MSC Flaminia
Sep 012012
 

Für alle Fälle gerüstet

Die Bundesregierung hat dem in Folge von Explosionen und Bränden stark beschädigten Containerfrachter MSC FLAMINIA einen Notliegeplatz in deutschen Gewässern gestattet. Dies war für Deutschland als Flaggenstaat des – seit dem 14. Juli im Nordatlantik treibenden – Havaristen unausweichlich geworden, weil sich kein dem Unfallort nächstgelegener EU-Staat bereit fand, dessen Aufnahme in einem ihrer Häfen oder anderen geschützten Bereichen zu gestatten.

Die EU-Küstenstaaten sind zwar lt. EU Richtlinie 2002/59/EG gehalten, Pläne für die Bereitstellung entsprechender Mittel und Einrichtungen für Hilfe, Bergung und ein Eingreifen bei Verschmutzung zu erstellen. Doch diese kommen nur zur Anwendung, wenn sich das Schiff in Not in ihren Hoheitsgewässern befindet. Zudem kann einem auf einen Notliegeplatz angewiesenen Schiff der Zugang auf Grund des Ergebnisses eines erfolgten Bewertungsverfahrens verwehrt werden. Diese Möglichkeit haben Frankreich und Großbritannien offenbar genutzt… 

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Foto: Havariekommando

Es ist also jetzt die Aufgabe des vom Bund und den Küstenländern betriebenen Havariekommandos, die für die Bergungsarbeiten erforderlichen Geräte und Transportmittel zur Gefahrenabwehr bereitzustellen.

Ein ‚Fact-Finding Team’ (Expertenteam) hat sich an Bord der MSC FLAMINIA einen Überblick über den Zustand des Schiffes und der Ladung verschafft. Demnach ist der Schiffskörper stabil und die Temperaturen in den kokelnden Containern sind weitgehend im Abklingen.

Daraufhin hat der Havarist von England, Frankreich, Belgien und den Niederlanden die Erlaubnis erhalten, deren Hoheitsgewässer zu passieren. „Im gesamten Verlauf der Reise werden Ingenieure der Reederei und Mitarbeiter der Bergungsfirma an Bord sein. Sie stellen unter anderem sicher, dass eine Brandwache gesichert ist und die Feuerlöscheinrichtung an Bord der MSC FLAMINIA jederzeit einsetzbar ist.“ (PM, http://www.reederei-nsb.de  01.09.12).

Am 02. Sept. konnte dann die MSC FLAMINIA nach sieben Wochen (!!) Wellenreiten im Nordatlantik endlich die Schleppfahrt zu den deutschen Gewässern antreten. Für die erste Etappe durch den Ärmelkanal werden fünf Tage veranschlagt. Der Schleppzug dürfte also (wenn nix dazwischen kommt) in der 2. Septemberwoche auf der Tiefwasserreede eintreffen.

Für die Bergungsarbeiten in deutschen Gewässern sind bereits zwei Eckpunkte festgelegt worden:

Auf der Basis der bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse hat das Havariekommando entschieden, das Schiff auf die Tiefwasserreede zu schleppen. Die Tiefwasserreede liegt in der Deutschen Bucht ungefähr 12 sm westlich von Helgoland. Danach ist es geplant die MSC FLAMINIA in den Hafen von Wilhelmshaven zu bringen. (Havariekommando, PM Nr. 3 vom 22.08.12)

Die Tiefwasserreede liegt außerhalb der 12-Meilenzone und erstreckt sich vom nächstgelegenen Helgoland aus gesehen, in einem Winkel zwischen west- und südwestlicher Richtung.

Zur Vorgehensweise teilte das Havariekommando mit:

Wenn die MSC FLAMINIA einen sicheren Liegeplatz in Deutschland erreicht hat, wird ein Expertenteam (Feuerwehrleute, Chemiker, Ingenieure) das Schiff noch einmal genau untersuchen, um das weitere Vorgehen festzulegen. Sowohl der Zustand des Schiffes als auch der der Ladung wird betrachtet werden.

Zu den möglichen nächsten Schritten gehört das Löschen der Treibstoff- und Schmierstoffbestände, das Abpumpen des Löschwassers und das Entladen einzelner Container. Erst danach wird die MSC FLAMINIA in einen deutschen Hafen geschleppt. (Havariekommando, PM Nr. 2 vom 22.08.12)

Dies klingt zunächst mal beruhigend! Bei tieferem Nachdenken drängt sich jedoch hierzu noch die eine und andere Frage auf:

► Wie will man weiter vorgehen, wenn die möglichen ersten Schritte wegen starken Seegangs auf der Tiefwasserreede tage- oder wochenlang nicht durchgeführt werden können?

