Kohlbesuch 2
Jun 261986
 

Prügelknaben

Zu den Vorfällen bei der Kohl-Kundgebung

Sicher, wer hat das schon gern, wenn er so offen kritisiert und vor allem so treffend charakterisiert wird wie Helmut Kohl durch eine überdimensional-große Birne, die – auf einer Sänfte ruhend – den „Aussitzer der Nation darstellend, durch die Reihen der ca. 3000 Kundgebungsteilnehmer getragen wurde.

Ist ja auch lästig, da kommt er nach Wilhelmshaven, will mal eben dem Bahlsen-Ziehkind Albrecht ein paar Stimmen erlabern und was passiert? Gegendemonstranten! Wo er hinguckt. Wie überall, wo er hinkommt. Eine winzige Minderheit (Originalton Kohl in der WZ) von etwa 1000 Leuten zwar, aber immerhin.
Und das bei Kohls erfolgreicher Politik! Überall Rekordzahlen. Höchster Stand der Lehrstellen-Suchenden, der Arbeitslosen, der Unternehmergewinne, des Sozialabbaues, der Pleiten, der Skandale, des Wehretats usw. Sollten die sich doch schämen, die noch immer nach mehr Ausbildung und mehr Arbeitsplätzen nach sozialer Unterstützung und Solidarität rufen. Hat etwa nicht jeder seine Chance? Wozu hat man seine Ellenbogen!
Ja, die Birne und die Minderhei t haben ihn sehr wütend gemacht, unseren Kanzler. Hat er nicht verdient. War taktisch vielleicht auch nicht ganz klug. Entlarvt sich dieser Mann nicht gerade dann, wenn man seiner Rede freien Lauf läßt? So konnte er sich verbal zumindest mal wieder prächtig auf seine Kraftausdrücke und Beschimpfungen zurückziehen und auf Sachaussagen weitgehend verzichten.
kohl erwin fiegeOhnehin interessanter war während der CDU-Show jedoch das Verhalten der Polizei und der Ordnungskräfte der CDU. Einem Jugendlichen, der fröhlich trillernd über den Platz ging, riß ein Ordner die Trillerpfeife aus dem Mund, zertrat diese auf dem Boden und schlug dem Jungen ins Gesicht. Wird die CDU eine Prügelpartei nach NPD-Art? Es scheint sich zumindest bei einigen Ordnern um Leute mit zweifelhaftem Staatsverständnis zu handeln, die es als eine Form der politischen Auseinandersetzung ansehen, bereits bei Buh-Rufen körperliche Gewalt anzudrohen und nur durch Drohung der Anzeige davon abzuhalten waren.
Aber schauen wir uns einmal das Schicksal einiger Punker an. Sie waren wohl wegen ihrer schillernden Erscheinung der Polizei-Führung von vornherein ein Dorn im Auge des Gesetzes. Hatte sich die Polizei doch schon frühzeitig ganz allmählich immer enger um den Pulk der Punker postiert. War es nun ein Anlaß aus den Reihen der Punker oder etwa die Ermunterung durch Kohl(…wenn Sie nach Hause kommen erzählen Sie bitte, was auf dem Platz passierte) was die Polizei dazu veranlaßte, die Bunten plötzlich quer durch die Menge unter grober Gewaltanwendung nach hinten abzudrängen. Daß dabei Unbeteiligte auch etwas abbekamen, kümmerte die Grün-Uniformierten nur wenig. überhaupt ist zu fragen, ob ein derartig großes Polizeiaufgebot zu verantworten und zu rechtfertigen ist. Zweifelhaft war auch das weitere Vorgehen der Polizei. Waren nämlich eben noch haufenweise Polizisten mit den Punkern beschäftigt, zogen sich bis auf einige wenige, die ein paar im Polizeigriff festhielten, zurück und zogen ab. Da standen sie nun. Ein paar Gesetzeshüter umringt von Demonstranten. Sollte so eine „Gefangenenbefreiung“ provoziert werden?
Wohlgemerkt: Von Polit-Chaoten und Gewalttätern gilt es sich klar zu distanzieren, aber das Demonstrationsrecht für die große Masse der friedlichen Demonstranten muß um jeden Preis gewahrt bleiben und darf nicht von zweifelhaften Polizeimethoden gefährdet werden.
Und reicht es nicht, daß vorwiegend junge Polizeikollegen für Fehler einer politisch-wirtschaftlichen Führungsclique (Wackersdorf, Startbahn-West, Brokdorf) ihre Köpfe hinhalten müssen? Haben sie es auch nötig, sich auf derartigen Veranstaltungen zum Büttel von zweifelhaften Vorgesetzten und politischer Parteien machen zu lassen?

Rainer Weber

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