Hartz IV und Recht
Apr 032007
 

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Umso besser!

Das BSG-Urteil zu den Kosten der Unterkunft für Hartz IV-Betroffene liegt endlich geschrieben vor

(noa) Die Kosten der Unterkunft für Bedarfsgemeinschaften nach dem Sozialgesetzbuch II sind ein Dauerbrenner nicht nur auf den Versammlungen der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland, sondern auch bei den Sozialgerichten. Jetzt wird sich einiges ändern müssen.


Auf der ALI-Versammlung am 9. Januar hatte Oberbürgermeister Eberhard Menzel gesagt, dass das, was über das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 7. November 2006 in der Presse veröffentlicht worden war, die ALI-Position, das Job-Center müsse sich bei der Bewilligung der Kosten der Unterkunft an die Wohngeldtabelle halten, nicht bestätige. Damit hatte er Recht. Die Situation nach dem BSG-Urteil ist nämlich für die Betroffenen noch besser.
Aber der Reihe nach – auch für die, die unsere Berichterstattung nicht immer verfolgt haben:

Dauerbrenner KdU

Hartz IV sieht vor, dass Langzeitarbeitslose und ehemalige SozialhilfeempfängerInnen Hilfe zum Lebensunterhalt in Form eines Regelsatzes zuzüglich Kosten der Unterkunft und der Heizung, sofern diese angemessen sind, bekommen sollen. Und um die Frage der Angemessenheit dieser KdU geht seither der Streit auf allen Ebenen.
Zahlreiche Alg II-EmpfängerInnen hatten schon vor dem 1. Januar 2005 (damals noch von der Arbeitsagentur, denn die ARGE gibt es ja erst seit dem Inkrafttreten von Hartz IV) Post bekommen, mit der sie aufgefordert wurden, ihre Wohnkosten zu senken, indem sie z.B. in eine billigere Wohnung umziehen sollten. Und zahlreiche Leute, die erst nach dem 1. Januar 2005 Alg II-„Fälle“ wurden, waren dann dran mit dem Umziehen. Es ist nicht zu ermitteln, wie viele arbeitslose Wilhelmshavener und Wilhelmshavenerinnen, die keine billigere Wohnung gefunden haben oder aus anderen Gründen nicht umgezogen sind, seither regelmäßig von ihrem schmalen Regelsatz einen Teil ihrem Vermieter geben müssen.
Die meisten tun es scheinbar klaglos. Es kann ja auch eine sportliche Herausforderung sein, herauszufinden, mit wie wenig Geld man überleben kann. Einige haben Widerspruch gegen ihren Alg II-Bewilligungsbescheid eingelegt und, nachdem er abgelehnt wurde, Klage beim Sozialgericht erhoben. Aufgrund der Überlastung der Sozialgerichte seit Bestehen von Hartz IV zogen sich die Verfahren in die Länge; sogar Eilverfahren (Anträge auf einstweilige Anordnung) dauerten bis zu einem Jahr und länger. Die ersten Hauptsacheverfahren kamen im Lauf der zweiten Hälfte des Jahren 2006 zum Abschluss. Die meisten RichterInnen des Sozialgerichts Oldenburg wie auch des Landessozialgerichts sprachen Urteile zugunsten der KlägerInnen und erlegten dem Job-Center Wilhelmshaven auf, Kosten der Unterkunft in Höhe des Wertes, der in der rechten Spalte der Wohngeldtabelle steht, zu bewilligen. Für eine allein lebende Person machte das schon einen Unterschied von monatlich 22 € (280 € sieht die Wohngeldtabelle für einen Ein-Personen-Haushalt vor, Wilhelmshaven hat regelmäßig nur 258 € gezahlt).
Die Miethöhen der Wohngeldtabelle waren nach diesen Gerichtsentscheiden schon mal ein Anhaltspunkt. Jedenfalls für die Betroffenen, die nicht ihre volle Miete bekamen und deshalb den Regelsatz dafür angreifen mussten, war das ein Richtwert, anhand dessen sie sich entscheiden konnten, Klage zu erheben.
Das Job-Center hat weiterhin weniger als die Miethöhen nach Wohngeldtabelle übernommen, wohl in der Hoffnung, das Bundessozialgericht werde dereinst ein Urteil sprechen, das die Rechtsauffassung der Stadt Wilhelmshaven bestätigt. Und weil er das so gerne wollte, sagte Menzel am 9. Januar dann auch, wie oben erwähnt, das BSG-Urteil bestätige nicht die Position der ALI, die nach den Oldenburger Beschlüssen und Urteilen die Wohngeldtabelle als maßgebliche Quelle betrachtete.

Nein – besser!

