Mammamobil
Jan 282004
 

Am Ziel

Pilotprojekt forciert Brustkrebs-Früherkennung

(iz) Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 46.000 Frauen an Brustkrebs, 19.000 sterben daran. Bislang gab es keine organisierte Früherkennung. Jetzt könnten die Ergebnisse eines in Wittmund initiierten Projektes jährlich 3.000 Frauen das Leben retten.

Mammografie, die Röntgenuntersuchung der Brust, ist derzeit die einzige effektive Methode zur Früherkennung von Brustkrebs. Die minimale Strahlenbelastung durch moderne Geräte wird durch deutlich bessere Heilungs- und Überlebenschancen mehr als aufgewogen. Die Tastuntersuchung lässt Geschwülste erst ab etwa 2 cm Größe erkennen. In diesem Stadium haben betroffene Frauen erheblich geringere Chancen als bei einer Früherkennung. Bis vor kurzem mussten Frauen, bei denen kein Verdacht und keine erbliche Vorbelastung vorlag, die Mammografiekosten von 60 Euro selbst bezahlen. Eine gesetzliche Vorgabe für Reihenuntersuchungen gab es bislang nicht.

Qualitätssicherung als Chance

Frühzeitige und genaue Diagnosen durch organisierte Reihenuntersuchungen mit Doppelbefundung könnten Zehntausenden Frauen viel Leid ersparen. Zur Entwicklung und Überprüfung der erforderlichen Methoden wurde 1998 ein Pilotprojekt ausgeschrieben. Das Tumorzentrum Weser-Ems bewarb sich um die Teilnahme und erhielt 1999 (neben Bremen und Wiesbaden) den Zuschlag. Unter Leitung des Wittmunder Radiologen Dr. Gerold Hecht konnten Anfang 2002 die benötigten Geräte beschafft werden.
Da die Teilnehmerinnenzahl eines Projektes auf 25.000 begrenzt war, wählte man verschiedene ländliche Gemeinden in den Landkreisen Wittmund, Friesland und Umgebung aus. Zielgruppe waren Frauen zwischen 50 und 69 Jahren: In dieser höchsten Risikogruppe lässt sich ein Krebs mit den eingesetzten Methoden am sichersten feststellen.
Damit alle Frauen auf dem selben Qualitätsniveau, mit einheitlichem technischen Gerät und vom selben medizinischen Personal untersucht werden können („Mammografie-Screening”), kommt ein Röntgenbus („Mammobil”) zu den Frauen in die Gemeinden. An Hand der amtlichen Melderegister erhalten alle Frauen der Zielgruppe zwei Wochen vor ihrem Untersuchungstermin ihre Einladung, mit Informationen zu Sinn und Ziel des Projektes. Die Teilnahme ist kostenlos und freiwillig. Die Teilnahmequote von etwa 70% aller angeschriebenen Frauen übertrifft die Erwartungen der Projektleitung. Das große Interesse der Frauen zeigt sich auch am regen Zulauf zu den ergänzend angebotenen Informationsveranstaltungen. Allein Anfang Januar versammelten sich etwa 200 Frauen in einem Bockhorner Gasthof, wo Dr. Hecht auf Einladung der Frauenbeauftragten Elke Rohlfs-Jacobsen über das Projekt referierte.

Vorteile des Mammografie-Screenings
– Qualitätssicherung von der Erstdiagnose bis zur Nachbehandlung
– über das Melderegister werden alle Frauen der Risikogruppe erfasst
– organisierte Doppelbefundung, ggf. Konsensgespräch
– qualitätsgesicherte Folgediagnostik binnen einer Woche nach Erstdiagnose
– präoperative Konferenz mit allen beteiligten Medizinern
– OP-Termin binnen 3 Wochen nach Erstdiagnose
– qualitätsgesicherte Behandlung
– psychosoziale Betreuung
– über 90 % korrekte Diagnosen
Die Frau im Mittelpunkt

