Verdunkeln und verschleiern
Was hat die Müllkippe Kirchreihe mit den Krebserkrankungen an der IGS zu tun?
(hk) Seit über zwei Jahren hat die Stadt Wilhelmshaven es schwarz auf weiß: Aus dem Deponiekörper der ehemaligen Müllkippe tom-Brok-Straße dringen giftige Substanzen in die Umwelt. Die Stadt hat sich allerdings zum Nichtstun verpflichtet – würde sie die begutachtete Gefährdung anerkennen, kämen Kosten in ungeahnter Höhe auf sie zu.
Inzwischen hat sich RTL der Sache angenommen – in der Magazinsendung „Explosiv“ brachte das Magazin vor einigen Wochen die Krebserkrankungen von 12 LehrerInnen der IGS in Zusammenhang mit Schadstoffaustritten aus der Deponie Kirchreihe. Von diesen zwölf an Krebs erkrankten LehrerInnen sind inzwischen vier gestorben. In einer Folgesendung (16.3.96) stellte RTL ein vom Sender in Auftrag gegebenes Gutachten vor, in dem u.a. stark überhöhte Werte des krebserregenden Benzols in den Gräben im Bereich der IGS nachgewiesen wurden. Rolf Murzen von der Gesellschaft fur Bioanalytik Hamburg berichtete in „Explosiv“, daß ihre Laboruntersuchungen giftige Substanzen im Oberflächenwasser „stark konzentriert und krebserregend dazu“, ergeben hätten. Besonders alarmierend seien, so Murzen, die Werte für das krebserregende Benzol. Kommentar des städtischen Umweltdezernenten Jens Graul in Explosiv: „Ich würde mal aus meiner Einschätzung sagen: Trinkwasser ist das nicht und wer dieses Sickerwasser nicht trinkt, der wird normalerweise kein Problem damit haben.“
Die Auseinandersetzung über die Gefahren aus den Müllkippen an der Kirchreihe und der tom-Brok-Straße hat durch die RTL-Sendung an Brisanz zugenommen. Der GEGENWIND sieht sich dadurch veranlaßt, noch einmal die Ergebnisse und Empfehlungen des von der Stadt in Auftrag gegebenen Contrast-Gutachtens kurz darzustellen.
Im März 1994 legte die „Contrast – Gesellschaft für Abfallwirtschaft und angewandte Umwelttechnologie mbH“ der Stadt ihren Bericht vor. In der „Zusammenfassenden Bewertung“ heißt es u.a.: „Die vorliegenden Analyseergebnisse zeigen, daß eine erhebliche Belastung des Oberbodens sowohl durch Schwermetalle als auch durch PAK (polyaromatische Kohlenwasserstoffe, z.B. Benzol -hk-) festzustellen ist. Beide Stoffgruppen besitzen ein beträchtliches toxisches Potential, wobei ein Teil der analysierten Substanzen zudem als kanzerogen (krebserregend) und/oder mutagen (erbgutschädigend) einzustufen ist. Für die toxikologische Einschätzung einer potentiellen Gesundheitsgefährdung (…) sind die Expositionsmöglichkeiten im Hinblick auf die Nutzung des Areals als Freizeitgelände, Aufenthaltsfläche für spielende Kinder, Anbaufläche für Obst o. ä. am kritischsten einzuschätzen. Dies trifft vor allem auf Kleinkinder zu, die beim Spielen im Freien Bodenmaterial durch Hand-zu-Mund-Kontakt aufnehmen und die darin enthaltenen Schadstoffe auf diesem Weg in den Körper gelangen können. (…) Die Belastung des Bodens mit PAK liegt größtenteils beträchtlich über den Konzentrationen, die in vergleichbaren Referenzböden zu erwarten sind.
In der obersten Bodenschicht sind Stoffe wie Benzo(a)pyren, Benzo(k)fluoranthen, Chrysen und Indeno(1,2,3-cd)pyren, deren hohes kanzerogenes und gentoxisches Potential nachgewiesen ist, in bedenklichen Konzentrationen vorhanden. (…) Insgesamt erreichen die gemessenen Schadstoffkonzentrationen Bereiche, die aufgrund des toxischen Wirkungspotentials der Schwermetalle und der PAK als bedenklich einzustufen sind. Gesundheitsgefährdende Wirkungen können bei einer längerfristigen Exposition nicht ausgeschlossen werden.
