Ratssplitter
Feb 082011
 

Ein

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vom 19. Januar 2011

endgelagert von Imke Zwoch

Im Wesentlichen füllte ein dicker Brocken Atommüll den knapp einstündigen öffentlichen Teil der Sitzung. Wer bei der Kommunalwahl im kommenden September sein Kreuzchen danach vergibt, wie kompetent und ernsthaft die Kandidaten mit heiklen Themen umgehen, und wie gut ihr Gedächtnis ist, erhält hier möglicherweise eine Entscheidungshilfe.

Verschriftlichungsvereinfachung
Im Oktober hatten zwei Flüchtlinge von SPD und GRÜNEN die Gruppe BASU/Tholen zur Gruppe BASU/Ober-Bloibaum/Tholen/Westerman verstärkt. Durch Beitritt der beiden zur BASU sind wir jetzt wieder bei BASU/Tholen angelangt – danke für die zukünftig ersparte Tipparbeit.

Sankt Florian, hochaktiv
Die Gruppe BASU-Tholen also beantragte folgendes zu beschließen:

  • Teilentwidmung der Wilhelmshavener Häfen für hochradioaktiven Atommüll, Brennelemente und andere hochradioaktive Stoffe. Dies soll der Oberbürgermeister gemeinsam mit dem Land prüfen und vornehmen.
  • Informationen über aktuelle Transporte mit radioaktiven Stoffen auf dem Wilhelmshavener Stadtgebiet. Diese Infos soll der OB beim Bundesinnenministerium einholen und auf dieser Grundlage einen Sonderschutzplan für Transportunfälle mit hochradioaktiven Stoffen aufstellen und umsetzen.

Dazu müssen wir zwei Sachen vorausschicken:

  • Anfang Dezember 2010 dräute einem unter allen deutschen Seehäfen ein Transport von Atommüll aus dem Zwischenlager Ahaus ins russische Majak. Tagelang wurde gerätselt, wen es denn nun trifft, bis Bundesumweltminister Röttgen den Transport doch vorläufig absagte.
  • Im Prinzip gibt es schon einen W’havener Ratsbeschluss von 1988 (2 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl) zum Verbot von Atomtransporten im Stadtgebiet.

Der war aber nicht, wie Ratsherr Hellwig (CDU) meinte, gleichlautend wie der jetzt beantragte.

Aus dem Ratsprotokoll vom 21.9.1988:

Antrag Gruppe Grüne/Frauenliste (vorgetragen von Gerd Kläne)
Der Rat der Stadt Wilhelmshaven spricht sich gegen den Transport von radioaktiven Materialien inklusive deren Umschlag in allen Hafenbereichen Wilhelmshavens aus. Er beauftragt die Verwaltung, alle rechtlichen Schritte zu unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen.
Der Rat der Stadt fordert die niedersächsische Landesregierung auf, keine Genehmigungen für den Transport von radioaktiven Materialien nach Wilhelmshaven und den Umschlag im Hafen zu erteilen.

In seiner Begründung führte Herr Kläne aus, daß es nicht angehe, daß die Landesregierung die nach wie vor nicht vorhandene Entsorgung der Atomindustrie durch einen Atommülltransport per Genehmigung legalisiere. Hinzu komme, daß Atomtransporte ein ständiges Risiko bedeuten würden.
Herr Adam erklärte, daß die SPD-Fraktion diesen Antrag unterstützen werde. Der Transport von Brennelementen sei nicht die Art der Wirtschaftsförderung, die man sich für den Wilhelmshavener Hafen wünsche. Es sei bekannt, daß die Sicherheitseinrichtungen weder zu Lande noch auf dem Wasser für den Schutz derartiger Transporte ausreichen. Es sollten alle kommunalpolitischen Möglichkeiten genutzt werden, diese Landesentscheidung zu verhindern.
Herr Dr. Biester wies darauf hin, daß eine Antwort auf den Verbleib des radioaktiven Abfalls aus der Gewinnung von Atomenergie gegeben werden müsse. Man sollte keine vorschnelle und ungeprüfte Ablehnung aussprechen, sondern sich dieses Themenkomplexes mit der Fragestellung annehmen, ob dies für Wilhelmshaven Vorteile bringen könne.
Herr Hofmann stellte besonders heraus, daß die Stadt Wilhelmshaven nicht an den Überlegungen beteiligt wurde.
Beschluss (bei Gegenstimmen der CDU-FDP-Gruppe)

