Irak 1
Apr 032003
 

Kein Blut für Öl

Proteste gegen den Irak-Krieg auch in Wilhelmshaven

(ub/iz) Der Krieg hat begonnen! In der Nacht zum 20. März haben US-amerikanische Truppen in Koalition mit britischen Militärverbänden den Angriff auf den Irak gestartet.

Seitdem protestieren weltweit Millionen Menschen täglich gegen die aggressive Interventionspolitik von Tony Blair und George Bush. Auch hier in Wilhelmshaven hat sich die örtliche Friedensbewegung auf den „Tag X“ vorbereitet. Den Auftakt des Protestes gegen den Krieg im Irak bildeten jedoch spontan organisierte Schülerdemonstrationen. Sehr zum Unmut einiger Schulleiter, städtischer Bediensteter und anderer Würdenträger.

Ihr seid antiamerikanisch“, wird uns immer wieder vorgeworfen. Dieser Vorwurf trifft uns nicht. Wir wissen deutlich zu unterscheiden zwischen Amerika mit seinen Menschen und der Politik, die von der jetzigen amerikanischen Regierung gemacht wird. Geplant ist dieser Krieg von der amerikanischen Regierung schon vor dem 11. September 2001. In seinem „Bericht zur Lage der Nation“ spricht Präsident George W. Bush am 29. Januar 2002 auch über seine Ziele im „Krieg gegen den Terrorismus“. Zum Irak: „Es ist eine Regierung, die Dinge vor der zivilisierten Welt zu verstecken hat“. Was würden Waffeninspekteure alles finden, wenn sie den Auftrag hätten, in Amerika nach atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen zu suchen?!
Stellen Sie sich bitte vor: Nach 1945, als der zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war, wäre der alliierte Bombenkrieg weitergegangen in unserem Land, Tag für Tag. Und stellen Sie sich vor: Man hätte uns ein fast totales Embargo auferlegt, man hätte uns 12 Jahre lang von allen lebenswichtigen Zufuhren abgeschnitten. Genau das ist der Alltag des leidgeprüften Volkes im Irak.
Krieg und Blockade haben den Irak, bis in die 80er Jahre hinein ein wohlhabendes Land, von höchstem Bildungs- und Kulturstandard ausgezeichnet, in unvorstellbare Armut gestürzt. Auffällig ist die Krebsrate angestiegen, vor allem bei Kindern, eine Folge davon, dass die Amerikaner tonnenweise uranhaltige Munition abgeworfen haben. … Unter den Ausländern im Irak sind auch viele amerikanische Bürger, um Solidarität zu bekunden und zu zeigen, was auch auf den Demonstrationen in USA gesagt wurde: nicht in unserem Namen! Stop the war!

Helmut Warntjen, Pastor

Für den Fall dass die „Koalition der Willigen“ die „Achse des Bösen“ angreift, war unter Friedensbewegten verabredet, sich „spontan“ zu Protesten vor der Nordseepassage zu treffen. Frei nach Wolfgang Borchert war der Protestbeginn auf 18 Uhr am Tag des Kriegsbeginns festgelegt. An die 400 Menschen wurden gezählt, die dieser Flüsterbotschaft folgten. Nicht schlecht für eine Stadt, in der diejenigen, die berufsbedingt dem Säbelrasseln näher stehen, ganz wesentlich die öffentliche Meinung bilden, während der aktive Kern der Friedensbewegung selten Wohngruppenstärke übersteigt.

Heute Nacht hat der Krieg gegen den Irak begonnen. Es ist ein unbegründeter Krieg, der auch keinen Frieden und keine Demokratie bringt, sonder nur noch mehr Leid für die Bevölkerung des Irak… Wir können ihn nicht mehr verhindern. Dennoch sollten vor allem wir als Jugend ein Zeichen setzen gegen Gewalt, gegen Unrecht, gegen Kriegstreiberei. Jeder soll sehen, dass wir mit diesem Krieg nicht einverstanden sind….

Stefan Schimming, Jugendparlament

Anschließend zog etwa die Hälfte der Versammelten in einem spontanen Demonstrationszug durch die Markt- und Grenzstraße. Am Ende der Fußgängerzone ging es zwangsläufig auf der Fahrbahn von Peter- und Virchowstraße zurück zum Ausgangspunkt. Erst kurz vor der Virchowstraße stießen einige Polizeifahrzeuge zu den Demonstrierenden. Ohne sich einzumischen, sicherten die Beamten die Kreuzungen. Doch auch ohne ihr Eingreifen hätte keinerlei Gefahr bestanden, weil Demonstranten und motorisierte Verkehrsteilnehmer rücksichtsvoll miteinander umgingen. Busfahrer zuckelten geduldig hinter den Marschierenden her, bis sich eine Gelegenheit zum Abbiegen bog. „Ich bin nicht sauer. Ist schon in Ordnung, was ihr da macht,“ sagte einer auf unsere Frage nach seiner Befindlichkeit.

