GEW vs Busemann
Jul 212004
 

„Herr Busemann, hier irren Sie sich“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gibt dem Kultusminister einen Korb

(noa) Kultusminister Busemann hat den Lehrkräften des Landes für ihre engagierte Arbeit gedankt und in diesem Zusammenhang geschrieben, er wisse die Lehrerschaft bei der Umgestaltung des Schulwesens an seiner Seite. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat ihm darauf geantwortet: „Sehr geehrter Herr Busemann, hier irren Sie sich.“

Eine umfangreiche „Mängelliste“ an Busemanns so genannter Schulreform weist den kultusministeriellen Anbiederungsversuch zurück. Wir zitieren aus dem Offenen Brief der GEW:

  • „Wir wären an Ihrer Seite, wenn Sie die PISA-Ergebnisse ernst nähmen und dafür Sorge tragen würden, dass unsere Kinder, wie in fast allen europäischen Ländern, eine längere gemeinsame Schulzeit hätten. Sie praktizieren das Gegenteil: Die Kinder werden zu einem Zeitpunkt sortiert, zu dem noch keine sinnvolle Prognose über ihre weitere Entwicklung möglich ist.
  • Wir wären an Ihrer Seite, wenn Sie die bisherige pädagogisch erfolgreiche Arbeit an den Grundschulen durch geeignete Fördermaßnahmen stärken würden und den Lehrkräften die dafür benötigte Zeit zur Verfügung stellen würden. Sie praktizieren das Gegenteil: Sie streichen Förderstunden in den Grundschulen. Nicht mehr der Individuelle Lernzuwachs steht im Mittelpunkt pädagogischer Bemühungen, statt dessen beginnt schon im 2. Schuljahr die Jagd nach Zensuren und einer möglichst an das Gymnasium führenden Übergangsempfehlung.
  • Wir wären an Ihrer Seite, wenn Sie im Sekundarbereich eine tatsächliche Durchlässigkeit zwischen den Schulformen herstellen würden. Sie praktizieren das Gegenteil: Sie grenzen die Schulen gegeneinander ab und bauen durch unterschiedliche Grundsatzerlasse Mauern zwischen den Schulen auf, die höchstens noch in absteigender Richtung überwunden werden können.
  • Wir wären an Ihrer Seite, wenn Sie uns zu der Notwendigkeit zu fördern nicht nur verpflichten würden, sondern uns dazu auch die benötigten zeitlichen und personellen Ressourcen zur Verfügung stellen würden. Sie praktizieren das Gegenteil: Sie streichen die Förderstunden und beeinträchtigen die Arbeit der Beratungslehrkräfte. Vergleichsarbeiten und zentrale Abschlussprüfungen führen nicht zu einer besseren Pädagogik, sie behindern sie vielmehr, indem sie den Unterricht auf diese Ereignisse fokussieren.
  • Wir wären an ihrer Seite, wenn Sie uns die zur Erteilung der gesamten Stundentafel notwendigen LehrerInnenstunden zur Verfügung stellen würden. Sie praktizieren das Gegenteil: Sie bemessen die LehrerInnenstunden so knapp, dass für die notwendigen Differenzierungsmaßnahmen und Arbeitsgemeinschaften kaum eine Stunde übrig bleibt.
  • Wir wären an Ihrer Seite, wenn Sie dafür Sorge tragen würden, dass die Klassen kleiner würden. Sie praktizieren das Gegenteil: Ihr neuer Erlass führt in allen Schulen mit Ausnahme der Hauptschule zu größeren Klassen.
  • Wir wären an Ihrer Seite, wenn Sie durch ausreichende Neueinstellungen die Versorgung der Schulen mit Lehrkräften tatsächlich verbessern würden. Sie praktizieren das Gegenteil: Sie verbessern die Unterrichtsversorgung scheinbar durch statistische Schönrechnerei und ersetzen noch nicht einmal die ausscheidenden Lehrkräfte durch neue.“
Der Gegenwind sprach mit dem Vorsitzenden des GEW-Kreisverbandes Wilhelmshaven, Friedrich Fischer, über die Schulreform.