Einigkeit bestand jetzt allein darüber, dass der alte Antrag rechtlich wirkungslos ist. Die Crux ist nämlich, dass die Kommunen in Sachen Atomrecht wenig zu melden haben. Deshalb wurde die Verwaltung schon damals beauftragt, herauszufinden, auf welchem rechtlichen Weg man eine Hafenstadt sauber halten kann. Das hat sie nun 22 Jahre lang nicht geschafft, und deshalb der neue Antrag, so Tjaden. Eine Anfrage zum Thema vom 25.11.2010 wurde ihm auch nicht beantwortet. Also fragte er in Hannover an und erhielt vom Umweltministerium eine Antwort, die auch ans Rathaus ging, aber nicht an die Ratsvertreter weitergeleitet wurde.
SPD-Sprecher Neumann sagte, auch seine Partei wolle keinen Atomtransport über WHVer Straßen oder Häfen, aber sie bezieht sich auf den alten Beschluss. „Im Bedarfsfalle“ müsse man dann „Vorschläge machen“. Die GRÜNEN, so Werner Biehl, waren der BASU dankbar für den Antrag und signalisierten Zustimmung.

Graul mal humorlos
Stadtrat Jens Graul fühlte sich angefasst von dem Vorwurf der Untätigkeit. Bei einer Anfrage von Tholen im Oktober 2010 habe er klar formuliert, dass der alte Beschluss nicht weiter verfolgt würde, weil die Rechtslage sich nicht verändert habe. Und warum Tjaden nicht auch beim Wirtschaftsministerium angefragt habe? Dort hätte er erfahren, dass die Entwidmung von Häfen für bestimmte Gefahrgüter nicht mit der niedersächsischen Hafenordnung vereinbar sei.
Tatsächlich hat Tjaden aber sämtliche niedersächsischen Ministerien angeschrieben, die irgendwie mit Atommüll zu tun haben, so neben MU und MW auch das Innenministerium, zuständig für die Polizei, die die oberste Lufthoheit über Atomtransporte besitzt. Aber so richtig fühlt sich wohl keiner zuständig. Das Wirtschaftsministerium jedenfalls hat seine Anfrage „zuständigkeitshalber“ an das Umweltministerium weitergeleitet

Anschreiben Tjaden an Verteiler: Ministerpräsident David McAllister, Uwe Schünemann, Hartmut Möllring, Aygül Özkan, Prof. Dr. Johanna Wanka, Dr. Bernd Althusmann, Jörg Bode, Astrid Grotelüschen, Bernd Busemann, Hans-Heinrich Sander

Sehr geehrte Damen und Herren, der Rat der Stadt Wilhelmshaven hat am 21.09.1988 beschlossen, dass keine Transporte von radioaktiven Materialien in Wilhelmshaven stattfinden sollen. Zudem forderte der Rat mit diesem Beschluss die Landesregierung auf, keine Genehmigungen für den Transport von radioaktiven Materialien nach Wilhelmshaven und den Umschlag im Hafen zu erteilen. Momentan sind wieder einige Transporte von hochradiaktivem Atommüll geplant. Als Umschlaghafen ist u. a. auch Wilhelmshaven im Gespräch. Der erste dieser möglichen Transporte könnte schon am 15. und 16. Dezember 2010 stattfinden. Für uns ist nicht nachvollziehbar, ob die damalige Landesregierung denn der Aufforderung des Rates der Stadt nachgekommen ist.

Bitte teilen Sie mir umgehend mit:

  1. wurde das Land Niedersachsen 1988 auf Grund des Beschlusses des Rates der Stadt aufgefordert, keine Genehmigungen zu erteilen?
  2. hat die Landesregierung diese Aufforderung umgesetzt?
  3. in welcher Form wurde der Beschluss des Rates der Stadt Wilhelmshaven umgesetzt?
  4. werden auf Grund des Beschlusses auch zukünftig keine Genehmigungen für den Transport von radioaktiven Materialien nach Wilhelmshaven und den Umschlag im Hafen erteilt?

Wir vermuten, dass für den Transport von radioaktiven Materialien nach Wilhelmshaven und den Umschlag im Hafen keine bindenden Regelungen bestehen, die derartige Transporte ausschließen.

Unter dieser Annahme könnten schon im Dezember 2010 hoch radioaktive Materialien in Wilhelmshaven umgeschlagen werden. Teilen Sie uns bitte mit, ob die Landesregierung Niedersachsens den Transport und den Umschlag in Wilhelmshaven genehmigen oder ablehnen wird….

