplätze einer Wohnungsbaugesellschaft verloren, weil der neue Eigentümer die Verwaltung an Dritte übertragen hatte.
Man fragte sich, ob man bei den bisherigen Verkäufen „über den Tisch gezogen“ wurde. Erst Ende 2004 habe Cerberus „langfristiges Engagement“ zugesichert. Es soll geprüft werden, ob man damals nicht unter falschen Voraussetzungen dem Verkauf zugestimmt habe. Und trotz des Widerspruchsrechtes der Stadt seien die Verträge zwischen Cerberus und Babcock bereits unterschrieben. BASU-Ratsherr Tjaden klärte auf: Das Veto der Stadt greife erst bei unterschriebenen Verträgen. Und es sei sehr begrenzt – in erster Linie geht es um die Prüfung der Bonität des Käufers.
Von Teichman blieb dabei: Die Gesetzmäßigkeiten des Marktes zwischen Preis und Nachfrage würden das schon regeln. CDU-Junior Felbier belehrte ihn: „Zwischen Neoliberalismus und Marktwirtschaft gibt es noch Unterschiede“.

„Wem es in seiner JADE-Wohnung nicht gefällt, der kann ja umziehen.“
Dr. Michael von Teichman zum erneuten Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft

„Soviel zum Thema Marktwirtschaft“, beendete Ratsvorsitzender Schmidt die wenig zielführende Diskussion . Der Antrag der CDU wurde mit einigen Ergänzungen der SPD mehrheitlich angenommen.

Dringlich?

Um Planungssicherheit für die Großinvestitionen im Voslapper Groden (VG) ging es in einer Resolution der BASU. Für den südlichen Teil der Grodenfläche ist seit längerem klar: Sie soll als EU-Vogelschutzgebiet gemeldet und als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden. Das wurde Mitte Mai durch Beschluss des Landeskabinetts besiegelt. Nur so ist es möglich, das Gebiet später als Gewerbefläche umzuwidmen (wenn andernorts ökologische Kompensationsflächen bereitgestellt werden). Was den Teil nördlich der Raffineriestraße betrifft, herrscht indes Verwirrung: Während der NABU unlängst verlauten ließ, der sei nicht schützenswert, wussten gut informierte Kreise wie der BUND bereits, dass hier das gleiche Verfahren angewendet werden soll wie im südlichen Teil. Letzteres wurde dann in einer Presseinformation des Umweltministeriums bestätigt.

„Wilhelmshaven wird durch Industrialisierung lebens- und liebenswert“.
Wilfrid Adam zur Diskussion um den Voslapper Groden

Eine gewerbliche Nutzung des südlichen VG ist bislang noch Wunschdenken der Wirtschaftsförderung, das vielleicht erst in 20 Jahren realisiert wird. Für den nördlichen VG gibt es hingegen ganz aktuell konkrete Vorhaben: die Erweiterung der Raffinerie durch den neuen Eigentümer Conoco wie auch den Ausbau der INEOS-Produktion.
Mit der Resolution forderte die BASU nun aber nicht etwa, den nördlichen Teil des VG möglichst schnell unter Schutz zu stellen – was sowohl im Interesse des Naturschutzes wie auch der Wirtschaft wäre -, sondern ihn aus der Meldeliste als Vogelschutzgebiet zu streichen. Um das Unterschutzstellungsverfahren zu sparen, das die Industrieansiedlung verzögert.
Das gab sowohl Naturschützern Rätsel auf, die Tjaden bislang in die Öko-Schublade einsortiert hatten, als auch dem Rest des Rates, die ihm immer unterstellt hatten, er sei – wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem JadeWeserPort – grundsätzlich gegen industrielle Großprojekte. Oder, wie die SPD-Spitze es gern ausdrückt: Er sei der Einzige, der Wilhelmshaven finanziellen Schaden zufügen wolle. Was polemischer Quatsch ist.
Der an die Landesregierung gerichtete Resolutionsentwurf brachte CDU-Ratsmitglied und MdL Biester auf den Plan: Nachdem das Kabinett gerade am Vortrag in Wilhelmshaven bekräftigt hatte, dass es die Ansiedlungspläne in WHV mit voller Kraft unterstützt, hält er solche Forderungen sinngemäß für destruktiv und unsensibel.
Neumann hingegen hielt, man höre und staune, die Unterstützung der BASU-Resolution „nicht für ausgeschlossen“. Die Verwaltung solle aber bis zur nächsten Ratssitzung eruieren, ob die naturschutzfachlichen Pläne der Landesregierung tatsächlich die Ansiedlungspläne verzögern würden.
Menzel sprach aus, was bislang kaum ins mediale und öffentliche Bewusstsein gedrungen ist: Ende letzten Jahres hatte man bei der EU-Generaldirektion um 50 Mio € Zuschuss für den Containerhafen nachgefragt – im Gegenzug komme man nicht umhin, den EU-Naturschutzrichtlinien Folge zu leisten. Für diesen Beitrag zur Wahrheitsfindung kriegt er meinetwegen ein . (Hinweis: Allerdings besteht auch ohne Zuschüsse die Verpflichtung, die Richtlinien zu befolgen – andernfalls drohen sogar saftige Strafgelder. Und eine unlängst erfolgte Mahnung der EU-Kommission, Vogelschutzgebiete auch VOLLSTÄNDIG auszuweisen, hat die neuen Entwicklungen zusätzlich befördert.)
Kopfschmerzen bereitet Menzel das Landesraumordnungsprogramm: Bisher waren die WHVer Grodenflächen dort als Vorrangflächen für Industrie ausgewiesen. Nach neuem Rechtsstatus wäre eine Darstellung als Vorrangfläche für Naturschutz erforderlich.
Für Wilfrid Adam wird die Stadt durch Industrialisierung „lebens- und liebenswert“. Öha. Da ziehe ich doch gleich in den Ruhrpott .
Hatte sich die SPD beim vorigen TOP den Kopf um das harmonische Miteinander bei FDP-Kümmels gesorgt, so kümmerte sie sich jetzt um Love, Peace & Happiness bei der BASU-Fraktion: Das könne doch gar nicht funktionieren, dass die beiden Ex-Christdemokraten Ender und Homann sich mit Containerhafengegner Tjaden vertragen. Diesen zeitfressenden Nebenkriegsschauplatz schloss Tjaden mit der Bemerkung: „Ich kann doch nichts dafür, dass in der SPD nur eine Meinung herrscht.“

