Gleichstellung
Apr 272006
 

Hobby statt Hauptamt

Niedersächsische Kommunen sparen die Gleichberechtigung kaputt

(iz) Was Expertinnen befürchteten, ist nun auch statistisch belegt: Nicht nur in der Region, sondern landesweit nutzen Kommunen neue Regelungen im Kommunalverfassungsrecht, um sich auf Kosten der Gleichstellung zu sanieren.

 Nur wenige Minuten brauchte der Sander Gemeinderat Ende März, um die Stelle der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten (GB) zu kippen – wegen der „prekären Finanzsituation“. Schwer nachvollziehbar, wenn die Gemeinde kurz zuvor für 70.000 Euro eine Immobilie erwirbt, um sie abzureißen – obwohl es schon einen privaten Interessenten gab.
Ganze 13.000 Euro Personalkosten spart die Gemeinde nun im Jahr. Den Job soll zukünftig eine ehrenamtliche Kraft (gegen 200 Euro Aufwandsentschädigung monatlich) verrichten. Die sozialen Folgekosten, die durch den Wegfall der Beauftragten entstehen, fließen allerdings in die Rechnung nicht ein.
Damals hat Sande freiwillig (gemeinsam mit Zetel) die Stelle geschaffen, obwohl auf Grund der EinwohnerInnenzahl keine Verpflichtung dazu bestand. Mit der Abschaffung der hauptamtlichen GB spielt Sande keine traurige Vorreiterrolle, sondern folgt einem Landestrend. Seit die Verpflichtung gelockert wurde, GB hauptamtlich zu beschäftigen, bröckelt es allerorten.

Was hat sich gesetzlich geändert?

Seit 1993 sind die kommunalen Gebietskörperschaften (Städte, Gemeinden und Landkreise) in Niedersachsen verpflichtet, Frauenbeauftragte zu bestellen. Die Vorschriften des so genannten Frauenbeauftragtengesetzes flossen in die Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) und die Nds. Landkreisordnung (LKO) ein.
Am 20. April 2005 beschloss der niedersächsische. Landtag ein Gesetz zur Änderung des Kommunalverfassungsrechts, das sich auch auf NGO und LKO auswirkte. Zum einen wurden die Frauen- in Gleichstellungsbeauftragte umbenannt. Damit sollte herausgestellt werden, dass sie sich grundsätzlich für den Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen beider Geschlechter einsetzen sollen. Gravierender waren jedoch die Änderungen im Beschäftigungsumfang. Bislang mussten alle Gemeinden (außer Mitgliedern von Samtgemeinden) mit mehr als 20.000 EinwohnerInnen eine Frauenbeauftragte hauptberuflich beschäftigen. Das gilt jetzt ausdrücklich nur noch für die kreisfreien und großen selbständigen Städte, die Landeshauptstadt Hannover und die Stadt Göttingen. Alle anderen müssen zwar eine GB bestellen, diese kann jedoch auch ehren- oder nebenamtlich beschäftigt werden.

Katastrophale Folgen

Schon im Vorfeld der Gesetzesnovelle wurden „in vorauseilender Anwendung“ landesweit hauptamtliche GB-Stellen abgebaut. „Geht die Frauenpolitik in Niedersachsen baden?“, lautete der sorgenvolle Titel einer Veranstaltungsreihe, die im November 2004 von Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros (LAG) gestartet wurde. Eine systematische Auswertung bis Ende März 2006 bestätigte die Befürchtungen: Die Zahl der hauptamtlichen GB ging in den letzten 3 Jahren von 184 auf 138 zurück. 46 hauptamtliche Stellen wurden zu Ehrenämtern (25), Nebenämtern (17) oder sind in der Entwicklung noch unklar (4). In der Region zeigt sich der Trend wie folgt: Die Gemeinden Sande, Wangerland, Zetel und Bockhorn wandelten haupt- in ehrenamtliche Stellen um, in Jever ist die GB schon seit 1997 nur noch nebenamtlich tätig („Handywoman“, GEGENWIND 142).
„Hauptamt“ bedeutet nicht „Vollzeit“. Die Stelle der GB der Stadt Wilhelmshaven wurde beim Wechsel der Stelleninhaberin auf die Hälfte gekürzt.

