Jugendparlament
Jul 011998
 

Gegen Juristerei und Geschäftsordnung

Mitglieder des Wilhelmshavener Jugendparlaments im Gespräch mit dem GEGENWIND

(ub/hk) Eine tolle Sache sollte es werden – das Jugendparlament. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten kam die Wahl dann auch wirklich zustande – mit einer erstaunlich hohen Wahlbeteiligung. Gut 100 Tage danach diskutierten wir mit 3 Mitgliedern des Jugendparlaments.

Vom Jugendparlament waren anwesend: Nina Windisch, 15 Jahre, Schülerin an der IGS; Martin Tapper, 16 Jahre, Schüler der Franziskusschule, und Alexander Vehrenkamp, 17 Jahre, Schüler des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums.

Politisch war die Runde gut gemischt: Nina schätzte sich selbst als eher links ein, und Alexander ist seit dem letzten Jahr Mitglied der Jungen Union, bezeichnet sich selbst aber als ‚nicht konservativ‘.

Gegenwind: Das Jugendparlament ist eine sehr gemischte Truppe – wie kommt ihr da miteinander klar?
Alexander: Wir haben irgendwie ja alle die gleichen Interessen, was die Jugend angeht.
Martin: Was nicht heißen soll, dass wir nicht diskutieren oder alles akzeptieren, was jemand sagt.
Nina: Ich hatte eigentlich befürchtet, dass es zwischen uns schlechter läuft.

Welche Interessen verbinden euch?
Alexander: Für die Jugendlichen natürlich bessere Perspektiven z.B. in der Ausbildung. Es muss sich noch herausstellen, was wir großartig ausrichten können. Sehr viel Macht haben wir wohl nicht – das ist eben ein Jugendparlament.

Meint ihr, dass das Jugendparlament ernst genommen wird?
Alexander: Ich denke schon – sonst würde ich mich da erst gar nicht einbringen.
Martin: Ernst genommen werden – das müssen wir uns erarbeiten. Wir können ja nicht hingehen und sagen: „Wir sind das Jugendparlament, nehmt uns gefällig ernst.“ Dass wir nicht die Dummen für alles sind, das müssen und werden wir noch zeigen.

Das Jugendparlament hat ja auch eine Geschäftsordnung. Die wurde euch doch von der Verwaltung so vorgelegt.
Nina: Wir bekamen mit der Einladung zur ersten Sitzung einen Vorschlag für eine Geschäftsordnung zugeschickt. Darüber haben wir dann diskutiert und Änderungsvorschläge gemacht.
Martin: Die Sitze im Schul- und Sportausschuss – das lässt alles so lange auf sich warten. Genau wie die Geschäftsordnung, das ist alles nur Kleinkram. Es geht darum, dass wir etwas auf die Beine stellen!
Alexander: Die Diskussion um die Geschäftsordnung zeigt, dass es nicht um uns geht. Man will, dass wir so denken, so handeln…
Martin: …wie’s bis jetzt gemacht wurde und wie die alten Herren sich das denken.
Nina: Es waren ja nicht wir Jugendliche, die hingegangen sind und gesagt haben: Wir wollen ein Parlament – das bekamen wir ja praktisch geschenkt. Da liegt irgendwie das Problem. Erst heißt es: Ja toll, macht das. Und wenn wir etwas machen wollen, z.B. jetzt mit dem Schul-, Sport-, Kultur- und Jugendhilfeausschuss, wenn wir da mitreden wollen, geht das plötzlich nicht wegen irgendwelcher juristischer Sachen.

Ihr habt einen Sitz im Jugendhilfeausschuss – als beratendes, nicht stimmberechtigtes Mitglied.
Nina: Wir haben Stimmberechtigung gefordert. Darauf wurde uns gesagt, dass das nicht geht, weil wir noch keine 18 sind. Erst wollen die ein Jugendparlament, und wenn es dann um konkrete Sachen geht, können die nirgendwo Jugendliche gebrauchen.