Rundschlag gegen „Ackis Rundschlag“

Zum krönenden Abschluss der Diskussion um den VG gab es wieder eines der berühmten Menzel-Dementis, die sich emotional steigern und thematisch völlig verirren: Der Umweltminister habe Mitte Mai erzählt, das mit dem Voslapper Groden habe so lange gedauert, weil der OB immer gegen die Meldung als Vogelschutzgebiet war. Gar nicht wahr – er, Menzel, habe immer gesagt, das, was rechtlich erforderlich sei, müsse auch so gemacht werden. Für fleißige GEGENWIND-LeserInnen brauchen wir diese Darstellung nicht zu kommentieren. Am Ende musste wieder mal Tjaden als Sündenbock für alles Leid der kleinen Kommunalwelt herhalten: Wie hässlich der wieder über seine Ratskollegen hergezogen habe – in seinem „Rundschlag in einem Blatt“, das nach Wissen des OB auch noch in 5-6000facher Auflage erscheine. Ein Punkt dafür, dass Menzel sogar unser Impressum ordentlich liest . Aber das so zu umschreiben, statt einfach „im Gegenwind“ zu sagen, wo doch sowieso jede/r weiß, was gemeint ist – das hat einen sooo langen Bart, dass es keinen Humorpunkt verdient. Wäre ich Menzels PR-Beraterin …
Ach so, worum es eigentlich ging: Wie vorhersehbar, wurde die BASU-Resolution mehrheitlich abgelehnt.

„Ich kann doch nichts dafür, dass in der SPD nur eine Meinung herrscht.“
Joachim Tjaden zur Einmischung der SPD in Angelegenheiten der BASU

Kaum zu glauben

– einstimmig beschloss der Rat ein neues Radwegekonzept! Das alte stammte von 1988 und soll auch „weitgehend“ abgearbeitet sein. Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen erfordern aber neue Konzeptionen. Dazu gehört ein „Runder Tisch Radverkehr“, an dem neben Fachleuten aus der Verwaltung auch Polizei und ADFC vertreten sein sollen, sowie ein Radwegebeauftragter. Der (oder die?) fungiert auch als Geschäftsführer des Runden Tisches und Ansprechpartner für alle Sorgen und Ideen der RadlerInnen, inkl. Schadensmeldungen und –regulierung. Der Runde Tisch bringt Vorschläge für die Sanierung und Erneuerung von Radwegen in die Ratsgremien ein.
Modellhaft werden verkehrslenkende Maßnahmen für Radfahrer und Fußgänger eingeführt:

  • Automatisches Grün an der Ampelkreuzung Friedrich-Paffrath-/Kurt-Schumacher Str. (500 €)
  • „Schlafampel“ am Übergang Jade-/Weserstraße (zeigt nur Lichtsignale, wenn die Nutzer sie bei kreuzendem Autoverkehr aktivieren – kostet 3.000 €, spart aber viel Strom).

