Newroz
Mrz 071994
 

Trickreich

Die Stadtverwaltung versuchte eine Veranstaltung des Kurdischen Vereins zu verbieten

(hk) Mit hanebüchenen Begründungen versuchte das Amt für Schulen und Kultur eine Veranstaltung des Kurdischen Vereins zum kurdischen Neujahrsfest Newroz zu verhindern. Solche Veranstaltungen gab es in den letzten Wochen überall in der Bundesrepublik, unter anderen in Hannover, Leer, Osnabrück, Hamburg und Bremen. Doch in Wilhelmshaven gehen die Uhren nun mal anders.

Mit Datum vom 15. Dezember 1993 beantragte der Kurdische Verein die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten: „Am Samstag, den 19. März begehen die Kurden das Newroz-Fest, das kurdische Neujahrsfest. Dieses Fest würden wir gerne gemeinsam mit unseren Landsleuten in der Aula der Bremer Schule begehen.“ Dieser Antrag schlummerte nun erst einmal für mehrere Wochen in irgendeinem Ablagekorb. Am 27. Januar kam dann die Ablehnung: „Ihrem Antrag auf Nutzung der Pausenhalle des Schulzentrums Bremer Straße am 19.03.1994 kann ich nicht entsprechen. Begründung: Wie Sie in einem Gespräch am 21.01.1994 uns mitgeteilt haben, werden ca. 500 – 600 Personen zu dieser Veranstaltung erwartet. (…) Die Pausenhalle ist für Feste mit einer erwarteten Besucherzahl von mehr als 300 Personen ungeeignet. Aus Sicherheitsgründen ist daher bereits eine Nutzung nicht möglich.“

Der Kurdische Verein beschloß daraufhin, nur im Raum Wilhelmshaven für die Veranstaltung zu werben, und reduzierte dadurch die erwartete Besucherzahl auf 250 bis 300. Damit stand einer Genehmigung nichts mehr im Wege. Und so hieß es dann auch folgerichtig im nächsten Schreiben der Stadt: Da „… lediglich mit einer Besucherzahl von 250 Personen gerechnet wird, ist die Begründung meines obigen Ablehnungsschreibens hinfällig.“

Nun wollte der Herr Wilkens vom Amt für Schulen und Kultur aber nicht, daß die Kurden ihr Neujahrsfest feiern. Aus diesem Grunde zauberte er eine neue Begründung hervor: „Nach dem Erlaß des Niedersächsischen Ministers des Innern vom 15.02.1990 werden bestimmte ausländische Staatsfeiertage, Gedenktage und sonstige Ereignisse von bestimmten Gruppierungen zeitweilig zum Anlaß genommen, um gegen Einrichtungen, Veranstaltungen und Personen dieser Staaten Gewalttaten zu begehen. Hierfür kommt auch der 21. März als Newroz-Kurdisches Neujahrsfest (verschiedene Feiern zwischen Januar und März) in Betracht. Ich bedaure, Ihnen keine andere Mitteilung machen zu können.“ In dem Erlaß des Innenministeriums steht natürlich kein Wort davon, daß solche Feiern nicht stattfinden dürfen. In dem Erlaß wird empfohlen “ … auch weiterhin unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten rechtzeitig vor diesen Tagen bzw. Ereignissen zu prüfen, ob und ggf. – welche Schutzmaßnahmen für die entsprechenden Konsulate, anderen amtlichen und halbamtlichen Vertretungen sowie Veranstaltungen – evtl. auch für bestimmte Reisebüros – anzuordnen und – die Betroffenen zu unterrichten sind. „ Deutlich wird, daß dieser Erlaß keinerlei Handhabe bietet, das Newroz-Fest in der Schule Bremerstraße zu verbieten.