Vom Umweltministerium erhielt Tjaden (wie die Stadt) am 14.12. folgende Antwort: Für die Beförderungsgenehmigung ist das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig. Das Einvernehmen oder die Zustimmung einer betroffenen Gemeinde sei keine Voraussetzung für die
Erteilung. „Der Beschluss des Rates der Stadt Wilhelmshaven vom 21.9.1988 kann die nach Atomrecht zuständige Genehmigungsbehörde nach dieser Rechtslage nicht binden. Der Beschluss kann deshalb lediglich als politischer Appell bzw. als Resolution verstanden werden.“ Das nds. Wirtschaftsministerium als oberste Hafenbehörde könne zur Gefahrenabwehr nur ein Verbot aussprechen, wenn gegen erteilte Anordnungen, Auflagen oder Rechtsvorschriften verstoßen wird. „Dabei ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob ein Verbot verhältnismäßig wäre.“
Nun ja, die Verhältnismäßigkeit der Gefahr durch radioaktive Strahlung gegenüber den Interessen der Atomindustrie ist ja einschlägig bekannt. Soweit dazu.
Graul giftete, Tjaden habe den Antrag nur gestellt, „damit man überhaupt über was reden kann“. Kommentieren wir dies jetzt mal nicht. Das Atomrecht, so Graul, greife aus vielerlei Gründen weit durch, und es bestehe „kein konkreter Anlass, sich damit zu befassen“. (Nee, echt nicht, Dezember 2010 ist ja schon ewig her, da kann von konkret keine Rede sein. Und die betroffene Kommune erfährt ja schon 1, 2 Tage vor dem Transport, wo es lang geht, das muss reichen, um sich konkret damit auseinanderzusetzen.) Der konkrete Anlass, sich damit zu beschäftigen, sei, so Tjaden, seine Anfrage vom November. Die muss die Verwaltung eigentlich beantworten, ob sie gerade Lust dazu hat oder nicht.

von Teichmans Liste
Auftritt FDP-von Teichman: Er habe eine lange Liste, in der steht, wann wo welche Atomtransporte stattfinden, das sei alles öffentlich. Soso, jaja, auf der Website des Bundesamtes für Strahlenschutz (www.bfs.de) gibt es eine Liste mit den aktuellen Transportgenehmigungen, mit Absende- und Bestimmungsort, also „woher“ und „wohin“, aber die wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie reinschreiben würden, wo es lang geht, denn Behörden und Polizei haben keinen Bock auf Castorgegner und noch weniger auf andere Interessierte, die mehr vorhaben als nur eine friedliche Sitzblockade. Um dem auszuweichen, beantragen die Transportunternehmen immer gleich mehrere Routen. Und damit keiner petzt, erfahren auch die nachgeordneten Behörden entlang der Route möglichst spät davon. Das erläuterte, in etwas anderen Worten, auch Tjaden seinen neunmalklugen Ratskollegen.
Tjaden wolle, so von Teichman (amtierender Vorsitzender des Umweltausschusses) „unbegründete Ängste schüren wie in Gorleben“. Auch das kommentiert sich selbst. „Dieses Land hat eine hoch entwickelte Industrie, und die braucht Energie“. Und im Übrigen „leben wir überall mit Risiken, durch Chlorgas, Öl“ usw., und „ohne Risiken gibt es kein Leben“. Was hatte ich gesagt? Ach so: Vorsitzender des Umweltausschusses. Sein Fazit: „Was soll der Quatsch“?
Hellwig setzte oben drauf: „Der Antrag soll Probleme lösen, die wir nicht haben.“ Genau. Wir sind ja weit weg von der Asse, von Schacht Konrad, von Ahaus und erst recht von Majak in Russland (s. Kasten). Und beim nächsten Mal beten wir dann wieder, dass es einen anderen Hafen trifft.
Wenn es wirklich soweit ist, schloss Tjaden, „haben wir allenfalls noch Zeit, wegzufahren“. Sein Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt, die Gruppe BASU-Tholen, GRÜNE und die LINKE stimmten dafür. Wir schlagen vor, dass die Mehrheit mal einen Ausflug nach Majak macht, oder nach Tschernobyl, da werden seit Neuestem (wirklich!) touristische Erlebnistouren angeboten. Da sind sie mal richtig dicht dran an der Wirklichkeit und vorneweg läuft von Teichman im T-Shirt mit Aufdruck „Ohne Risiko kein Leben“.