Habt ihr denn einen festen Ansprechpartner bei der Stadt?
Alexander: Herr Jürjens ist immer da – aber er kann uns ja auch immer nur das sagen, was von oben kommt.
Nina: Das ist alles noch so unsicher und wackelig, aber trotzdem wollen alle von uns viel hören. Ich fühle mich da unter Druck gesetzt. Wir werden da zusammengewürfelt, in eine ‚erwachsene Struktur und Situation‘ hineingezwängt – mit Parlament, Geschäftsordnung und Juristen, und sollen ganz flippig unsere Ideen einbringen. Das läuft aber so nicht.
Alexander: Ein Beispiel: Die Sache mit den Sitzen in den Ausschüssen. Das haben wir schon in der ersten Sitzung eingebracht, und dann dauert es länger als 3 Monate, bis man uns sagt, dass wir kein Stimmrecht bekommen, weil wir noch keine 18 sind! Da bekommt man doch das Gefühl, dass wir so ein bisschen auf Eis gelegt werden.
Nina: Das ist für uns alles sehr schwer in den Griff zu bekommen. Wir haben ja auch im Grunde keinen Ansprechpartner, der wirklich hinter uns steht…
Martin: Ich glaube, der Herr Jürjens ist gar nicht mal verkehrt…
Nina: …aber er hat auch noch sehr viele andere Sachen, die er machen muss. Wie soll er sich da voll auf uns konzentrieren können?

Genauso unvorbereitet, wie ihr ins Jugendparlament gekommen seid, findet ihr auch die Politiker und die Verwaltung. Die wissen wohl auch nicht, was ein Jugendparlament eigentlich soll.
Nina: Genauso ist es!

Das sieht dann aber doch sehr nach einer Alibifunktion aus!
Alexander: Dieses Gefühl verstärkt sich bei uns auch immer mehr.

Wie reagieren die Erwachsenen auf euch als Parlamentarier?
Nina: Viele Erwachsene, auch die Lehrer, kommen jetzt und sagen: „Man hört ja nichts mehr von euch und dem Jugendparlament. Was ist denn da los? Seid ihr nur noch ein Alibi?“ Es wäre für uns kein Problem, 3 oder 4 Seiten mit Forderungen zusammenzustellen, was die Jugendlichen so alles wollen. Aber wenn wir die dann den Politikern vorlegen würden, würde es doch gleich heißen: Das ist unrealistisch, Wilhelmshaven hat kein Geld, wie könnt ihr denn so etwas fordern? – Das ist total schwer. Ich sehe das so, dass man in der nächsten Zeit nicht allzu viel von uns erwarten kann. Wir müssen noch viel lernen: Wen und was kann man ernst nehmen, woher bekommen wir Unterstützung, ohne gleich vereinnahmt zu werden…

…da ist bei euch so ein gewisses Misstrauen?
Nina: Ja. Ich weiß ja auch noch nicht so viel von Politik und den ganzen juristischen Fragen.

Ist da bei euch nicht schon eine Schere im Kopf, dass ihr jetzt schon überlegt, was ist realistisch, was ist unrealistisch? Muss nicht gerade das Jugendparlament auch Utopien, oder besser gesagt, Zukunftsperspektiven entwickeln? Sich von vornherein in den Tagestrott einbinden zu lassen, kann’s ja auch nicht sein.
Nina: Ich glaube, dass wir dann erst gar nicht ernst genommen werden.

Wie steht es mit Kontakten zu den politischen Parteien, zu Gewerkschaften usw.?
Alexander: Das ist ja ganz nett, wenn die uns unter die Arme greifen und uns unterstützen, wir haben aber gesagt, dass wir uns auf keine Seite stellen. Wir wollen etwas Neues machen!

Wie steht es um die finanzielle Absicherung des Jugendparlaments?
Martin: Zu Anfang sagte man uns, wir haben einen Etat von 14.000 DM zur Verfügung. Davon sind aber dann schon die Kosten für die Wahl abgegangen – das waren immerhin 4.000 Mark.