Gegenwind: Ihr werft dem Kultusminister vor, dass er zum dreigliedrigen Schulsystem zurückkehrt. Aber es war doch vorher schon dreigliedrig.
Fischer: Stimmt, aber nun wird in strikter Dreiteilung die Einsortierung der Schülerinnen und Schüler nach Schulformen schon 2 Jahre früher vorgenommen. In diesen frühen Kinderjahren sind Schullaufbahnprognosen noch weniger aussagekräftig als bisher, da Kinder gerade in diesem Alter ganz wesentliche Entwicklungs- und Erkenntnisschritte durchlaufen. Die Lehrkräfte der Grundschulen sollen jetzt etwas tun, wofür sie nicht ausgebildet sind, nämlich eine Prognose über die zu erwartende Entwicklung von 10-jährigen Kindern treffen. Die Grundschule wird damit zu einem Ort, wo es um Noten, Leistungsorientierung und Konkurrenz geht.

Ihr werft Busemann weiter vor, dass die Durchlässigkeit zwischen den weiterführenden Schulen, von der er ja sagt, sie sei gegeben, wegen unterschiedlicher Grundsatzerlasse nur von oben nach unten, nicht jedoch von unten nach oben besteht. Sag mal ein Beispiel.
Die Berufsorientierung der Hauptschule mit den Praxisstunden richtet die Kinder schon früh aufs Handwerk aus. Es fehlen Stunden und damit Stoff, um bei einem Wechsel zur Realschule dort den Anschluss zu kriegen. Für das Handwerk bieten die Betriebsstunden außerdem einen Pool von Jugendlichen, aus denen die Meister dann auswählen können.

Was meint ihr mit der Beeinträchtigung der Arbeit der Beratungslehrkräfte?
Busemann hat die Verlagerungsstunden für die Beratungslehrkräfte gekürzt, so dass sie jetzt einfach weniger Zeit für diese Arbeit haben.

Die Landesregierung beruft sich mit ihrer Reform auf die Bundesländer, die bei der PISA-Studie etwas weniger schlecht abgeschnitten haben als Niedersachsen. Das sind die Bundesländer, in denen es keine Orientierungs- oder Förderstufe gibt, in der die Dreigliedrigkeit auch schon ab Klasse 5 durchgezogen wird. Gibt ihm das nicht Recht?
Bayern und Baden-Württemberg haben von den deutschen Bundesländern am wenigsten schlecht abgeschnitten – aber Deutschland insgesamt hat sehr schlecht abgeschnitten im Vergleich zu den Staaten, die ihre Kinder länger gemeinsam beschulen. Die Antwort auf die PISA-Studie, es den südlichen Bundesländern nachzumachen, ist falsch. Unser Nachbarbundesland Schleswig-Holstein geht einen ganz anderen Weg: Dort wird das Schulwesen umgestaltet in Richtung einer „Schule für alle“ bis zur 10. Klasse.

Wenn nun in Niedersachsen am restaurierten dreigliedrigen Schulwesen gespart wird, dann ist das doch nicht Busemanns Schuld. Er muss sparen wie alle anderen Minister auch.
Stimmt. Es ist der Landesrechnungshof, der die Personalsituation an den Schulen bedroht. Und während die Kosten der Bildung das große Thema sind, verändert sich der Bildungsbegriff. Es geht nicht mehr um eine umfassende Persönlichkeitsbildung, sondern um die Herausbildung des allseitig und jederzeit verfügbaren und überall einsetzbaren Menschen.

Dieser Tage stand in der Zeitung, das Land werde sich der Problemschüler besser annehmen. Die Sonderschulen werden in „Förderschulen“ umbenannt. Geht es da nicht um besondere Förderung?
Die Ausgliederung der schwierigen Kinder wird damit nicht aufgehoben, sondern zementiert. Dem Kultusminister geht es „Output“-orientiert wohl in erster Linie um Begabtenförderung. Schülerinnen und Schüler mit schwachen Lernleistungen in den Grundschulen, die die Elitebildung bremsen könnten, passen einfach nicht in das Konzept. Busemann steht für das Turbo-Abitur nach 12 Jahren, und alles, was dem im Weg steht, wird ausgegliedert.

Ja, das war ja bei seinem Auftritt in Wilhelmshaven auch die Antwort auf die Forderung nach der sechsjährigen Grundschule: Die gehe nicht, weil dann das Abitur nach 12 Jahren nicht möglich sei.
Und bei diesem Auftritt präsentierte er sich als „Manager“ für den „Großbetrieb Schule“. Das macht deutlich, welchen Begriff von Bildung er vertritt. Ein Teil der Kinder soll frühzeitig auf das Handwerk vorbereitet werden, die Masse soll die Realschule besuchen und eine Vielzahl von Kenntnissen und Schlüsselqualifikationen erwerben, und eine Elite soll schnell Abitur machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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