Jugendkulturarbeit
Sep 141992
 

Schotten-Rock

Streichung von Haushaltsmitteln für die Jugendkulturarbeit bedroht die heimische Musikszene

(iz) Auch notorische „Hier ist ja nix los“-Nörgler müssen eingestehen, daß das Wilhelmshavener Kulturleben in den letzten Jahren den Vergleich mit vielen Musenmetropolen kaum noch scheuen muß. Die beachtliche Arbeit, die zum Teil auch ehrenamtlich vor allem von lokalen Initiativen im Bereich Musik geleistet wurde, wird sich allerdings in naher Zukunft ohne finanzielle Unterstützung wohl kaum aufrecht erhalten lassen.

Vor drei Jahren wurde die 1985 gegründete Wilhelmshavener Musikerinitiative (WIMU) mit einer hauptamtlichen Kraft erst richtig zum Leben erweckt. Binnen zwei Jahren schaffte es Andreas Koût, 180 MusikerInnen in der WIMU zu vereinen, die sich als eine Art Musikergewerkschaft versteht (s. GEGENWIND 101, Juni 1991, „Der Katalysator“).
Die auch vom GEGENWIND gestützte Hoffnung, daß die WIMU aufgrund der vorliegenden Anträge und Konzepte z. B. nach dem Modell „Kunsthalle“ (freier Träger, der durch Übernahme der Personalkosten durch die Stadt gestützt wird) zu einer festen, bestandsfähigen Einrichtung würde, hat sich leider nicht erfüllt. Ende 1991 lief die AB-Maßnahme für Koût aus. Seitdem wird die Arbeit der WIMU, nicht weniger engagiert, von der zweiten AB-Kraft Marina Speckmann getragen, deren Stelle jedoch auch zum Ende dieses Jahres auslaufen wird.
Anfang 1992 wurde in Wilhelmshaven ein Regionalbüro der Landesarbeitsgemeinschaft Rock (LAG Rock) in Niedersachsen eingerichtet, dessen Geschäftsführung seither ehrenamtlich (sprich unbezahlt) in den bewährten Händen von Andreas Koût liegt.

Die Statistik spricht für sich: von Juni 1991 bis Juli 1992 wurden über das Regionalbüro in Zusammenarbeit mit der WIMU 179 Veranstaltungen mit organisiert, rein rechnerisch also jeden zweiten Tag eine Veranstaltung. Über die reine Vermittlung und Unterstützung von Musikerinnen und Bands hinaus wurden ganze Veranstaltungskonzepte zur Verfügung gestellt. Manchmal ziehen sich Veranstaltungsblocks über mehrere Tage bzw. eine Veranstaltung umfaßt mehrere Bands. Für den Umfang und vor allem die Qualität des organisatorischen Aufwandes sprechen z.B. Großveranstaltungen wie das „Wochenende an der Jade 1992“ (s. GEGENWIND 109) oder „F’groden macht Spaß“.
Sowas spricht sich natürlich ‚rum, ist beste Öffentlichkeitsarbeit für das Oberzentrum Wilhelmshaven und gleichzeitig Wirtschaftsförderung für die Freizeit- und Tourismusbranche. Und dabei bislang so billig für die Stadt und die Region, die davon profitieren, ohne ernsthaft eine müde Mark lockerzumachen.
Dabei sind WIMU und LAG keine Konkurrenz zu etablierten städtischen Kultureinrichtungen der Stadt, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Konstruktive Zusammenarbeit z.B. mit dem Pumpwerk bzw. der Freizeit GmbH hat sich vielfach für alle Beteiligten ausgezahlt.
Neben dem öffentlichkeitswirksamen Showeffekt darf jedoch eine weitere, mindestens ebenso wichtige Funktion der WIMU und LAG nicht vergessen werden, nämlich die eines effektiven Instruments der Jugend(kultur)arbeit. Der Dunstkreis um die mittlerweile 230 WIMU-Mitglieder umfaßt eine vierstellige Zahl junger Menschen. In einer Stadt, einer Region, die vielen Jugendlichen kaum mehr zu bieten hat als Arbeitslosigkeit und Resignation, Flucht in Drogenkonsum und Kriminalität bis hin zur Identifikation mit zweifelhaften rechtsgerichteten Gruppen, kann die Aussicht auf Abwanderung einer ganzen Generation wohl nicht die Lösung sein. Die aktive oder passive Beschäftigung mit „ihrer“ Musik .bietet gerade der sensibelsten Altersgruppe, unabhängig von der sozialen Herkunft, stärker als andere Angebote wie Malschulen oder Sportvereine, ein ungeahntes Potential an kreativen, vor allem positiven Freizeitinhalten.
Auch der Streetworker, zu dem sich die Verantwortlichen in Wilhelmshaven glücklicherweise durchgerungen haben, kann auch bei bester Arbeit unmöglich die gesamte Zielgruppe erfassen. Und wer noch nicht erkannt hat, daß mit Tischtennisplatten und Töpferkursen in den Jugendfreizeitstätten kaum mehr jemand von der Straße zu kriegen ist, ist selber schuld.

Die Finanzierung von ein oder zwei festen Stellen für freie Träger im Bereich Musik als Präventivmaßnahme würde sich auch in einer rein wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung nicht schlecht ausmachen. Wieviele Stellen werden für gesellschaftliche Symptome perspektivloser Jugendlicher bereitgestellt – in der Sozialfürsorge, im Justizvollzug, für die Drogenbekämpfung?
Die Niedersächsischen Frauenrocktage werden Anfang Oktober wohl nicht nur erstmalig, sondern auch letztmalig in Wilhelmshaven stattgefunden haben, wenn sich die Stadt daran grundsätzlich nur ideell bzw. durch Bereitstellung von Räumlichkeiten beteiligt. Die Wilhelmshavener Musiktage, von 1988 bis 1991 jährlich durchgeführt, wurden mit einem erforderlichen Haushaltsvolumen von 20-25.000 DM vorläufig auf Eis gelegt und werden schwerlich wieder aufzutauen sein. Dabei äußerten sich Oberbürgermeister Eberhard Menzel und der damalige Kulturdezernent Norbert Boese noch im Vorwort zum Programm der 3. Musiktage (1990) überschwänglich zu dieser „größten je in Wilhelmshaven durchgeführten Musikveranstaltung, die mit über 1000 TeilnehmerInnen über ein Prozent der Wilhelmshavener Bevölkerung als aktive MusikerInnen ausweist: als „wesentliche Voraussetzung für Lebensqualität“ bezeichneten beide diese Form kultureller Angebote.
Die Haushaltsberatungen für 1993 stehen vor der Tür. Politik und Verwaltung kann nur erneut ans Herz gelegt werden, der fortschreitenden Umschichtung von Mitteln für die Jugend- und Kulturarbeit auf scheinbar wichtigere Bereiche endlich Einhalt zu gebieten.

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