Habt ihr Zugriff auf das Geld?
Martin: Das verwaltet Herr Jürjens für uns.

Wofür braucht ein Jugendparlament denn Geld?
Nina: Wir wollen zum Beispiel ein Seminar machen – irgendwo abgeschieden auf Wangerooge, wo wir nicht auf die Uhr schauen müssen. Gemeinsam über unsere Arbeit diskutieren, uns qualifizierte Leute einladen. Wir sollten dieses Jahr nutzen, um die Grundlagen für die Arbeit des Jugendparlaments zu erarbeiten und dann im nächsten Jahr richtig reinpowern.
Martin: Als erstes Fazit kann man sagen, dass das, was von den Parteien gekommen ist, eine Riesenverar… ist. Wir reiben uns an juristischen Fragen, an Geschäftsordnung und Niedersächsischer Gemeindeordnung. Und ich glaube, das gefällt denen auch relativ gut, dass wir nicht zu allem etwas sagen können.
Nina: Uns wurde vor der Wahl gesagt, dass wir eine ABM-Stelle bekommen.
Alexander: Zuerst war’s eine ganze Stelle, dann eine halbe, und dann war’s gar keine Stelle mehr.

Sind auf euren Sitzungen denn auch Erwachsene dabei?
Nina: Die sind ja öffentlich. Was mich persönlich immer total stört, ist, dass die erwachsenen Leute dann immer grinsen. Die sitzen da und grinsen! Da werd‘ ich richtig aggressiv!

Wer kommt denn zu den Sitzungen?
Nina: Alle möglichen Leute, die uns etwas fragen wollen. Andreas Koût kommt auch immer – der ist wirklich gut. Der hat Ideen und hilft uns – das ist sehr angenehm.
Alexander: Auf einer Sitzung ging es um die Verlegung der Telefonzelle am Pumpwerk, weil da mal ein Kind überfallen wurde. Irgendwann saß das Jugendparlament da, und es stritten sich nur noch die Parteienvertreter. So egal sind wir den Erwachsenen!

Wie ist das Interesse der Jugendlichen an eurer Arbeit?
Martin: Das Interesse der Jugendlichen hat schnell abgeflaut. Gleich nach der Wahl war das anders. Wenn mich heute jemand fragt, was das Jugendparlament denn machen kann, kann ich nur mit einem Achselzucken antworten. Das ist peinlich!
Nina: Wenn ich von Jugendlichen angesprochen werde, heißt es immer nur: Jugendparlament – was soll das? Bringt doch sowieso nichts!

Ist da nicht das Problem drin, dass die Einrichtung des Jugendparlaments eine Vorgabe von erwachsenen Politikern war, dass das nicht von unten gewachsen ist?
Nina: Wir haben gehofft, dass wir das machen können. Wir haben erwartet, dass man uns ernst nimmt, wir aber unser Ding machen können. Doch jetzt läuft es genau andersherum.
Martin: Wir sind eine gute Truppe – nur das Drumherum stimmt nicht.
Nina: Nach der nächsten Wahl, wenn es denn noch eine gibt, wird es mit Sicherheit besser laufen – die negativen Erfahrungen haben wir dann schon gemacht.
Alexander: Wir haben ja auch keine Möglichkeit, den Leuten auf die Füße zu treten, damit wir uns nicht im nächsten Jahr noch mit irgendwelchen juristischen Fragen auseinander setzen müssen.
Martin: Ein Ansatz zur Frustration ist schon da – aber wir werden durchhalten. Alles andere wäre eine Verarschung unserer Wähler. Die Jugendlichen haben den Glauben an die alten Politiker ganz und gar verloren. Total! Die sagen: „Was nützt uns das Wahlrecht, was sollen wir denn wählen – das ist doch alles daneben.“

Wollt ihr auch die Erwachsenen wachrütteln oder sind nur die Jugendlichen eure Zielgruppe?
Nina: Wir wollen von den Jugendlichen gehört werden und von den Erwachsenen ernst genommen werden!

Vielen Dank für das Gespräch.

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