Im „Mammobil” erwartet die Teilnehmerinnen eine freundliche Empfangskraft. Zwei speziell geschulte medizinisch-technische Assistentinnen können jede Frau individuell optimal röntgen. Röntgengerät und Filmentwicklung werden täglich neu geeicht. Die Aufnahmen werden von zwei Fachärzten unabhängig voneinander begutachtet. Bei abweichenden Ergebnissen folgt eine Diagnosekonferenz. Alle teilnehmenden Frauen erhalten binnen 14 Tagen schriftlich ihr Ergebnis. 95% sind ohne Befund. Die Anderen werden in das Screeningzentrum Wittmund eingeladen. Dort wird der Befund durch weitere Verfahren wie Ultraschall überprüft. Bei bleibendem Verdacht wird mit einer dünnen Biopsienadel eine winzige Gewebeprobe entnommen. Bestätigt die mikroskopische Untersuchung den Verdacht, legen PathologIn und OperateurIn gemeinsam die Behandlungsstrategie gemäß europäischen Richtlinien fest (präoperative Konferenz). Parallel werden betroffene Frauen von einer psychologisch geschulten Krankenschwester betreut.

Vom Modellprojekt zur Regelversorgung

Das Pilotprojekt wird Ende 2004 abgeschlossen. Bisher zeigten sich fast alle teilnehmenden Frauen zufrieden mit dem Verfahren. Das Ergebnis der qualitätsgesicherten Mammographie mit Doppelbefundung ist zu über 90% korrekt. In 98% der positiven Befunde kann die endgültige Diagnose an Hand der Biopsie festgelegt werden, lediglich bei 2 % ist die Operation zur Diagnosefindung notwendig. Im Gegensatz dazu werden derzeit ohne Mammographie-Screening ca. 50% unnötige Brustoperationen durchgeführt.
Die Ergebnisse der Pilotprojekte in Weser-Ems und den anderen Projektregionen haben bewirkt, dass ab 2005 eine Vorsorge im Abstand von zwei Jahren in dieser Form für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren bundesweit zur Regelleistung der Krankenkassen wird. Die so erzielte flächendeckende Früherkennung ermöglicht eine Überlebensrate von über 90% der an Brustkrebs erkrankten Frauen.
„Eine unglaubliche Chance” freut sich Rohlfs-Jacobsen, wobei sie Dr. Hecht für seine Initiative einen großen Anteil an dieser hoffnungsvollen Perspektive für alle Frauen zuschreibt.
Nähere Information erhalten Sie unter www.mammografie-screening.org

Kommentar:

Große Chance, große Leistung
Feinfühlig, wie Dr. Hecht auch in seinem Vortrag mit dem für die meisten Frauen angstbesetzten Thema Brustkrebs umgeht, ist zu spüren, dass er sich nicht nur wissenschaftlich damit auseinandersetzt. Ihm und seinem Team ist zu danken, dass die Frauen sich in diesem Projekt als Partnerinnen und nicht als „Fall” begreifen. Nur so können sie selbstbestimmt und verantwortungsbewusst einer Krankheit begegnen, die, unter dem Einfluss gängiger Schönheitsideale, gefühlsmäßig mehr als jede andere ihr Frausein betrifft.
Einen großen Anteil am Erfolg des Projektes haben die Frauen, die ihre Ängste überwunden und daran teilgenommen haben. So lange die Kassen nicht durch Kostenübernahme eine deutliche Empfehlung zur Früherkennung ausgesprochen haben, schien es vielen Frauen „bequemer”, einer möglicherweise unangenehmen Diagnose aus dem Weg zu gehen. Nicht zu vergessen, dass sich viele Frauen die Untersuchung schlicht nicht leisten konnten. Die Teilnehmerinnen des Pilotprojektes haben nicht nur eher als andere von einer überdurchschnittlichen medizinischen wie menschlichen Betreuung profitiert; sie haben ein Forschungsprojekt unterstützt, dessen Ergebnisse nun allen Frauen zu Gute kommen. Eine große Leistung, der großer Dank gebührt.

Imke Zwoch

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