Es stinkt im City-Haus
Nov 011997
 

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Seit Jahren arbeiten städtische Bedienstete bei unzumutbarer Geruchsbelästigung

(noa) Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialdienstes der Stadt stinkt es. Lange schon und zunehmend, weil die Arbeitsbelastung von Jahr zu Jahr zunimmt, während der Personalbestand eingefroren bleibt, aber nicht nur in diesem übertragenen Sinn, sondern auch ganz wörtlich: In den Büros stinkt es.Nicht in allen Büros gleich, und auch nicht zu allen Tageszeiten gleich – mal mehr nach Fäkalien, mal heftig nach Erbrochenem, manchmal einfach nur muffig, das kommt ganz darauf an. Worauf es ankommt, wie es wo wann stinkt, darüber herrschte lange keine endgültige Klarheit. Das war gut für den Kämmerer, denn sobald man weiß, wovon es abhängt, muss man tätig werden, und das wird auf jeden Fall teuer.
Nach Ansicht des Vorsitzenden des Personalrates der Stadt, Dieter Kanth, muss das ganze City-Haus grundlegend saniert werden. Er weiß, dass auch andere Ämter außer dem Sozialdienst betroffen sind bzw. waren. Hier soll jedoch nur von den Räumen des Sozialdienstes (ASD) die Rede sein.

Schon im Juni 1996 wendet sich der Abteilungsleiter des ASD, Herr Mertens, auf dem Dienstweg über seinen Vorgesetzten, Herrn Jürjens, an das Hauptamt und teilt mit, dass der Teppichboden total verschmutzt ist, Deckenplatten sich lösen, Wasserflecken an der Decke sichtbar sind, es schimmlig riecht und die MitarbeiterInnen über Atembeschwerden klagen, dass es in einigen Zimmern stinkt, weil Mülltonnen unter den Fenstern stehen, und er weist darauf hin, dass der Notausgang verschlossen ist.
Der Notausgang, das war einmal ein Drehfenster in Zimmer 12. Das musste wegen Undichtigkeit fest verschlossen werden. Das Schild „Notausgang“ wurde einfach umgeklebt auf ein Kippfenster, durch das eine Person allein im Fall eines Brandes nicht fliehen könnte.
Warum auf Grund der Mängelliste von Herrn Mertens niemand über das Umkleben des Notausgang-Schildes hinaus tätig wurde, darüber kann man spekulieren. Der ASD ist ein Bereich der Stadtverwaltung, der nur Geld kostet und keines einbringt. Ob er deswegen so konsequent missachtet wird, oder ob man im Hauptamt denkt, das Publikum in dieser Abteilung müsste derlei Missstände von zu Hause gewohnt sein, oder ob andere Gründe dafür ausschlaggebend sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Es passierte jedenfalls – nichts.

Anfang Februar 1997 erklärt Herr Jürjens dem Hauptamt, dass er vier der Büroräume des ASD mittlerweile wegen der unerträglichen Geruchsbelästigung für „unbewohnbar“ hält und dass er die betroffenen KollegInnen beurlauben muss. Er hält die Düfte, denen die Beschäftigten ausgesetzt sind, nicht mehr nur für lästig, sondern für gesundheitsschädlich, und erklärt wörtlich: „Es kann meines Erachtens nicht angehen, wenn dieser Zustand unvermindert seit längerer Zeit anhält und von keiner Seite aus – außer Achselzucken – nichts weiter geschieht.“ Das Liegenschaftsamt, das Personalamt, der Personalrat, das Bauordnungsamt und der Sicherheitsingenieur erhalten je eine Kopie dieses Schreibens.
Letzterer kann kurz danach bei zwei verschiedenen Messungen keine Gefahrstoffe feststellen, obwohl er nach Formaldehyd und ca. 20 weiteren gängigen Gefahrstoffen fahndet. Er teilt den schon befassten Stellen und außerdem dem Umweltschutzamt mit: „…es konnten keine Gefahrstoffe, die mit diesen Prüfröhrchen hätten ermittelt werden können, nachgewiesen werden.“
Angesichts der bisherigen Geschwindigkeit im Gang dieser Ereignisse reagiert Herr Sonnemann (damals Bauaufsicht, mittlerweile Rentner) auf diese Nachricht atemberaubend schnell. Schon gut zwei Wochen nach Kenntnisnahme teilt er dem Sozialamt mit, „dass für die Beurteilung der Geruchsbelästigung in den Diensträumen des Amtes 51 als Fachaufsichtsbehörde das Gesundheitsamt, Herr Dr. Rübsamen, zuständig ist.“

