Internationaler Frauentag
Apr 032003
 

Lebensfreude, Toleranz und ein Puzzle

(iz) Zum diesjährigen Frauentag – stets am 8. März – gab es im Pumpwerk ein feines Fest mit Musik, Tanz und Literatur / Kabarett von Frauen aus der Region für Frauen aus der Region. Zu Beginn war es noch schwach besucht, gegen 22 Uhr füllte es sich einigermaßen, aber es blieb der Verdacht, dass die Mehrheit sich lieber „Deutschland sucht den Superstar“ reinzog. Leider haben diejenigen so manchen wirklichen Superstar im Pumpwerk verpasst.

Wer am späten Vormittag des nächsten Tages wieder fit war, fand sich im Rathaus zum Empfang ein. Überwiegend waren dort ältere Frauen, die am Vorabend nicht mit abgetanzt hatten. Einige SPD-Frauen hielten tapfer während der ganzen Veranstaltung ein Transparent „Frauen wollen Frieden“. Angenehm war, dass sich die zu solchen Empfängen üblichen Redner fern hielten. Statt dessen gab es zunächst Grußworte der städtischen Frauenbeauftragten Jutta Niedersen-Marchal, der im Übrigen Dank für die gesamte gelungene Organisation gebührt. Anlässlich der viel besuchten Ausstellung zu Afghanistan erinnerte sie daran, dass die Mehrheit der Opfer moderner Kriege Frauen und Kinder sind. Sie berichtete von der Veranstaltung am Vorabend, die „von Lebensfreude und Toleranz geprägt war“.
Bürgermeisterin Ursula Aljets sprach in ihrer Rede („ich weiß nicht, ob das im Jahr 13 nach dem Fall der Mauer schon möglich ist“) einen späten Dank an Clara Zetkin aus, die 1910 den Weltfrauentag ins Leben rief, und würdigte sie in einer kurzen Biografie:
„Clara Eißner, geboren 1857, legt 1878 als eine der ersten Frauen das Lehrerinnenexamen ab. Sie heiratet den russischen Sozialisten Ossip Zetkin, dem sie durch Exil und Leiden folgt. Sie arbeitet in Paris als Wäscherin. Nach dem frühen Tod ihres Mannes kehrt sie mit den Kindern nach Deutschland zurück und wird 1907 zur Frauen-Sekretärin der Sozialistischen Internationale gewählt. In dieser Funktion ruft sie 1910 den Weltfrauentag ins Leben.
Ihr Leben war von großen existenziellen Sorgen geprägt. Deshalb hat sie sich für Gleichberechtigung, Frieden und Sozialismus eingesetzt. Ohne Frauen wie sie wäre unsere westliche Gesellschaft in Bezug auf die Rechte der Frauen noch nicht so weit.“
Im Anschluss präsentierte Aljets ein kleines Puzzle: „Frauen in unserer Gesellschaft“. Die Teile hatte sie in den letzten Tagen gefunden. „Ob sie zusammenpassen? Ich weiß es nicht!
Teil 1 : Am Donnerstag, dem 27.02.2003 – dem Tag der Weiberfastnacht – hieß es im ZDF: ‚Weiberfastnacht, das ist Frauenbewegung in ihrer schönsten Form!’ Teil 2: Auf der Wetterkarte sind den Frauen nicht mehr nur die Tiefs, sondern auch Hochs zugeordnet. Das Hoch ‚Helga’, das uns in der letzten Zeit über 2 Wochen begleitete, hat noch einmal das segensreiche Wirken von Frauen vor Augen gestellt. Teil 3: In der Wilhelmshavener Zeitung vom 4. 3. 2003 eine Statistik: Frauen sind in der Bundesrepublik Deutschland im Schnitt schlechter bezahlt als gleich gut oder schlecht ausgebildete Männer. Teil 4: Am Freitag lasen wir im Wirtschaftsteil, jede 3. Frau versorgt Kinder im Haushalt, das sind 12,1 Mio. Frauen.“
Trotzdem wurden, so Aljets, in den letzten Jahren viele Verbesserungen erreicht. „Denken Sie nur an unser Rathaus. Früher keine oder kaum Amtsleiterinnen – heute: die wichtigen Ressorts Soziales und Öffentliche Ordnung von Frauen geleitet und sie geben übrigens das meiste städtische Geld aus!
Eines aber kann auf dem Gesetz- und Verordnungsweg nicht erreicht wer­den: Das ist die Änderung des gesellschaftlichen Denkens. Und hier ist in der Tat noch ein weites Feld. So habe ich bei durchaus sehr fortschrittlichen Eltern das Zucken gesehen, als ihr ‚Stammhalter’ den Namen seiner künftigen Ehefrau annahm. Hier ist in den nächsten 50 Jahren (?) noch ein weites Betätigungsfeld.
Solche Sorgen, wie wir sie haben, wünschten sich sicher die Frauen in Afghanistan und in anderen überwiegend muslimischen Staaten.“
Zum Thema Afghanistan gab es später einen beklemmenden Bericht von Frau Haydare Nafisa, die jetzt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Wilhelmshaven lebt. Sie hatte 3 Jahre in Kabul in einem von Russen gebauten Kindergarten gearbeitet. Nach den ersten grausamen Erlebnissen von Raketenbeschüssen verkaufte die Familie alles, was sie besaß, um sich Pässe für die Flucht zu beschaffen. Über Moskau kam sie nach Berlin, wo die Eltern erst mal mit Handschellen gefesselt und verhaftet wurden. Am Bahnhof erhielten sie Hilfe von einem jungen Afghanen und fanden ihre Kinder in einem Kinderheim wieder. Über Varel und Braunschweig kam die Familie schließlich nach Wilhelmshaven, wo sie viel Hilfe von Marianne Janz und Jutta Brünlow erhielt. Zunächst wohnten sie 3 Monate im Wohnheim Marienstraße, dann 3 Monate am Banter Deich. Insgesamt 9 Jahre mussten sie von Sozialhilfe leben, was sie sehr unglücklich machte, da sie es immer gewohnt waren, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Doch als Asylbewerber erhielten sie keine Arbeitserlaubnis in Deutschland. 1999 erhielten sie dann endlich das Bleiberecht. Sie arbeitete zunächst in einem amerikanischen Schnellimbiss, ihr Mann als Maler und Lackierer. Ein Jahr später wurden sie deutsche Staatsbürger und betreiben jetzt, wieder als Selbständige, einen kleinen Laden in der Marktstraße.
Lange Zeit kämpfte die Frau darum, ihre Mutter nach Deutschland zu holen. Nachdem alle Kinder das Land verlassen hatten, war diese ganz allein in Afghanistan zurückgeblieben. Nachdem sie endlich auf Besuch zu ihrer Tochter kommen konnte, wurde sie sehr krank und starb nach der Rückkehr in ihre Heimat.
Das Bild, das Frau Haydare Nafisa von den afghanischen Frauen nach der „Befreiung“ zeichnete, unterschied sich doch sehr von dem, das Frau Aljets (besser gesagt die Medien) darstellen. Die „kleinen“ Taliban sind immer noch im Alltag präsent, Frauen müssen in deren Gegenwart immer noch verschleiert herumlaufen, andernfalls werden sie durch Vergewaltigungen bestraft. „Keiner kümmert sich jetzt mehr um das, was dort geschieht.“
Zum Abschluss las die Deutschtürkin Nurdan Gündüz aus ihrem Buch „Gedichte und ein Kurzroman“ (das wir im letzten GEGENWIND besprochen haben).

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