Ratssplitter
Jun 262007
 

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vom 20. Juni 2007

aufgefeudelt von Imke Zwoch

Tropische Schwüle im Ratssaal bot den passenden Hintergrund für langatmige Diskussionen über die Preisgestaltung im neuen Schwimmbad. Nach über einer Stunde wünschte sich jede/r nur noch den Sprung ins kühle Nass. Nach weiteren drei war die Sitzung, aber auch das Freibad  geschlossen …

Baden gegangen

ist die SPD mit ihrem Vorschlag, Empfängern von ALG II, Wohngeld und Grundsicherung einen ermäßigten Eintrittspreis für das neue Schwimmbad zu gewähren. Die Rede ist von 11.000 ALG II-Bedarfsgemeinschaften bzw. insgesamt knapp 16.000 Menschen, also 20% aller W’havener. Es solle kein Schwimmbad „für Privilegierte“ sein, so Ratsvorsitzender Norbert Schmidt.  Weshalb Werner Biehl (Grüne) die Frage aufwarf, ob Leute mit eigenem Einkommen jetzt schon privilegiert seien. (Irgendwie schon, oder?) CDU-Sprecher Günter Reuter befürchtet durch die Ermäßigungen Einnahmeausfälle von 300.000 Euro im Jahr. (Wenn die Betroffenen wegen zu hoher Preise gar nicht hingehen, sind die Ausfälle aber deutlich höher, oder? Lieber 3,50 Euro haben als 7 nicht haben.) Auch sehen die Antragsgegner keine Möglichkeit, an der Schwimmbadkasse den Nachweis der Bedürftigkeit zu erbringen. Einen Sozialpass gibt es in W’haven nicht mehr, und auch Stadtrat Jens Stoffers hält es für unzumutbar, den amtlichen Bescheid über ALG II o. ä. mitzubringen. (Das sollte man den Betroffenen schon selbst überlassen – beim Theaterbesuch gibt es damit auch keine Probleme). Die Betroffenen seien „eine schwierige Gruppe, die einer großen Fluktuation unterliegt“, meinte CDU-Sprecher Günter Reuter. Michael von Teichman (FDP) sagte den Arbeitslosen noch deutlicher, was er von ihnen hält: Man solle „finanzielle Reize für Untätige“ schaffen, sie sollten sich den normalen Eintritt lieber selbst erarbeiten. Dafür hatte er schon im Vorfeld der Sitzung gehörige Haue erhalten und bettelte nun noch mal kräftig um Nachschlag: Jeder sei sozial abgesichert, er müsse allenfalls entscheiden, ob er sich für das Geld Zigaretten kaufe oder schwimmen gehe. Der Sozialpass sei mit Recht abgeschafft, die soziale Sicherung längst überdehnt. Man dürfe Menschen nicht so ausstatten, dass sie nichts mehr zu tun brauchen. (So viele , wie er dafür verdient, kann ich gar nicht unterbringen). Und wie das denn gehen solle, wie vorgeschlagen zu wenig frequentierten Öffnungszeiten ermäßigte Preise zu nehmen? Ob man die besonderen Badezeiten dann ausrufen wolle? (War der Mann je im Citybad? Da werden besondere Badezeiten z. B. für Kurzschwimmer oder Damen auch ausgerufen, und die Einhaltung funktioniert problemlos). SPD-Sprecher Neumann erinnerte, dass es sich um ein Spaßbad handelt: „70.000 dürfen Spaß haben, aber 11.000 sind außen vor – das geht nicht.“ Zielführend auch sein Hinweis, wie stark andere Bereiche subventioniert werden: „In beispielsweise vier Theaterbesuche pro Monat fließen mehr Subventionen, als ein Hartz-IV-Empfänger insgesamt monatlich erhält.“  Dieser Faden – dass Kultur und Sport stets Zuschussbereiche sind und dies als Teil der Daseinsvorsorge auch OK ist – wurde leider nicht weiter verfolgt. Michael Schadewaldt (FDP) merkte an, wenn, dann müsse man auch Niedrigverdiener wie „Verkäufer oder Friseusen“ (richtig heißt es: Friseurinnen) berücksichtigen. Prinzipiell hat er Recht, er wollte allerdings mit Sicherheit keine Mindestlohndebatte anzetteln. BASU-Sprecher Joachim Tjaden fand den SPD-Antrag „sympathisch und nachvollziehbar“. Ohne Mehrheit wäre jedoch eine neue Entscheidung im Rat erst langfristig möglich. So schlug er vor, ihn an den Sozialausschuss zurückzuverweisen und dann erneut zu behandeln. Auch Johann Janssen (LAW) riet der SPD von einer Profilierung um jeden Preis ab – „Hauptsache, der Antrag hat Erfolg“. Die SPD schloss sich dieser strategischen Vorgehensweise mit einem entsprechenden Antrag an. Jamaika (CDU, FDP, Grüne) stimmten aber trotzdem dagegen. Hm, da hätten die Befürworter mit ihrer 23:22-Stimmen-Mehrheit den ursprünglichen Antrag mit direktem Ratsbeschluss doch auch sofort durchkriegen können?

Marktlücke die Erste, oder: Reißt ein, baut auf!