Aufbauend auf den Ergebnissen der orientierenden Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung der Altdeponie „tom-Brok-Straße“, die eine z. T. erhebliche Belastung von Boden und Stauwasser mit umweltrelevanten Schadstoffen zeigten, wurden weitere Untersuchungen an den Schutzgütern Boden, Wasser und Luft durchgeführt. (…)
Von den 20 auf dem Kleingartengelände aus dem Bodenhorizont bis 1,0 m entnommenen und zur Analyse weitergeleiteten Bodenproben zeigten eine große Anzahl kritische bis akut erhöhte Gehalte an Schwermetallen und Arsen. (…) insbesondere in den oberen 0,30 m Bodenmeter lagen bei 10 der untersuchten Bodenproben alarmierende Schwermetallgehalte vor. Darüber hinaus wurden für den östlichen Kleingartenbereich sehr stark erhöhte PAK-Konzentrationen ermittelt. Insbesondere das toxische und als cancerogen einzustufende Benzo(a)pyren wurde, auch in der obersten Bodenschicht (30 cm), in erheblichen, besorgniserregenden Konzentrationen analysiert. (…)
Insgesamt zeigen die Analysen der Oberbodenproben, daß gravierende Überschreitungen der im Falle einer oralen Aufnahme maximal im Boden tolerierbaren Schadstoffkonzentrationen (insbesondere für Blei, Cadmium, Quecksilber, Arsen, Benz(a)pyren) vorhanden sind und somit eine erhebliche Gefährdung insbesondere für Kinder nicht auszuschließen ist. (…) Die chemischen Untersuchungen von 7 Grabenwasserproben ergaben generell erhöhte Zink-, Quecksilber-, Arsen- und Borgehalte … in z. T. bedenklichen Konzentrationen. (…) Die chemischen Analysen der Grundwasserprobe ergaben ebenfalls bedenklich erhöhte Schwermetallgehalte.
Empfehlungen für die weitere Vorgehensweise
Aufgrund der ermittelten Schadstoffgehalte im Kleingartengelände sowie der sensiblen Nutzung ist eine akute Gefährdung des Menschen nicht auszuschließen. (…)
Aus den genannten Gründen wird daher vom Gutachter empfohlen, die folgenden Sofortmaßnahmen zu ergreifen:
• Untersagung jeglichen Anbaus von Kulturpflanzen
• Nutzungsverbot für Graben-, Stau- und Grundwasser (…)
• Jeglicher direkter Hautkontakt zum Boden muß ausgeschlossen werden (…)
• Kinder dürfen nicht im Kleingartengelände spielen
• Die Haltung und Verwertung von Nutztieren auf dem Kleingartengelände sollte unterbunden werden.
Darüber hinaus ist zu überlegen, eine Abdeckung der Oberfläche des Kleingartengeländes zur Verhinderung von Verwehungen vorzunehmen.“
Soweit die Zitate aus dem Contrast-Gutachten.
Was weiter passierte, ist kurz geschildert:
Das Gutachten wurde unter Verschluß genommen – selbst die Mitglieder des Stadtrates bekamen erst nach langem hin und her Einblick, allerdings nur unter der Auflage, das Gutachten geheimzuhalten.
Die Stadtverwaltung entzog dem Umweltdezernenten Jens Graul die Zuständigkeit und übertrug sie an den verhinderten Jade-Boß Karl-Georg Sonnemann. Doch noch immer stand das Gutachten mit den brisanten Forderungen im Raum, also wurde flugs ein anderes Institut mit der Begutachtung der Messergebnisse beauftragt und man konnte aufatmen: Diese kamen zu der erwünschten Aussage daß kein sofortiger Handlungsbedarf bestehe.
Das in dem Contrast-Gutachten untersuchte
Geblet umfaßt nun allerdings nicht den Bereich der Müllkippe Kirchreihe – doch es ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass die Probleme dort um keinen Deut geringer sind. Ein Gutachten über diesen Bereich, auf dem Sportforum u.ä. entstanden, soll seit einiger Zeit vorliegen und gut bewacht in der Schublade des bereits erwähnten Leiters des Bauordnungsamtes Karl-Georg Sonnemann ruhen.
Schlußkommentar „Explosiv“ 16.3.96
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