Nun hat das Sozialgericht Oldenburg in einem Fall, in dem das Job-Center Wilhelmshaven beklagt wurde, am 17. Januar 2007 ein Urteil gesprochen, in dem es nicht die Wohngeldtabelle, sondern – viel besser – die tatsächlichen Unterkunftskosten als angemessen bezeichnet hat. Und der Richter wusste wohl schon damals ziemlich genau, wie das BSG am 7. November geurteilt hatte.
Das Oldenburger Urteil (Az.: S 48 AS 1019/05) spricht dem Kläger die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu. Und die Urteilsbegründung lässt jetzt viele Betroffene hoffen, denn sie läuft darauf hinaus, dass in den meisten Fällen die tatsächlichen Wohnkosten auch angemessen sind. Der Begriff der „Angemessenheit“ unterliegt, so heißt es im Urteil, „als unbestimmter Rechtsbegriff … in vollem Umfange der gerichtlichen Kontrolle“, und für die Angemessenheit ist „jeweils die reale Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt“ maßgeblich, „wobei die Größe der Wohnung, der Ausstattungsstandard und – bei Bedarfsgemeinschaft – deren Größe und Zusammensetzung in die Prüfung einzustellen ist.“ Hier bezieht sich das Gericht auf das Bundessozialgericht, das am 7. November 2006 (Az.: B 7b AS 18/06 R) geurteilt hat: „…kommt es letztlich darauf an, dass das Produkt aus Wohnstandard/Wohnlage und Preis der Wohnung im Bereich der Angemessenheit liegt.“ Einfach eine Mietobergrenze festlegen und sagen, dass alles, was teurer ist, unangemessen sei, das geht demzufolge nicht. Und so geht es weiter im Urteil des SG Oldenburg: „Derartige Feststellungen hat der Beklagte (also das Job-Center Wilhelmshaven) bis zum gegenwärtiges Zeitpunkt insbesondere für den konkreten Wohnort des Klägers und seiner Familie … in keiner Weise getroffen. Hierfür ist er jedoch beweispflichtig, so dass zunächst schon aus diesem Grunde davon auszugehen ist, dass die vom Kläger nachgewiesenen Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu zahlen sind.“

Wohngeld ist nicht gleich KdU

Wie das Bundessozialgericht stellt auch das Sozialgericht Oldenburg fest, dass das Wohngeldgesetz und das Sozialgesetzbuch II zwei völlig unterschiedliche Paar Stiefel sind. Beim Wohngeld geh es darum, jemandem einen Zuschuss zu den Wohnkosten zu gewähren, „der für seine angemessene Wohnung Aufwendungen erbringen muss, die ihm nicht zugemutet werden können“; beim Arbeitslosengeld II (das die KdU ja beinhaltet) handelt es sich demgegenüber um „Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende“, die „den Lebensunterhalt der Hilfsbedürftigen sichern“ sollen, „die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu bestreiten. Die Leistungen müssen daher der Besonderheit des Einzelfalles angepasst und bedarfsdeckend sein.“ Und angesichts dessen, was von 345 € (bzw. 622 € für zwei Personen) alles finanziert werden soll, kann man davon keine Mietanteile abzweigen.
„Die erkennende Kammer“ – die die Unterschiede zwischen Wohngeld und KdU sehr viel ausführlicher dargelegt hat als wir hier – „hält nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen für maßgeblich die Verhältnisse des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Lage am Wohnungsmarkt des Leistungsempfängers.“
Letzteres behauptet die Stadt Wilhelmshaven ja zu berücksichtigen. Die von ihr festgelegten Mietobergrenzen seien ja, so behauptet sie immer wieder, Ergebnis einer regelmäßigen Auswertung der Wohnungsanzeigen in der Presse wie auch regelmäßiger Anfragen bei den Wohnungsbaugesellschaften und den mit Mietzahlungen befassten städtischen Ämtern. Und so haben Alg II-Empfänger, die zum Umzug aufgefordert wurden, ja auch jeweils eine Liste mit einigen Adressen von Vermietern bekommen, die Wohnungen in der Preisklasse, die die Stadt als „angemessen“ definiert hat, anbieten. Diese Liste könnte, wie der Gegenwind einmal schrieb, zu einem ziemlichen Gedränge führen, denn wenn man ca. 100 Wohnungen bis 258 € Kaltmiete anbieten kann, ist das etwas knapp für Tausende von erwerbslosen Wohnungssuchenden.
Ersteres berücksichtigt das Job-Center jedoch bestimmt nicht. Und was die Verhältnisse des Einzelfalles angeht, hat das BSG (und unter Berufung darauf das SG Oldenburg) nun auch ein klares Wort gesprochen: „Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann … im Regelfall nicht verlangt werden“, wobei mit „Wohnort“ nicht unbedingt dasselbe gemeint ist wie die jeweilige Gemeinde, sondern „in größeren Städten … eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete, die kommunalverfassungsrechtlich keine selbständigen Einheiten darstellen, geboten sein kann.“ Und das bedeutet: Man kann vielleicht verlangen, dass jemand von der (teuren) Mozartstraße in die (billigere) Kieler Straße zieht, nicht aber nach F’Groden, nur weil da die Wohnungen noch billiger sind.