Über die Motive der Wilhelmshavener Stadtverwaltung läßt sich nur spekulieren, mit Ausländerfreundlichkeit haben sie jedenfalls nichts zu tun – eher mit dem Gegenteil. Erstaunlich auch, daß so richtig kein Verantwortlicher für diese Handlungsweise der Stadtverwaltung zu finden war. Oberstadtdirektor Schreiber war nicht da, sein Vertreter, Stadtdirektor Frank, wußte von nichts, der Oberbürgermeister war nicht unterrichtet. Ob es dann letztendlich, wie gerüchteweise zu vernehmen war, der Herr Milger zu verantworten hatte, bleibt unbeantwortet im Raume stehen. Inzwischen war das Verhalten der Stadtverwaltung öffentlich bekannt geworden, Einzelpersonen und Organisationen intervenierten und der Vorsitzende des Kurdischen Vereins, Mehmet Ateş, legte erneut Widerspruch ein. In der zweiten Märzwoche mußte die Stadt dann grünes Licht für die Veranstaltung geben: „Eine erneute Überprüfung der Sach- und Rechtslage hat die in meinem Ablehnungsschreiben formulierten Bedenken ausgeräumt. „

Aufgrund des Veranstaltungsverbotes durch die Stadt konnte der Kurdische Verein keine Vorbereitungen für das Fest treffen. Darum wird die Veranstaltung nicht am 19., sondern am 26. März stattfinden. Eingeladen sind alle Bürgerinnen und Bürger, gemeinsam mit den hier lebenden Kurden ein buntes Neujahrsfest mit Tanz, Musik, Sketchen usw. zu feiern. Beginn 18.00 Uhr in der Pausenhalle der Schule Bremer Straße (Eingang von der Mitscherlichstraße).

Gastkommentar

Newroz 1994

Die Kurden sind ein Volk mit einer dreitausendjährigen Geschichte und einer hohen Kultur.

Ende des 1. Weltkriegs wurde Kurdistan mit Hilfe der Westmächte auf vier Staaten verteilt. Seitdem ist das kurdische Volk gezwungen, für seine Einheit, seine Freiheit; seine Kultur und seine demokratischen Rechte zu kämpfen. Seit 70 Jahren wird dieses Streben brutal und blutig unterdrückt. Das entsetzliche Giftgasmassaker im Irak ist eines der jüngsten Beispiele des Terrors gegen das kurdische Volk. Im Nato-Mitgliedsstaat Türkei werden die Rechte der Kurden mit Füßen getreten. In den letzten zwei Jahren wurden 15 kurdische Journalisten ermordet, 900 kurdische Städte und Dörfer wurden von der türkischen Armee zerstört, die Menschen vertrieben.

Hunderttausende flohen vor diesem Terror ins Ausland und versuchen dort, auf die Lage der Kurden aufmerksam zu machen, für ihre Rechte zu kämpfen und ihre Kultur zu erhalten. Da in der kurdischen Heimat jede kulturelle Bestrebung, die Sprache, die Traditionen und selbst die Musik unterdrückt wird, ist der Zusammenschluß der geflüchteten Kurden in Interessenverbänden und Kulturvereinen die einzige Möglichkeit, ihre nationale und kulturelle Identität zu bewahren.

Viel Beifall vom türkischen Staat bekam die Bundesregierung, als sie am 26. November 1993 im Gefolge des PKK-Verbotes auch gleich 35 kurdische Vereine und Kulturzentren verbot. Die Bundesrepublik, die sich durch ihre Waffenlieferungen an die Türkei und andere Staaten dieser Region ohnehin schon an der Vernichtung des kurdischen Volkes schuldig macht, machte damit auch die hier lebende Opposition mundtot und zerstörte das kulturelle und politische Leben der hier lebenden Kurden. Die Aufhebung der Immunität von kurdischen Abgeordneten des türkischen Parlaments, die Verhaftungen zahlreicher Bürgermeister kurdischer Gemeinden und die Änderungen des türkischen Kommunalwahlgesetzes sind Vorboten für eine sich noch weiter verschärfende Situation der Kurden in der Türkei.

Ein türkischer Generalstabschef sprach kürzlich davon, daß das Kurdenproblem im Frühjahr 1994 erledigt sein wird. Darum ist das Newroz-Fest im Jahre 1994 für die kurdische Bevölkerung von besonderer Bedeutung. Denn Newroz ist ein Fest für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmungsrechte.

Mehmet Ateş, 1. Vorsitzender des Kurdischen Vereins Wilhelmshaven

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