So wird Medizinalrat Dr. Rübsamen im März 1997 gebeten, den Ursachen der Beschwerden nachzugehen und ggf. Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Mit ihm scheint endlich jemand das Problem ernst zu nehmen. Dr. Rübsamen recherchiert gründlich, begeht die Räume, spricht mit Beschäftigten des ASD und mit dem Hausmeister. Und er erinnert sich daran, dass schon andere Ämter, die im City-Haus untergebracht sind, ähnliche Beschwerden vorgebracht haben. So können die Küchendünste aus dem Erdgeschoss des City-Hauses offensichtlich in allen Räumen des Gebäudes genossen werden.
Bezüglich des Miefs in den Räumen des ASD findet Dr. Rübsamen zwei verschiedene Ursachen. Zum einen stellt er fest, dass die Klimatruhen in dem ehemals als Großraumbüro konstruierten und genutzten, später in kleinere Büros umgebauten Bereich durch die Trennwände sowie durch nachträglichen Vorbau von Heizkörpern nicht gewartet werden können. „Dies führt selbstverständlich zu Verschmutzung und über den Schmutz bei gleichzeitiger bakterieller Besiedlung zur Geruchsbelästigung durch entsprechende Stoffwechselprodukte geruchserzeugender Bakterien“, stellt er fest, und er hält es überdies für wahrscheinlich, dass auf Grund der gelegentlichen Wassereinbrüche, die das City-Haus im Lauf seines Bestehens schon erlitten hat, „eingedrungene Feuchtigkeit ein Bakterienwachstum zwischen Estrich und Teppichrückseite begünstigte.“
Den Teppichboden hat schon der Vormieter der Stadt, die Firma IBM, genutzt. In den etwa 30 Jahren, die er da liegt und rege betreten wird, hat sich schon so einiges angesammelt. Die MitarbeiterInnen des ASD sagen denn auch ihren KundInnen, die ihren Nachwuchs mit aufs Amt bringen, dass sie die Kleinen bitte lieber nicht auf dem Teppich spielen lassen sollen.

Die von Dr. Rübsamen vermuteten Stoffwechselprodukte der Bakterien dürften es wohl sein, die über Nacht und erst recht übers Wochenende einen muffigen Geruch entfalten. Die Beschäftigten des ASD haben vielfältige Mittel ersonnen, den Muff auszuhalten. Heftiges Lüften zum Beginn des Arbeitstages bzw. der Arbeitswoche ist im Sommer hilfreich, im Winter kaum auszuhalten. Das eigene Parfum oder Deo, Duftlämpchen und anderes helfen irgendwie über den Tag.
Es sind nicht die Stoffwechselprodukte der Bakterien, sondern ganz und gar menschliche solche, die in einem anderen Bereich des ASD die Luft verpesten. Auch dafür hat Dr. Rübsamen eine Ursache aufgespürt. Dort sind Luftaustrittsschächte im Bereich der Fenster. Und da diese zugeklebt oder anderweitig verschlossen sind, „ist das Gleichgewicht des Systems gravierend gestört… Dadurch kommt es teilweise zu einer Luftumkehr, z.B. aus den Toilettenräumen hin zu den in den Büros oder im Flur befindlichen Abluftöffnungen.“
Die zum Teil verschlossenen Lüftungsschlitze sorgen aber, wie Dr. Rübsamen fest- stellt, nicht nur dafür, dass es nach Fäkalien stinkt, sondern bedingen auch, dass es in den Räumen des ASD zieht, was auch nicht gerade gesundheitsfördernd sein soll.