Der ADFC forderte weiterhin die Ausweisung der Bremer Straße als Fahrradstraße, da Bismarck- und Peterstraße schlecht befahrbar sind. Diese Idee scheiterte früher schon einmal am Widerstand von Anwohnern und Gewerbetreibenden. Alternativ bietet die Stadt die Kirchreihe an. Toll. Auf die Idee, diese grüne und verkehrsarme Achse zu nutzen, kommen Radfahrer jetzt auch schon – aber wer sich in Höhe Peterstraße bewegen muss, wird diesen gewaltigen Schlenker kaum machen.
Zukunftsweisender ist da schon die Idee, weitere überdachte Stellplätze zu schaffen, die auch in Verbindung mit „bike & ride“ zu nutzen sind und zu 100% aus Mitteln der Landesnahverkehrsgesellschaft finanziert werden können. Begeisternd klingt auch der Vorschlag, am Bahnhof eine Fahrradstation zu errichten, z. B. im Erdgeschoss des Parkhauses. So etwas gibt es z. B. in Oldenburg: Für einen geringen Obolus stehen die Räder auf bewachten Plätzen, auch kann man einen Reparaturservice in Anspruch nehmen.
Der ADFC schlägt die generelle Freigabe von Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung vor. Die Verwaltung will das lieber im Einzelfall entscheiden. An überflüssigen bis unsinnigen Stellen sollen sukzessive die blauen Gebotsschilder zur Radwegbenutzung entfernt werden, z. B. an Trassen, die nach StVzO zu schmal sind (z. B. Werftstraße?)
Konkret sind also bisher nur 3.500 € eingeplant, und selbst diese sind nur als „Empfehlung“ und nicht als Beschluss zu behandeln. Aber immerhin, ein Anfang ist gemacht. 

Besser spät als nie

trösteten sich die Ratsmitglieder, als jetzt der Bericht des Rechnungsprüfungsamtes über den Haushalt 2003 auf dem Tisch lag. Da wurde auch, wie schon in früheren Berichten, bemängelt, dass die Verwaltung zu viele Aufträge nur beschränkt (statt öffentlich) ausschreibt oder freihändig vergibt. Neumann begründete das damit, dass man ja möglichst WHVer Firmen berücksichtigen wolle, und das wäre nur so hinzukriegen. (Solange keine Firma die Stadt wegen Verstoßes gegen die Vergabeordnung belangt, geht das auch gut.) Offen bleibt, um welche besonderen Leistungen es sich bei der freihändigen Vergabe handelt, dass man nicht zumindest mehrere hiesige Firmen gegeneinander in den Wettstreit treten lässt.
Prof. Reuter schmückte diesen TOP mit einigen Schiller-Zitaten und schloss mit: „Ich kenne meine Pappenheimer“ – ein Literaturpunkt . „So viel zum Thema Wallenstein“, schloss der Ratsvorsitzende die Debatte . Der OB und seine Verwaltung wurden einstimmig entlastet.

Unbeteiligt

In den letzten Wochen wurden WHVer Betriebe zu möglichen Nutzungen der leer stehenden Räumlichkeiten im Jadezentrum befragt. Die BASU interessierte sich dafür, wessen Idee das war, wie viele Betriebe befragt wurden und wie hoch die Beteiligung war, was die Umfrage kostete und welche Ergebnisse sie brachte. Und: Weshalb die Umfrage von einer Firma und nicht direkt von der WFG durchgeführt wurde. Menzel antwortete, der Eigentümer des Jadezentrums habe die Umfrage initiiert, die Stadt sei nicht beteiligt gewesen. Das beantwortet zwar die letzte Frage der BASU, auch die Kostenfrage war damit erledigt. Aber dass es inhaltlich gar keine Kooperation zwischen Stadt und Eigentümer gegeben haben soll, klingt unglaublich – unprofessionell.

Effektiv

Wer am Computer fleißig Anträge, Resolutionen, Stellungnahmen u. ä. verfasst, nutzt praktischerweise gespeicherte Vorlagen. So auch Ratsherr Tjaden. Im Eifer des Gefechts ließ er bei seiner Anfrage zum Jadezentrum auch die vorhandene Grußformel stehen. So stand in der Anfrage vom 8. Mai zu lesen: „Mit freundlichen Weihnachtsgrüßen – J. Tjaden“. Was allgemeine Heiterkeit, aber keine lauten Gehässigkeiten auslöste.

 

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