Männergewalt
Okt 242000
 

Flüchtlinge im eigenen Land

Verein „Wir alle helfen…“ fordert: „Weg mit dem gewalttätigen Mann“ – Polizei soll gewalttätige Männer aus der Wohnung weisen dürfen

(ub) Flucht vor so genannter „häuslicher Gewalt“ – 50.000 Frauen fliehen jedes Jahr in Deutschland aus ihrer Wohnung und finden Obdach in einem Frauenhaus. Auf Einladung des Vereins „Wir alle helfen – Männergewalt gegen Frauen zu bekämpfen WHV/FRI e. V.“ zeigte Rosa Logar aus Wien, Mitbegründerin des europäischen Netzwerkes gegen Gewalt WAVE, wie man in Österreich dem Gewalttäter die rote Karte zeigt: per „Wegweisung“ und befristetem Rückkehrverbot.

Roswitha Hanig, Mitarbeiterin im Wilhelmshavener Frauenhaus, verdeutlichte an Hand eines durchaus typischen Frauenhausschicksals zu Beginn der Veranstaltung am 23. September im Kinopolis die Problematik. Frau K. aus Essen verlässt mit ihrem Kind ihren gewalttätigen Mann und findet in Wilhelmshaven eine neue Bleibe. Ihr Noch-Ehemann setzt ihr nach, lauert ihr auf. Er schlägt sie wieder, vergewaltigt sie, sperrt sie ein und nimmt das gemeinsame Kind als Geisel. Frau K. flüchtet erneut. Mit ihrem Kind kommt sie im Frauenhaus unter. Der Mann weigert sich, die Wohnung zu verlassen. Später gelingt Frau K. die Rückkehr in ihre Wohnung. Neue Schlösser sollen dem Gewalttäter den erneuten Zugang verwehren. Doch dieser dringt wieder gewaltsam ein. Das Martyrium wiederholt sich und wieder muss Frau K. ins Frauenhaus fliehen. Sie ist „Flüchtling im eigenen Land“, tituliert treffend Helmut Tietken, von Beruf Kriminalbeamter, Mitglied des Vereins „Wir alle helfen…“ und an diesem Abend gemeinsam mit der Frauenbeauftragten der Gemeinde Schortens Doris Fuhlbohm Moderator der Veranstaltung „Häusliche Gewalt – Opfer schützen, Täter stoppen“.

Häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder, so die Staatsekretärin im Bundesumweltministerium Gila Altmann, wird meist immer noch als Privatsache, als Familienangelegenheit angesehen. Die eigenen vier Wände, so Altmann, sind „für Frauen der gefährlichste Ort.“ „Familienstreit in der Mozartstraße 15“, so lautet in der Regel der Funkspruch der Polizeizentrale an einen Streifenwagen, wenn eine Frau um Hilfe bittet. Schon hier, so der Oldenburger Kriminalbeamte Helmut Tietken, werde ein falsches Signal gesetzt. „Gewalt wird angewendet in der Mozartstraße 15“ müsste es richtigerweise heißen.
In Österreich ist man weiter. Die Diplom-Sozialpädagogin Rosa Logar zeigt auf, wie die Polizei im benachbarten Alpenland auf häusliche Gewalt reagiert. Die rechtliche Grundlage ist allerdings auch eine ganz andere. Seit dem 1. Mai 1997 ist das sogenannte Wegweisegesetz („Bundesgesetz zum Schutz bei Gewalt in der Familie“) in Kraft. Vor allem Frauenorganisationen wollten die paradoxe Situation, dass der gewalttätige Mann sich weiter in Freiheit in eigener Wohnung, die geschlagene Frau sich hinter den Gittern eines Frauenhauses verstecken muss, nicht länger hinnehmen. Der Polizei war es zunehmend unerträglich geworden, dass ihr kein wirkungsvolles Instrument zum Eingreifen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Familie zur Verfügung stand. Das ist jetzt anders. Die österreichische Polizei kann (und muss!) in Akutsituationen sofort handeln. Sie muss auch präventiv, wenn ihren Eindrücken zufolge Gewalt bevorsteht (!) – notfalls auch gegen den Willen der bedrohten Frau – gegen den Mann eine sogenannte ‚Wegweisung’ durchführen. Mindestens sieben Tage ist es bei Androhung von Haftstrafe dem Mann ab sofort untersagt, die gemeinsame Wohnung zu betreten. Die Polizeibeamten eskortieren den Mann hinaus und schicken in den nächsten 2 – 3 Stunden per Fax einen ausführlichen Bericht an eine private (!) Opferschutzeinrichtung (z. B. Frauenhaus), die dann auf eigene Initiative zum Zwecke unverzüglicher weiterer Schutzmaßnahmen mit der bedrohten Frau Kontakt aufnimmt.
Frau Nicole Zündorf-Hinze vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend war eingeladen, um an diesem Abend die Initiative der Bundesregierung „Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung häuslicher Gewalt“ vorzustellen. War noch das Referat von Rosa Logar ein leidenschaftliches Plädoyer gegen gewalttätige Männer und für ein konstruktives Miteinander fortschrittlicher privater Organisationen mit Polizei und Justiz zum Zwecke eines wirksamen Schutzes von Frauen und Kindern vor Gewalt, so verhedderte sich Frau Zündorf-Hinze in administrativen Fallstricken im Stile von Regierungserklärungen, wie sie uns noch zu Zeiten Kohls von beispielsweise Claudia Nolte präsentiert wurden. Laut Zündorf-Hinze gilt es zunächst einmal unterschiedliche Kompetenzen von Bund, Ländern und Gemeinden zu berücksichtigen. Internationale Erfahrungen müssen ausgewertet werden. Studien muss man anfertigen. EU-Kommissionen, umfassende Konzepte, Gremien mit allumfassenden Beteiligungen, eine Bund/Länder-Kommission zum Thema „häusliche Gewalt“ und sorgfältige Prüfung präventiver Ansätze sowieso, auf jeden Fall strukturelle Maßnahmen – die Bundesregierung widmet sich dem Thema grundsätzlich und wohl auch noch länger. Erste Erfolge auf dem Weg zur Erstellung zivilrechtlicher Maßnahmen, die sich an österreichischer Gesetzgebung orientieren, kann Frau Zündorf-Hinze vorweisen. Eine Sondermarke (1,10 DM) mit der Aufschrift ‚Gewalt gegen Frauen’ „soll zur Sensibilisierung“ (Z-H) beitragen. Eine CD-ROM mit Infos für Betroffene (!) ist in Arbeit. Frau Dr. Gesa Schirrmacher von der Niedersächsischen Landesregierung räumt denn auch ein, dass es wohl noch lange brauchen wird, „bis ein den österreichischen Verhältnissen vergleichbares Gesetz Anwendung finden kann.“ Bis dahin, so Gila Altmann „muss die Polizei Gewalt in Familien ernster nehmen“ und es muss „ein gesellschaftlicher Konsens bestehen darüber, dass Gewalt gegen Frauen kein Kavaliersdelikt ist!“ Organisationen wie der Verein „Wir alle helfen…“, in der private Schutzorganisationen, Beratungsstellen, Selbsthilfeeinrichtungen und Vertreter der Polizei gemeinsam informieren, leisten hierfür einen wichtigen Beitrag, und sie können wie ursprünglich auch in Österreich entsprechende Gesetzesinitiativen in die Wege leiten.


Wir alle helfen – Männergewalt gegen Frauen zu bekämpfen WHV/FRI e.V.“
Nächstes Vereinstreffen: 12.10.2000 um 20 Uhr im Gemeindehaus der Banter Kirche
Vereinstelefon: 04421/303366
c/o Frauenbeauftragte Gemeinde Schortens, Doris Fuhlbohm, Tel.: 04461/982204

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