Masse statt Klasse
Wilhelms Hafen liegt beim Umschlag auf dem 2. Platz in der deutschen Hafenliga, hält jedoch weit abgeschlagen die rote Laterne bei den Hafenarbeitsplätzen. Was kann ein WeserJadePort daran ändern?
Die Region Wilhelmshaven könne sich entwickeln, wie die um Rotterdam – Tausende von Arbeitsplätzen ließen sich schaffen, verbunden mit Investitionen in Milliardenhöhe. Wilhelmshaven/Friesland könne eine der größten Wachstumsregionen Deutschlands werden. (WZ, 8.12.98) Was ist dran an diesem Glaubensbekenntnis des Präsidenten des Niedersächsischen Einzelhandelsverbandes und 2. Vorsitzenden der Allgemeinen Wirtschaftsverbände Wilhelmshaven-Friesland, Dr. Karl Harms, zum WeserJadePort?
Eine gutachterliche Abschätzung der mit Verwirklichung des Mehrzweckhafens WeserJadePort entstehenden Arbeitsplätze gibt es leider nicht. Jedoch eine umfangreiche darüber, dass ein solcher für die wachsenden Schiffsgrößen und Umschlagzahlen prädestiniert sei: Auf Grund der Tiefwasserverhältnisse und der kurzen Revierfahrt bietet Wilhelmshaven ausgezeichnete Möglichkeiten zur Errichtung eines neuen Tiefwasser-Containerterminals zur Abwicklung der sehr dynamisch wachsenden nordeuropäischen Übersee- und Feeder-Verkehre (Analyse der Umschlagpotentiale für einen Container- und Mehrzweckhafen in Wilhelmshaven).
Nach Meinung der Analytiker wäre an der Jade im Jahre 2020 ein Jahresumschlag von 3,551 Millionen Containern (TEU) erreichbar. Auf Grundlage dieser Prognosen ist eine Abschätzung der jährlich an der Jade abzufertigenden Anzahl von Containerschiffen wünschenswert. Diese ist nicht nur wichtig für die Planung der benötigten Zahl von Schiffsliegeplätzen. Interessant sind zudem mögliche Auswirkungen auf die hiesigen Hafendienste (Schlepper, Makler, Zoll usw.), deren Arbeitsanfall mit zunehmenden Schiffsankünften steigen würde. Wenn auch in der JadePort-Analyse nichts darüber zu finden ist, so lassen sich, auf den darin enthaltenen Prognosen aufbauend, eigene Berechnungen anzustellen.
Und diese ergeben, dass dann insgesamt 945 Containerschiffe ausreichen würden, um den WeserJadePort zu bedienen. Das wären noch nicht einmal 3 Schiffe pro Tag. Diese Flotte würde sich auf 245 ozeanquerende Großcontainerschiffe (Jumbos) und 700 im Skandinavien- bzw. Baltikumdienst tätige Zubringerschiffe (Feeder) verteilen. Pro Jumbo würden damit im Schnitt (moderat angesetzt) jeweils 9.000 TEU und pro Feeder 2.000 TEU gelöscht und geladen werden.
Eine Umschlagmenge von 3,6 Mio. TEU im Jahre 2020 würde sich bei angenommenem Durchschnittsgewicht von 10 Tonnen (t) pro TEU auf 36,0 Mio. Tonnen belaufen. Auch ein Erz- und Kohleumschlag in einem Mehrzweckhafen WeserJadePort wird von den Analytikern positiv beurteilt – allerdings haben sie dafür keine Umschlagzahlen genannt. Bei Schaffung von Umschlaganlagen für 250.000 t Massengutfrachter müssten 4,5 Mio. t pro Jahr erreichbar sein. Das wäre ein Gesamtumschlag von 40,5 Mio. t.
Bei einem durchschnittlichen Umschlag von 150.000 t pro Massengutschiff würden den WeserJadePort zusätzlich 30 Schiffe anlaufen – und 2020 wäre damit eine Gesamtzahl von 975 Container-/und Massengutschiffen erreicht.
Durch Gegenüberstellung mit den gegenwärtigen Umschlagmengen und Schiffsankünften bei NWO und WRG enthüllen sich frappierende Übereinstimmungen…
Eine weitere – hinsichtlich der Wertschöpfung äußerst beachtenswerte – Gemeinsamkeit besteht darin, dass neben Pumpgütern (wie Öl und Gas), Greifgütern (wie Erz und Kohle) auch das Hängegut Container ein homogenes, d.h. einförmiges Transportgut ist. Dies ermöglicht es, Container wegen ihrer Einheitsmaße zunehmend ähnlich effizient und personalsparend umzuschlagen wie Flüssig- und Schüttgüter. Zwar finden an den großen Container-Terminals in Bremerhaven und Hamburg noch jeweils Hunderte Beschäftigung. Doch der Rotterdamer Euro-Container-Terminal (ECT) hat bereits den Maßstab für die weitere Entwicklung auch an den deutschen Terminals gesetzt.
Menschen sind da nur noch unerwünschte Fremdkörper, schilderte ein Korrespondent der Deutschen Verkehrszeitung dem Wilhelmshavener Nautischen Verein seine diesbezügliche Erkenntnis. (WZ, 29.10.98)
Was bleibt da noch für den Menschen in einem WeserJadePort zu tun übrig? Etwas Wartungspersonal (Elektriker, HF-Techniker, Schlosser), Pförtner, Kontrolleure, Buchhalter, EDV-Operateure, Geschäftsleitung. Als diesbezüglicher Orientierungsrahmen mögen vorläufig folgende Daten der NWO dienen: Die betreibt ihre drei Umschlaganlagen, Tanklager und Pipelines mit 129 Vollzeitbeschäftigten. Umschlagvolumen 22, 5 Mio. t bei 261 Tankerabfertigungen pro Jahr (WZ, 26.01. u. 15.07.99).