Gesetzt den Fall, dass vor dem Heranziehen eines schweren Sturms gewarnt wird und man gezwungen ist, ‚Anker auf’ zu gehen, bevor die Ankerkette bricht bzw. um das Schiff und seine Ladung vor zusätzlichen Schäden zu bewahren:

► Will man das Schiff am Schlepptau in der Deutschen Bucht abwettern lassen oder einen seegangsgeschützten Notliegeplatz im Schutz der Küstengewässer anweisen?

Falls man sich für einen Notliegeplatz entschieden hat:

► Soll das Schiff dann gleich zum JadeWeserPort nach Wilhelmshaven geschleppt oder zunächst mal Zwischenstation auf einer seegangsgeschützten Reede auf der Innenjade oder der Außenweser zwecks Löschwasserentsorgung usw. gemacht werden?

Da sowohl der JadeWeserPort als auch die Reeden auf der Innenjade und der Außenweser auf Tuchfühlung zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer liegen, gilt es vor der Festlegung des Notliegeplatzes die Gefährdungspotenziale für die Menschen, die Küstensäume und das Wattenmeer abzuwägen. Doch wie es sich zur Zeit darstellt, scheint der Bergungsablauf nach Inspektion des Havaristen auf der Tiefwasserreede – geschehe was wolle – letztendlich einzig und allein auf nur einen Notliegeplatz hinauszulaufen: Den JadeWeserPort in Wilhelmshaven!

Vorausgesetzt, für dessen Anwohner besteht keine Gefährdung durch Schadstoff-Immissionen in Folge erneuter Explosionen, Feuersbrünste und herumwehender Schadstoffpartikel: Es muss zudem weitgehend ausgeschlossen werden können, dass keine Schadstoffe z.B. von Deck in die Jade geschwemmt werden.

Hierbei gilt es besonders zu berücksichtigen, dass der JadeWeserPort in den Meeresarm ‚Jaderinne’ hineingebaut wurde; eine Großrinne, deren Bett bis in den Jadebusen hineinreicht und sich dort in Prielsysteme verästelt, deren Zweigspitzen bis zum Nordseebad Dangast bzw. nach Varel reichen. Bei Flutstrom würde eine evtl. aus der Container-Decksladung des Havaristen herauslaufende Giftbrühe in dieses Prielsystem hineinströmen und das dortige Wattenmeer damit verseuchen. Und bei Ebbstrom könnten neben dem Wattenmeer die Küstenbadeorte Hooksiel, Schillig, die Vogelschutzinseln Mellum und Minsener Oog sowie die Insel Wangerooge in Mitleidenschaft gezogen werden.

► Zieht das Havariekommando deshalb mit in Betracht, dass Decksladung und Aufbauten der MSC FLAMINIA so stark mit hochgefährlichen Giftstoffen verseucht sein könnten, dass das Schiff dekontaminiert werden muss?

Ist dies der Fall, dann muss auch dafür eine Lösung gefunden werden. Ein unbeschwertes ’brain storming’ könnte hierfür ganz unkonventionelle Lösungsansätze hervorbringen:

► Sollte man nicht mal untersuchen, ob sich eine zum Trockendock umfunktionierte Kammer einer Doppelschleuse dazu eignet?!

Wenn ja, dann könnte man darinnen die zur Dekontaminierung eingesetzte Flüssigkeit auffangen und anschließend entsorgen. Solche Doppelschleusen gibt es sowohl in Wilhelmshaven als auch in Brunsbüttel…

Vom Havariekommando muss erwartet werden, dass es beim Eintreffen der explosions- und feuergeschädigten MSC FLAMINIA in deutschen Gewässern auf alle denkbaren Bedrohungen für Mensch, Umwelt und Natur vorbereitet ist, sodass es, auf jede Gefährdungslage, mit der zu rechnen ist, flexibel reagieren kann.

Über den besonderen Anspruch der Öffentlichkeit, zeitnah, umfassend und sachlich informiert zu werden, sollte sich das Havariekommando über die Pressearbeit hinaus, der Sorgen der Menschen um ihre Gesundheit und die Schädigung ihrer Umwelt und Natur annehmen und offen für Vorschläge sein. Hierzu könnte man eine Hotline o.ä. einrichten…

Jochen Martin

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