Dr. Rübsamens Vorschläge zur Beseitigung der Belästigungen – Reinigung der Klimatruhen, zu diesem Zweck Demontage der im Wege stehenden Trennwände und Heizkörper sowie eines Teils der Wandverkleidung, bei dieser Gelegenheit Austausch des Teppichbodens – kommen schon nahe an die nach Einschätzung des Personalrates notwendige grundlegende Sanierung des Gebäudes heran. Seit Rübsamens Feststellungen ist mittlerweile ein halbes Jahr vergangen. Passiert ist seither – außer weiterem Schriftverkehr – nichts.
Zu dem weiteren Schriftverkehr hat im Juni auch der Gemeinde-Unfallversicherungsverband Oldenburg (GUV) beigetragen. Sein Schreiben bestätigt die Feststellungen des Amtsarztes und führt wie jener weitere Mängel wie zu geringe Raumhöhe und Vibrations- und Geräuschbelastungen durch die Kühlaggregate des Lebensmittelmarktes im Erdgeschoss des City-Hauses an. Die Zeit, die der GUV der Stadt einräumt, ist eigentlich großzügig bemessen: „Wir bitten Sie, uns über die getroffenen und beabsichtigten Maßnahmen bis zum 31.07.1997 schriftlich zu benachrichtigen“, schreibt der Technische Aufsichtsbeamte Hülsen der Stadt. Diese Frist nutzt die Stadt bis zum letzten Augenblick zur Untätigkeit. Am letztmöglichen Tag lässt der Leiter des Hauptamtes seine Sachbearbeiterin Schütt dem GUV antworten: Zum Teil sei es Sache des Vermieters, die Mängel zu beheben, und der tue es momentan je nach Wetterlage, zum Teil sei es Sache des Lebensmittelmarktes, zum Teil sei es tatsächlich Sache der Stadt, und die habe kein Geld. „Bezüglich des Zustandes der Wände und Bodenbeläge räumt die Stadt Wilhelmshaven ein, dass sie wegen fehlender Haushaltsmittel regelmäßige Renovierungsarbeiten nicht durch- geführt hat. Die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen wird gesehen. Insofern wird zurzeit eine Kostenermittlung durchgeführt, um dann in Verhandlungen mit dem Vermieter eine angemessene Kostenteilung zu erreichen. Danach werden erforderliche Renovierungsarbeiten in allen Räumen vorgenommen.“
Bis Ende August wurde immer noch nichts zur Behebung des unerträglichen Zustandes im City-Haus unternommen. Aber immerhin stellt Herr Mertens als eine seiner letzten Amtshandlungen (er hat mittlerweile eine Stelle in einer anderen Stadt angetreten) in einem Schreiben an das Personalamt fest: „Mittlerweile besteht Einigkeit zwischen den betroffenen und den bewertenden Mitarbeitern der Stadtverwaltung, dass Mängel in den Räumen des Sozialdienstes im City-Haus festgestellt werden müssen…“ – ein Jahr, zwei Monate und 14 Tage hat es gedauert, diese Einigkeit herzustellen! – und bekommt Mitte September zugesichert, dass das Hochbauamt bis Mitte der 38. Woche (also um den 17. September herum) eine „Schadensfeststellung mit Kostenermittlung“ vornehmen wer- de. Tatsächlich beobachteten Beschäftigte des Sozialdienstes in der 39. Woche in ihren Räumen ihnen fremde Menschen, die die Wände und Decken inspizierten. Nun bleibt abzuwarten, wie die Stadt, die nach den Worten ihres Personalratsvorsitzenden in dieser Sache lediglich „organisierte Verantwortungslosigkeit“ gezeigt hat, die Verantwortung gegenüber ihren MitarbeiterInnen wahr- nehmen wird.
Und beim Thema Verantwortung müssen wir noch einmal zurückkommen auf das schon genannte Schreiben vom 31.07.1997 der Stadt an den Gemeinde-Unfallversicherungsverband. Dort schrieb Frau Schütt einleitend: „Die langjährigen Schwierigkeiten mit dem gesamten Mietobjekt sowie das Mieter/Vermieterverhältnis Stadt Wilhelmshaven – Eigentümer sind dort bekannt …“ Richtig. Auch vielen BürgerInnen Wilhelmshavens ist bekannt, dass die Stadt im City-Haus lediglich zur Miete „wohnt“. Da fragt sich dann aber doch, warum die Stadt jüngst einen erneuten 25-Jahres-Vertrag mit der Eigentümer-Gesellschaft geschlossen hat, obwohl die Mängel des Gebäudes ebenso wie die fehlende Bereitschaft des Vermieters, seine Pflichten wahrzunehmen, schon lange bekannt sind.

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