Schleichende Demontage

Neben dem offensichtlichen Abbau- bzw. Umwandlungsprozess beobachtet die LAG auch eine qualitative Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für GB: „Da wird ein beruflicher Wechsel der Stelleninhaberin genutzt, eine Stelle nicht wiederzubesetzen, dort werden ihr neue Aufgaben übertragen, so dass die Gleichstellungsarbeit zum zusätzlichen persönlichen Hobby wird, oder das Haushaltsdefizit wird ausgerechnet durch die Abschaffung oder Reduzierung des Querschnittsamtes ‚Gleichstellungsbeauftragte’ saniert. Die Betroffenen (GB) erfahren manchmal erst als Letzte davon oder erleben eine entwürdigende Auseinandersetzung um ihre bisher geleistete Arbeit, ihre Stelle und ihre Person.“ Zusätzliche Aufgaben führen zur Arbeitsüberlastung, die Vernetzungsarbeit wird geschwächt, Abstriche in der finanziellen Ausstattung tun ihr Übriges. Bei den Abfragen unter den Kolleginnen zeige sich nicht selten eine starke persönliche Verunsicherung. Viele fürchten, sie selbst würden in absehbarer Zeit von massiven Einschnitten oder gar Kündigungen betroffen. „Es wurde berichtet, dass Kolleginnen kaum noch wagten, abweichende Positionen in den Räten zu vertreten, da sie mit Sanktionen rechneten.“ Ein subtiler wie eindeutiger Rechtsbruch: Laut NGO ist die GB „bei der rechtmäßigen Erfüllung ihrer Aufgaben … an Weisungen nicht gebunden“.

„Doch die Verhältnisse, die sind nicht so“

Noch gibt es kleine Lichtblicke in dieser rückwärtsgewandten gesellschaftspolitischen Entwicklung: Die Städte Schortens (ca. 21.000 EinwohnerInnen) und Varel (ca. 25.000) leisten sich – als rühmliche Ausnahmen – weiterhin jeweils eine hauptamtliche GB mit je 19,5 Wochenstunden, also mit dem gleichen Zeitumfang, den die GB für Wilhelmshaven (ca. 84.000 EinwohnerInnen) zur Verfügung hat. „In Schortens stehen Rat und Verwaltung geschlossen hinter Doris Fuhlbohm, und auch Bürgermeister Gerhard Böhling betont: ‚Unsere Gleichstellungsbeauftragte macht einen guten Job.’“ (WZ 25.3.2006)
Auf Landkreisebene bleibt auch Elke Rohlfs-Jacob weiterhin mit 25 Stunden pro Woche als GB beschäftigt. Sie stellt fest: „Die Arbeit einer Ehrenamtlichen muss zwar nicht zwangsläufig schlechter sein, aber es ist eine Frage der Bewertung der Arbeit und der Einbindung in die kommunalen Prozesse.“ Deutlicher sagt es die LAG: „Ehren- oder nebenamtlich ist es nicht möglich, in Verwaltung und Kommune den Einsatz für die Umsetzung der gebotenen Chancengleichheit sowie die kontinuierliche Präsenz vor Ort sicherzustellen.“
Nicht zuletzt ist die Gleichstellung auch auf höherer Ebene als gesetzlicher Auftrag festgeschrieben, dessen Erfüllung auch in anderen Bereichen mehr als ein Ehrenamt erfordert:

Grundgesetz Art. 3 Abs. 2

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt (1949).
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin (Zusatz seit 1994).“

Niedersächsische Verfassung Art. 3 Abs. 2, Satz 2:

„Die Achtung der Grundrechte, insbesondere die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist eine ständige Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Landkreise.“

Das Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit äußert sich zur Gesetzesänderung auf Landesebene wie folgt: „So werden die Kommunen in ihrer Verantwortung gestärkt, es besteht die Möglichkeit der Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten.“ Welche Gegebenheiten? Die finanziellen – oder die emanzipatorischen? Sind letztere so weit fortgeschritten, dass die Gesellschaft ihre dahingehenden Bemühungen zurückschrauben kann? Mitnichten, wie auch das Frauenministerium konstatiert: „Die tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten erfordern es noch, dass sich die Beauftragten überwiegend um die Belange der weiblichen Bevölkerung zu kümmern haben, weil diese aufgrund der strukturellen Rahmenbedingungen nicht immer eine gleichberechtigten Stellung erlangt.“

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