Ich möchte heute einige Anregungen zum Nachdenken und zum Handeln geben, damit möglichst viele von uns hier aus ihrer Resignation herauskommen…
Kriege gehören zum Kapitalismus, wie Erdbeben und Überschwemmungen zur Natur… Wir können Bestrebungen unterstützen, die eine gerechtere Weltordnung für alle Völker zum Ziel haben… Wir sollten internationale Einrichtungen wie den Haager Gerichtshof unterstützen und auch die Leute von Attac, die Globalisierungsgegner… Mit Amerika sollten wir es uns nicht zu leicht machen. Dieses Land bringt immer wieder hervorragende kulturelle Leistungen hervor… Amerika ist auch das Land der Menschenrechte, das Land, das uns maßgeblich vom Nationalsozialismus befreit hat…
„Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, hat Liebknecht gesagt. Für uns in Wilhelmshaven könnte das heißen: Jegliches Militärgehabe bekämpfen, keine Kinder mehr auf Kanonen und Torpedos reiten lassen…
Das alte imperiale Amerika trumpft noch einmal auf, aber die Welt wird sich wehren, die Stunde Amerikas als Weltpolizist wird bald schlagen…

Johann Janssen, Arzt

Auffällig ist: Diese erste Kundgebung und Demonstration gegen den Krieg im Irak wird hauptsächlich von jungen Menschen getragen. Schülerinnen und Schüler sind an diesem ersten Protestabend deutlich in der Mehrheit. Ein Vertreter des Jugendparlaments und ein Schüler der Hauptschule Heppens melden sich auf der Auftaktkundgebung zu Wort. Wir dokumentieren nachstehend Auszüge aus den Redebeiträgen dieser Protestkundgebung.
Auffällig ist aber auch, dass die gewählten Vertreter des Volkes durch Abwesenheit glänzen. Kommunale Politiker z. B. von SPD, Grüne/Bündnis 90 und WALLI werden nicht gesichtet. Auch sucht man vergeblich nach bekannten Gesichtern aus der Gewerkschaft.

Noch niemand hat uns richtig erklärt, warum dieser Krieg stattfinden soll…Warum wird Saddam Hussein so in die Enge getrieben? … Es gibt viele andere Länder, die jedenfalls auch chemische und biologische Waffen besitzen. … Und warum darf ein einziger Mann (Bush) über Millionen Meinungen hinweg entscheiden? Warum sollen wird denn nicht über Frieden und Krieg entscheiden dürfen? … Wir sollten jetzt noch versuchen, den Krieg zu stoppen!!

Jasmin Remmers, Hauptschule Heppens Klasse 8a

Bereits am Vormittag hatten Schülerinnen und Schüler die ersten Aktionen gegen den Krieg organisiert. Per Handy hatte man schulübergreifend Kontakt aufgenommen und eine Demonstration organisiert. Unter dem Motto „Kein Blut für Öl“ und „Stoppt den Krieg am Golf“ ließen sie Federtasche und Lineal links liegen und zogen zum Rathaus, um lautstark zu protestieren. Zu laut und erst recht zu spontan. Zumindest nach Ansicht einiger Schulleiter und städtischer Bediensteter. Die WZ jedenfalls berichtet andern Tags, dass im Rathaus wegen des Ansturms der protestierenden Schüler die „Mitarbeiter der Verwaltung…die Bürotüren schützend verschließen“ mussten. Sogar Papierschnipsel sollen achtlos auf dem Rathausplatz weggeworfen worden sein. Und überhaupt fand insbesondere auch der Wilhelmshavener Verwaltungschef OB Menzel nach Informationen der Wilhelmshavener Zeitung „wenig Gefallen am spontanen Protest“ (WZ vom 21.03.03). Statt mit den jungen Menschen über ihre Ängste zu sprechen, schloss er sich in seinem Büro ein. Dass die Schüler sich lautstark Gehör verschaffen wollten, empfanden städtische Pressesprecher als „unangemessen“. Zusammen mit den Papierschnipseln hätte die Aktion „einen üblen Nachgeschmack“ hinterlassen. Den hatten die Protestierenden gewiss auch.
Dass Wilhelmshavener Schüler überhaupt gegen den Krieg protestieren, missfällt auch einigen Schulleitern – zumindest wenn Mathe oder Bio laut Stundenplan dran sind. So soll es Versuche an verschiedenen Schulen gegeben haben, die Schüler an der Teilnahme dieser ersten Demonstration gegen den neuerlichen Irakkrieg in Wilhelmshaven zu hindern. Schulverweise und andere Sanktionen sollen angedroht worden sein. Dass es anders geht, zeigen die Lehrer der IGS: Mit Billigung der Schulleitung begleiten sie die Protestaktionen ihrer Schüler, um die Aufsicht zu gewährleisten, wie es heißt.

Offizielle Pressemitteilung der Stadt Wilhelmshaven vom 20.3.03
Schülerdemonstration mit unangemessenem Verhalten
Einige Hundert Wilhelmshavener Schüler haben sich heute gegen 11.30 Uhr zu einer spontanen Demonstration auf dem Rathausplatz versammelt. Sie brachten mit Lautsprecherdurchsagen, Plakaten und Transparenten ihren Protest gegen die am frühen Morgen begonnenen Kriegshandlungen der USA gegen den Irak zum Ausdruck.
Einige Demonstranten haben die an sich friedliche Demonstration allerdings dazu benutzt, sich daneben zu benehmen. Sie begaben sich in das Rathaus und verlangten, skandierend nach Oberbürgermeister Eberhard Menzel rufend, diesen zu sprechen und verschafften ihrem Wunsch mit lautstarkem Gepfeife und Gejohle sowie Trommeln an den Bürotüren Nachdruck. Dieser bedrohliche Auftritt zwang die Mitarbeiter der Verwaltung dazu, die Bürotüren schützend zu verschließen, bis die Demonstranten von einer Aufsichtskraft der Schule wieder auf den Rathausplatz zurückgeführt wurden.
Nachdem die Demonstranten den Rathausplatz verlassen hatten, zeigte sich eine erhebliche Verunreinigung durch Papier- und Plakatschnipsel, die von den Wilhelmshavener Entsorgungsbetrieben beseitigt werden musste. Auch wenn sich einige Schüler für das Verhalten ihrer Mitschüler entschuldigt haben, bleibt bei allem großen Verständnis für den Anlass der Demonstration, ein übler Nachgeschmack über die Art und Weise des Auftretens der Schüler zurück.

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