Schluss mit den Gedränge

Und noch etwas Erfreuliches hat das Bundessozialgericht festgelegt: „Schließlich wird zu überprüfen sein, ob nach der Struktur des Wohnungsmarktes … die Kläger tatsächlich auch die konkrete Möglichkeit haben, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret auf dem Wohnungsmarkt anmieten zu können… Besteht eine solche konkrete Unterkunftsalternative nicht, sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen.“ Es ist also nicht so, dass Tausende von Arbeitslosen sich um die etwa hundert nach Auffassung der Stadt Wilhelmshaven „Hartz IV-tauglichen“ Wohnungen prügeln müssen.
Eine Gerichtsentscheidung in diesem Sinne liegt, wenn auch aus einem anderen Ort, schon vor. Das Sozialgericht Hannover hat in einem Beschluss (Az.: S 46 1942/06 ER) dem Jobcenter Hannover auferlegt, einer Klägerin die volle Miete zu zahlen, nachdem diese „durch Vorlage von acht Absagen unterschiedlicher Vermietungsgesellschaften … die Unmöglichkeit der Senkung der Kosten der Unterkunft glaubhaft gemacht“ hatte.

Wer nicht klagt, ist dumm

Bis jetzt hat das Job-Center Wilhelmshaven aus einer Reihe verlorener Gerichtsverfahren nicht die Schlussfolgerung gezogen, anders zu bewilligen. Bis zum BSG-Urteil war ihm in einigen Fällen auferlegt worden, KdU in Höhe der Wohngeldtabelle zu zahlen; doch AntragstellerInnen, die beim Job-Center unter Berufung auf diese Gerichtsentscheidungen vorgebracht haben, sie müssten doch mehr KdU bekommen, ernteten lediglich ein „Davon weiß ich nichts“.
Ob das Job-Center sich nun an dieses höchstrichterliche Urteil halten wird, bleibt abzuwarten. Nach dem, was Herr Menzel auf der Januar-Versammlung der ALI gesagt hat, ist jedoch zu befürchten, dass es weiterhin nur KdU in der Höhe der von der Stadt Wilhelmshaven festgelegten Obergrenzen bewilligen wird. Und es wird sogar genau im BSG-Urteil die Begründung dafür finden. Da heißt es nämlich auch: „Die Grundsicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit werden bei der Prüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II mithin nicht umhin kommen, jeweils die konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen. Liegen keine entsprechenden Mietspiegel bzw. Mietdatenbanken … vor, so wird der Grundsicherungsträger zu erwägen haben, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene – grundsicherungsrelevante – Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen.“ Und hier könnte die Stadt einfach weiterhin behaupten, ihre Liste sei korrekt.
Und in diesem Fall wird es darauf hinauslaufen, dass jedeR Betroffene eben beantragen, widersprechen und schließlich klagen muss. Denn: Jede Gerichtsentscheidung ist eine Einzelfallentscheidung. Dass Fritz von nebenan die volle Miete bekommt, nachdem er in einem Gerichtsverfahren obsiegt hat, bedeutet nicht, dass Franz automatisch seine volle Miete bewilligt bekommt.
Solange nur einige Betroffene klagen, die meisten Erwerbslosen jedoch die Zähne zusammenbeißen und einen Teil ihrer Miete selber zahlen und deswegen weniger Geld zum Leben haben, kommt das für das Job-Center trotz der Gerichtskosten, die es zahlen muss, billiger. Und man muss schon sehr, sehr optimistisch sein, wenn man glaubt, dass man einfach so das ganze Geld, das man hätte beanspruchen können, nachträglich ausgezahlt bekommen wird.
Was ist also zu tun? Betroffene sollten eine Überprüfung ihres Alg II-Bescheides beantragen. Darauf haben sie nach § 44 SGB X ein Recht. Wenn sie daraufhin nicht die tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft bewilligt bekommen, müssen sie gegen den Überprüfungsbescheid Widerspruch einlegen. Und wenn dieser abgelehnt wird, dann ist der nächste Schritt der zum Sozialgericht. Noch sind Sozialgerichtsverfahren kostenfrei. Die 10 € für den Beratungsschein (für den Anwalt), den man sich beim Amtsgericht ausstellen lassen kann, können eine lohnende Investition sein!

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