Auf der grünen Wiese an der tom-Brok-Straße Ecke Neuengrodener Weg soll nun tatsächlich ein „Kaufland“-Markt errichtet werden, entschied eine Mehrheit aus SPD, FDP und Grünen. Geködert wurden die Befürworter, indem man auf diese Weise die leidige „Plaza Domus“-Ruine an der Mitscherlichstraße loswird. Dort soll dann ein neuer LIDL-Markt entstehen. Ein paar hundert Meter weiter macht WAL-MART (Bismarck-/Paffrathstr.) gerade dicht. Dieses Gebäude mit dem abgängigen Parkdeck wird dann auch abgerissen und durch einen kleineren Supermarkt ersetzt.
Es ist schon putzig: Ungeachtet leidvoller Erfahrungen, die in kostspieligen Gutachten zusammengefasst sind, macht man weiter wie bisher. Die Innenstadt verödet vor sich hin, der City-Interessenverein schreit ALARM, die Politik möchte kaufkräftiges Publikum ins längst verlorene Oberzentrum ziehen – und pflastert weiterhin die Randbereiche mit Billig-Ketten voll, die der Stadt ein ebensolches Gepräge verleihen. Auch merkwürdig: Ursprünglich war mal davon die Rede, Siebethsburg fehle ein Nahversorger. Da denkt man an das Ömchen von nebenan, die mit ihrem Rollator unkompliziert ihre täglichen Einkäufe selbst erledigen kann. Und dann diskutieren sie darüber, von wo die Leute mit ihren Autos am besten an den neuen Markt ranfahren können. Das interessiert Ömchen kaum, der reicht vielleicht auch ein kleiner Edeka-Markt, der von den Nachbarn leben kann – während eine große Kette, wenn der Euro nicht rollt, sich einfach wieder davonmacht und als Mahnmal einen (steuergünstig abzuschreibenden) Nullachtfuffzehn-Gebäudekomplex zurücklässt. Eigentlich müsste man jede Kette vertraglich zum Rückbau aufgegebener Märkte verdonnern, aber welcher Kommunalpolitiker traut sich schon, einem Investor mit Auflagen zu kommen?
Die Konzentration auf LIDL & Co. erweckt jedenfalls nicht den Eindruck, als glaube man an den großen Aufschwung durch den JadeWeserPort oder was auch immer. Sondern eher an die Zunahme der ALG-II-Empfänger, die sich leider nichts anderes leisten können als minderwertige Massenprodukte zu Dumpingpreisen, die die Erzeuger zunehmend in den Ruin treiben und damit weitere Armut erzeugen.

Marktlücke die Zweite

Der Wochenmarkt in F’Groden wird nach jahrelangem Hickhack nun doch aus der Posener Straße auf den Kirchplatz zurückverlegt. Zwar wurden extra die erforderlichen Anschlüsse verlegt, zwar ist der Standort Posener Straße für die meisten Geschäftsleute im Stadtnorden eine Erfolgsstory und von den Käufern gut angenommen. Auf der kleinen Fläche wirkt der Markt mit wenigen Beschickern wirklich gemütlich und einladend. Doch angeblich führt die Teilsperrung für den Wochenmarkt zu Verkehrsstaus. Zudem, so die Kirchplatz-Fraktion, würde das Gemüse durch den Verkehr auf der Posener Straße mit Schadstoffen belastet. Nun ist aber mal gut gewesen! Dann sperrt doch den Rathausplatz bitte auch an Markttagen bis zur Grenz- bzw. Bismarckstraße vom Verkehr, wenn euch plötzlich so an gesunden Lebensmitteln gelegen ist! Was weiß ich, an welcher Straße die Möhren zuvor gewachsen sind? Ein Tipp: Ich wasche sie sowieso vorm Verzehr, dann knirscht es auch nicht so beim Zubeißen.

PISA-Test

Wenn man die Fraktionsstärke aller Parteien im Rat kennt, und jeder Sprecher gibt frühzeitig in der Diskussion bekannt, wie seine Fraktion abstimmen wird, lassen sich die Mehrheiten eigentlich auch ohne akribisches Auszählen schnell ermitteln. Wenn z. B. „Jamaika“ mit vorheriger Ansage mit zusammen 22 Stimmen gegen etwas stimmt, dann haben die anderen mit 45 minus 22 gleich 23 Stimmen gewonnen. Trotzdem gab es mehrfach Verwirrung um das richtige Zählergebnis. Einmal musste zwar ein SPD-Ratsherr geweckt werden, der vergessen hatte, den Arm zu heben (offensichtlich ist das legendäre Gestänge, das den Arm des Fraktionschefs mit den Armen seiner Mitstreiter verbindet und diese automatisch mitbewegt, defekt). Doch de facto stimmen die Fraktionen immer geschlossen ab, und wer die Grundrechenarten beherrscht, sollte das Ergebnis einfach akzeptieren, auch wenn es ihn noch so ärgert.

Plattmachen um jeden Preis?

Lange kontrovers diskutiert und doch beschlossen: Die Schleuseninsel soll gewerblich bebaut werden. Eindringlich wies Ratsherr Tjaden darauf hin, dass man nicht ohne Not, sprich konkrete Investoren, das grüne Paradies vorzeitig planieren sollte. Was da über Jahrzehnte gewachsen ist, wäre dann unwiederbringlich verloren – auch wenn gar kein Investor kommt, z. B., weil die Verkehrsanbindung denkbar schlecht ist. (Damit wären auch alternative Entwicklungsmöglichkeiten, z. B. als touristische Attraktion, endgültig futsch.) Leider steht zu befürchten, dass Tjadens Ruf ungehört in der mentalen Wüste der Verantwortlichen verhallt.

Große Erwartungen

2.850 Arbeitsplätze sollen durch die geplanten Investitionen beim JadeWeserPort, INEOS, WRG, E-ON etc. entstehen, so OB Menzel auf Anfrage der LAW. Inwiefern hiesige Arbeitslose davon profitieren, darauf habe die Stadt nur begrenzt Einfluss.

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