Stichwort: Majak

Außer den Sicherheitsrisiken beim Transport durch Deutschland und weitere Länder spricht noch mehr gegen die Lieferungen nach Majak. Seit der Inbetriebnahme der kerntechnischen Anlage im Jahr 1948 hat es dort immer wieder Störfälle gegeben, und auch im „normalen“ Betrieb werden Luft, Wasser und Boden derart verseucht, dass nachweislich zahlreiche Krebstote darauf zurückzuführen sind.
Bis September 1951 wurden 78 Millionen Kubikmeter hochradioaktiven flüssigen Abfalls in den Fluss Tetscha eingeleitet, aus dem die 120.000 Bewohner der Region teilweise ihr Trinkwasser bezogen. Eine Studie unter Personen, die vor 1950 geboren wurden und mindestens zwischen 1950 und 1960 in einem der 41 Dörfer an der Tetscha gelebt haben, ergab, dass etwa 3 % der Krebstode und 63 % der Leukämietode auf die radioaktive Belastung zurückzuführen sind.
In den Karatschai-See wurde bis 1993 hochradioaktiver Abfall eingeleitet. Der See gilt als einer der am stärksten radioaktiv belasteten Orte der Erde. 2008 haben die Neuerkrankungen an Krebs bei Kindern um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.
1957 gab es eine Explosion in einem Lagertank. die große Mengen an radioaktiven Stoffen freisetzte. Der Unfall ist von der Menge der freigesetzten Strahlung her vergleichbar mit der Tschernobyl-Katastrophe, nur wurde der sogenannte Kyschtym-Unfall erfolgreich vertuscht. Zuletzt lief 2007 flüssiger radioaktiver Abfall aus einem Tank aus.
Die radioaktive Belastung der Region ist Untersuchungsgegenstand eines internationalen Forschungsprojekts, an dem auch das Bundesamt für Strahlenschutz beteiligt ist.

Aus einem offenen Brief, den russische Umweltschützer, darunter zahlreiche Wissenschaftler, unter anderem an unsere Bundeskanzlerin richteten: „Der Transport von radioaktiv strahlendem Material nach Russland ist eine Gefahr für die nächsten Generationen, da Atommüll bei Lagerung und Wiederaufbereitung dieses Materials in Russland in die Umwelt gelangt. Die … Vereinbarung zwischen den Regierungen Russlands, der USA und Deutschlands ist unserer Auffassung nach unmoralisch. Diese Vereinbarung verletzt das internationale Prinzip einer gleichberechtigten ökologischen Sicherheit. Diese Vereinbarung bedient die aktuellen finanziellen Interessen russischer Bürokraten. Wir wenden uns an Angela Merkel, die Kanzlerin von Deutschland, und an die anderen Regierungen mit mächtigen Strukturen zur Wahrung der Sicherheit (der ökologischen Sicherheit und der Sicherheit vor Terrorismus), auf den Export ihres Atommülls zu verzichten, die Verantwortung hierfür nicht anderen Ländern und Völkern aufzubürden.“

In der globalen Verantwortung sollte die Staatengemeinschaft von jedem weiteren Transport nach Majak absehen. Zu sagen „Sankt Florian – was geht mich das an, solange kein konkreter Transport über Wilhelmshaven geht“ ist erschütternd egoistisch und verantwortungslos gegenüber den Beschäftigten und Anwohnern von Majak.

Imke Zwoch

Wie machen es die anderen?
In der Einwohnerfragestunde meldete sich Jochen Martin zu Wort. Der Hafen- und Schifffahrtsbeobachter hat auch im Gegenwind schon mehrfach zum Thema Atommülltransporte berichtet (s. Gegenwind 248 – November 2009 und 255 – Dezember 2010). Ehe er zu seiner Frage kam, fasste er für den Rat einmal zusammen, wie Entscheidungsträger in andere Kommunen auf das Problem reagiert haben: In Cuxhaven lehnte nach vorangegangener Kritik aus der Bürgerschaft die Hafengesellschaft Cuxport einen Transport über Cuxhaven ab. In Bremen wurde mit rot-grüner Mehrheit beschlossen, der Senat solle „alle Möglichkeiten ausschöpfen, unnötige Atomtransporte durch das Land Bremen zu verhindern“. Das Hafenumschlagunternehmen Eurogate hat zugesagt, an ihren Bremer Hafenanlagen keine Castor-Behälter umzuschlagen In Lübeck wurde der Hafen von der Bürgerschaft 1990 teilentwidmet und somit für Atomtransporte gesperrt. Die Stadt Emden setzte vor vielen Jahren einen Atomparagrafen in ihrer besonderen Hafenordnung durch. ‚Gefahrengüter, die als Atommüll einzustufen sind, dürfen weder gelagert, im Transit befördert noch umgeschlagen werden.‘ (siehe Artikel: Nichtstun)

Die Umsetzung lässt andernorts zwar auch auf sich warten, aber immerhin wurde etwas versucht, während bei uns seit dem Beschluss von 1988 alles Weitere ausgesessen wird. Das war denn auch Martins Frage, wann hier endlich etwas passiert? Damals wurde die Verwaltung aufgefordert, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung zu nutzen, Heute stellt unsere Verwaltung fest, dass der damalige Beschluss so keine Wirkung entfaltet – ein Grund mehr, sich drum zu kümmern, statt sich übergeordneten Behörden kampflos zu ergeben.

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