Die Einschätzung des Geschäftsführers der Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung (WHV) Detlef Weide zum Beschäftigungseffekt des WeserJadePort, …es dürften mehrere hundert Stellen entstehen (Guten Morgen Sonntag, 01.08.99), ist denn ja auch nicht völlig daneben, weil diese Zählweise bekanntlich bei 200 beginnt.
Zu wie vielen Neueinstellungen in Wilhelmshaven würden knapp drei Schiffe mehr pro Tag (also die Verdoppelung der Schiffsankünfte bei NWO und WRG) bei Lotsen, Schlepper- und Bunkerbootbesatzungen, Festmachern, Maklern/Schiffsagenten, Schiffsausrüstungs- und Entsorgungsfirmen, Gutachtern und Reparaturdiensten, Wasserschutzpolizei, Zoll, Niedersächsischem Hafenamt, Wasser- und Schifffahrtsamt führen?
Ein Beleg dafür, dass Masse nicht gleich Klasse ist, lässt sich an folgenden Hafenvergleichen ablesen:
In o.a. Tabelle kommt durch Vergleich mit anderen Nordseehäfen die Schwäche der Wilhelmshavener Hafenwirtschaft zum Vorschein: Beim Umschlag auf dem 2. Platz in der deutschen Hafenliga, muss sie aber weit abgeschlagen die rote Laterne bei der Anzahl der Hafenarbeitsplätze halten.
Was könnte der WeserJadePort daran ändern? Kaum etwas, weil bei den Hafendiensten nicht die Umschlagshöhe, sondern die Zahl der Schiffsankünfte ausschlaggebend für die anfallende Arbeit ist. Bei knapp drei Schiffen mehr pro Tag würde zwar mehr Arbeit anfallen; die dürfte jedoch in vielen Fällen durch Arbeitsverdichtung beim bestehenden Personal aufgefangen werden. Außer vielleicht beim Zoll: Der hätte nämlich täglich Tausende von Zollplomben an den versiegelten Containern zu überprüfen.
Insgesamt gesehen dürfte sich im Falle der Verwirklichung des WeserJadePorts die Schere zwischen Hafenumschlag und Hafenbeschäftigung weiter zu Ungunsten der Beschäftigung öffnen.
Nun mag man einwenden, dass die Container schließlich auch be- und entladen werden müssen. Leider sind jedoch diese beschäftigungsintensiveren Arbeiten seit Einführung des Containers nicht mehr an den Hafen gebunden. Sie können im Prinzip an jedem Ort, der sich in die vernetzten Transportketten der Transporteure eingliedern lässt, durchgeführt werden. Die Hafenterminals sind innerhalb dieser Netze nur noch als Schnittstellen zwischen Schiffs- und Landtransport unverzichtbar – und zudem noch untereinander austauschbar.
Ob Container ein- oder ausgeladen werden müssen, seien es Früchte, Fernsehgeräte, gefährliche Güter, Kaffee, Säfte, Kekse oder sonst was – in Bremen, Hamburg und anderswo stehen bereits die Distributionszentren (Lager- und Packhallen) bereit, um diese Güter auf sich zu ziehen. Nur in Ballungsgebieten mit hohem Stückgutaufkommen ist es sinnvoll, Distributionszentren einzurichten – also sowohl in Wien, München, als auch in Hamburg. So übt z.B. Hamburg durch sein wirtschaftliches Eigengewicht eine große Anziehungskraft sowohl auf den See- als auch auf den Landverkehr aus. Das, was in der hiesigen verhältnismäßig dünn besiedelten Nordwestregion an containerisierbaren Ex- und Importgütern zusammenkommt, vermehrt das lokale Güteraufkommen des Wirtschaftszentrums Bremen. Dort strömen die Exportgüter zusammen, kleinere Warenposten werden gesammelt, sortiert, in Container verpackt und nach Bremerhaven transportiert. Importcontainer werden über Bremen geleitet und so weit erforderlich, für den Weitertransport zum Empfänger ausgeladen, sortiert, zwischengelagert und schließlich an die Transporteure ausgeliefert. Auch ein WeserJadePort hätte sich dieser für Bremen vorteilhaften Arbeitsteilung zu unterwerfen.
Die Reedereien, Spediteure, Hafenbetreiber usw. haben ihre Zentralen in den Stammhäfen und bauen von dort aus ihre Logistikzentren zur Steuerung ihrer globalen Containertransportnetze immer weiter aus.
Dadurch verflüchtigt sich auch die Hoffnung, dass im Zuge der Belebung des WeserJadePort hier durch Gewerbeansiedlungen blühende Landschaften entstehen könnten. Nach vorstehenden Erkenntnissen dürfte ein solcher Hafen nur wenige Berührungspunkte mit der regionalen Wirtschaft entwickeln, also eher den Charakter einer Exklave annehmen, durch die versiegelte Container automatisch durchgeschleust werden.
Zum Schluss noch eine Warnung von WHV-Geschäftsführer Weide: Wenn die Stadt auf die Idee käme, wirtschaftlich nur auf dieses Projekt zu setzen, wäre das blauäugig (Guten Morgen Sonntag; v. 01.08.99).
Jochen Martin
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